Unterschied zwischen Ort des Standesamtes und Ort der Amtshandlung

Hallo zusammen,

ich bin gerade dabei, meine analoge Datensammlung in mein Genealogieprogramm zu übertragen. Hierbei ist mir aufgefallen, dass bei einigen standesamtlichen Urkunden Unterschiede zwischen der Bezeichnung des Standesamtes und der in der Urkunde aufgeschriebenen Ortsbezeichnung vorhanden sind:

Die Urkunde stammt aus dem Heiratsbuch des Standesamtes Gelszinnen. Im Kopf steht aber nicht wie man erwarten würde der Ortsname Gelszinnen sondern Schernen.

Diese Geburtsurkunde stammt auch aus dem Standesamt Gelszinnen. Im Kopf steht nun aber noch ein anderer Ortsname: Loebarten. Hier hat offenbar der Standesbeamte von Dawillen in Vertretung beurkundet, da dieser Ort in den dortigen Standesamtsbücher dieser Zeit geschrieben steht.

Wie ist das zu verstehen? Hatte der Standesbeamte keine „feste“ Amtsstube und ist in seinem Standesamtsbezirk immer mal wo anders gewesen? Ich hatte im Memeler Dampfboot auch einmal gelesen, dass „normale“ Bauern zum Standesbeamten berufen wurden. Waren die Standesbeamten in diesen kleinen Orten eigentlich ortsansässige Bauern und die Amtsstube war im Haus des Bauern und hatte also immer gewechselt, wenn ein neues Standesbeamter ernannt wurde?

Im Falle der Heirat: Welchen Ort würdet ihr dann als Heiratsort eintragen? Da im Kopf Schernen steht, würde ich davon ausgehen, dass die Heirat dort stattgefunden hat und nicht in Gelszinnen.

Das Thema ist sicherlich schon einmal aufgekommen, aber ist in dem noch jungen Archiv hier in Discourse nicht zu finden. Wenn jemand Kenntnisse hierüber hat, würde ich mich über Informationen freuen.

Viele Grüße
Kai

hallo kai,
die aufgaben des standesbeamten wurden auf dem land meist nebenberuflich vom lehrer, einem größeren bauern oder einem gutsbesitzern erledigt.
so kam es dadurch vor, daß, wie von dir beschrieben, der ort der amtshandlung nicht der standesamtsort war.
So stand im standesamt karkeln (am kurischen haff) in 25 jahre lang der ort tramischen oben im Kopfeintrag, da dort (nachweislich) der gutsbesitzer wohnte, der als standesbeamte fungierte.
M.e. ist davon auszugehen, daß die amtshandlung an dem ort ausgeführt worden ist, der im Kopfeintrag genannt ist.
Ich trage im von mir betreuten online-ofb karkeln bei heiraten immer den ort des kopfeintrages ein und falls der ort nicht identisch mit dem standesamt ist, setzte ich das standesamt in klammern dazu.Also als heiratsort in meinem beispiel „tramischen (StA Karkeln)“
viele grüße
katharina (schroeter)

Hallo Katharina,

danke für deine Antwort. Also ist es wohl so wie ich vermutete. Ich werde den Namen des Standesamtes mit in die Beschreibung nehmen, dann kann das wirklich besser nachvollziehen.

Viele Grüße
Kai

Hallo Kai,
anstelle „Ort des Standesamtes“ müsste es eigentlich „Name des Standesamtsbezirks“ heißen. Wie auch schon @Katharina_Schroeter beschrieben hat, kann der aktuelle Sitz des Standesamts wechseln. Vor allem in der Anfangszeit der Standesämter gab es noch nicht ausreichend viele Personen, die diese Tätigkeit überhaupt ausüben konnten; diese wurden erst nach und nach ausgebildet. Man griff dann auf angesehene Bürger zurück, die dazu in der Lage waren. Auch gab es immer (mind.) einen Stellvertreter für den Standesbeamten, falls dieser abwesend oder krank war. Auch aus diesem Grund kann sich der aktuelle Sitz des Standesamts ändern. Die Stellenbesetzung und auch Sitzverlegung ist übrigens in den Amtsblättern der Bezirksregierungen veröffentlicht; diese findet man als Digitalisat z.B. bei polona.pl: Amtsblatt Regerung Königsberg oder beim Bayerischen Staatsbibliothek, teilweise auch von Google digitalisiert.
In der preußischen Provinz Westfalen kenne ich einige Fälle, bei denen der Sitz über einen längeren Zeitraum vom namensgebenden Ort abweicht, dann wird eine Bezeichnung wie „Standesamt X in Y“ verwendet.

Es ist daher sinnvoll, immer auch die genaue Bezeichnung des Standesamtsbezirks in die Quellenangabe aufzunehmen. Dabei ist auch ein anderer Fall noch zu berücksichtigen, nämlich, dass an einem Ort der Sitz von mehr als einem Standesamt war. Diese Situation findet man in einigen Großstädten vor, wie z.B. Königsberg/Ostpr. oder Berlin, in denen die Standesämter nummeriert wurden. Wenn man dann nicht weiß, dass eine Heirat z.B. im Standesamt Berlin 5 erfolgte, dann kann man in Berlin ziemlich lange suchen :wink:

Viele Grüße
Jan

Hallo Jan,

danke für deine Ausführungen.
Das Königsberger Amtsblatt und deren Veröffentlichungen kannte ich noch nicht.

Viele Grüße
Kai