Originally published at: Wie öffentliche Genealogie-Daten der Wissenschaft helfen: intergenerationale Mobilität • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)
Das Thema der sozialen Mobilität über Generationen hinweg – der sogenannten intergenerationalen Mobilität – beschäftigt Wirtschaftshistoriker und Soziologen seit Langem. Bleiben arme Familien arm und reiche Familien reich, über Generationen hinweg? Heiraten reiche Frauen und Männer auch mal arme Männer und Frauen?
Antworten darauf sind beispielsweise für die Sozialpolitik von Belang. Für die Beantwortung der Fragen werden neben (öffentlichen) Informationen über Wohlstand auch Daten benötigt, die Genealogen tagein, tagaus sammeln: Wer heiratet wen und wer ist wessen Kind?
Der amerikanische Zensus-Baum („Census Tree“)
In den USA ist mit dem Census Tree eine Symbiose von öffentlichen Statistiken und genealogischen Daten gelungen, auch mit Hilfe von maschinellem Lernen.
Wer schon mal in den USA geforscht hat, wird mit den alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählungen vertraut sein. Ein Problem für die Forschung ist jedoch häufig der Namenswechsel von Frauen. In der Regel wissen nur die direkten Nachkommen, wie der Mädchenname z.B. ihrer Großmutter lautet. In den USA finden sich Heiratseinträge sonst nur in den Archiven der Staaten.
Das bekannte FamilySearch, wo unzählige Freiwillige ihre Ahnentafeln pflegen, füllt nun diese Lücke. Dank der von Familien- und Ahnenforschern gesammelten und freigegebenen Daten konnten Personen einer Volkszählung leicht mit dem Eintrag in der Volkszählung 10 Jahre vorher verknüpft werden. Der Zensus-Baum besteht aus über 700 Millionen solcher Verknüpfungen. 317 Millionen davon stammen von Daten von FamilySearch, der Rest wurde mittels maschinellem Lernen ermittelt. Dabei hat ein Computerprogramm erlernt, was die 317 Millionen bestätigten Verbindungen ausmacht, und dieses Muster angewandt.
Dieser sozial-wissenschaftliche Schatz wurde jüngst von den US-Ökonomen Kasey Buckles, Joseph Price, Zachary Ward und Haley E.B. Wilbert für die Volkszählungen 1840 bis 1910 ausgewertet. Die Ergebnisse finden sich im Arbeitspapier Family Trees and Falling Apples: Historical Intergenerational Mobility Estimates for Women and Men. (Ein „Arbeitspapier“ ist noch nicht begutachtet, aber für die Publikation in einer wissenschaftlichen Zeitschrift vorgesehen.)
Zwar wurde die regelmäßige US-amerikanische Volkszählung schon früher für derartige Studien genutzt. Vorherige Studien haben jedoch selten mehr als 30% der Einträge einer Volkszählung genutzt. Zum Beispiel haben sie Frauen wegen der Nachnamenswechsel gleich ganz weg gelassen. Auch Männer mit häufigen Namen wurden in den Analysen oft ignoriert. Dank der genealogischen Daten aus FamilySearch ist das nun Vergangenheit, und die Ökonomen um Buckles können nun auf mindestens 68% der Einträge einer jeden Volkszählung zurückgreifen.
Intergenerationale Mobilität in den USA
Der Beobachtungszeitrum umfasst die Geburtsjahrgänge von 1840 bis 1910. Die Studie misst den Status einer Familie mittels einer Punkteskala, die auf dem Beruf des Vaters basiert. Außerdem wurden schwarze Männer und Frauen, die erst nach ihrer Befreiung von der Sklaverei in den Volkszählungen auftauchten, in die fehlenden Volkszählungen als Sklaven „eingefügt“.
In einem ersten Schritt vergleichen die Autoren die Ergebnisse ihres Datensatzes mit jenen bisheriger Ansätze. Der Vergleichbarkeit halber beschränkten sie sich auf Männer. Selbst für diese gut dokumentierte Gruppe finden sich fünfmal mehr Beobachtungen im Zensus-Baum als in bisherigen Studien (weil z.B. Männer mit häufigen Namen nicht entfernt werden mussten). Die Ergebnisse sind trotzdem sehr ähnlich: Um 1840 war die soziale Mobilität sehr niedrig, aber sie steigt bis 1910 an.
Zweitens untersuchen die Autoren nun erstmals Frauen. Das Ergebnis ist, dass verheiratete Töchter in den USA fast genauso häufig den Status ihres Vaters „erben“ wie verheiratete Männer – eher sogar noch etwas mehr. Bisherige Schätzungen haben ergeben, dass verheiratete Töchter sozial etwas mobiler seien, also zum Beispiel häufiger „nach oben“ heirateten.
Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen ledigen Töchtern und ledigen Männern, sofern beide einen Beruf ergreifen. Zwar „erben“ beide Gruppen den Status ihrer Väter seltener, als wenn sie verheiratet wären, aber unverheiratete Frauen tun dies immer noch etwas häufiger als unverheiratete Männer. Das liegt, so die Autoren, maßgeblich an schwarzen unverheirateten Frauen. Weiße unverheiratete Frauen zeigten um 1910 herum etwa dieselbe soziale Mobilität wie unverheiratete Männer.
Schlussendlich untersuchen die Autoren noch die Hypergamie, also die Status-Orientierung bei der Partnerwahl. Diese haben wir in einem früheren Blogartikel für England besprochen. Es zeigt sich, dass Frauen und Männer in den USA gleichermaßen bei der Partnerwahl auf Status achten. Allerdings reduziert sich auch diese Status-Orientierung über die Zeit, was bedeutet, dass andere Characteristika (wie z.B. Aussehen) wichtiger wurden.