Ostpreußen-Warte, Folge 12 vom Dezember 1951, Teil 4

Seite 8 Der Hungerstein bei Stuhm

In den Wäldern Westpreußens, in den Schluchten der Bäche auf den Ackern lagen viele erratische Blöcke Da gab es im Walde von Vogelsang im Rommelbett den Teufelsstein, in den romantischen Dörbecker Schluchten gab es deren gleich eine Menqe, bei Kulm und selbst in Elbing fanden sich diese riesigen Findlinge. Auch das Kreisstadtchen Stuhm hatte seinen Findling, der „Hungerstein' genannt wurde, dessen Lage aber nur wenigen bekannt war. Man musste schon mit dem Boot den Stuhmer See überqueren, um in einer Bucht vor dem Gut Hintersee, vorsteckt im dichten Schilf, an den großen, rötlich schimmernden Stein zu qelanqen, den die kleinen Wellen selten ganz überspülten. Und damit verband sich für die Bevölkerung auch die prophezeiende Bestimmung des Hungersteines, der nach den Ernteaussichten des Jahres befragt werden konnte. Steckte der Granit nur seinen Kopfzacken aus dem Wasser sollte es ein gutes Jahr werden. Verschwand er aber unter dem Seespiegel, bedrohten Hochwasser und Nässe die Felder Doch wahre Hungerjahre wurden die, welche der Hungerstein dadurch ankündigte, dass der Wasserspiegel absank und ihn in seiner ganzen Ausdehnung und Größe sehen ließ.

Seite 8 Krippensingen in Danzig. Von Gertrude Renate Nikolat oder Nikolai

Sammetweich und leise,
fängt es an zu schnein,
Kinder stehn mit Krippen
im Laternenschein.
Frostesstarres Händchen
Hält des Krippleins Rand
tragen es an einem
um den Hals gelegten Band.
Ärmlich blinkt ein Lichtlein
im papiernen Stall,
schüchtern klingt ihr Stimmchen:
„Kindlein, kommt doch all.'
Singen so alljährlich

zu der Weihnachtszeit
alt vertraute Lieder,
wenn es friert und schneit,
dankbar für die Gaben
die so mancher gibt,
der das Krippensingen
und die Kinder, liebt.
Doch wer will verweilen,
wenn die Christnacht sinkt
und von Sankt-Kathrinen
feierlich erklingt,
das Posaunenblasen
weithin: .Stille Nacht".
Da haben auch die Kleinen
ihr Lichtlein ausgemacht.

Seite 9 Das Marienburger Land. Vom Ersten Bürgermeister Pawelciß (Marienburg
Foto: Blick auf die Marienburg mit den Nogatbrücken
Foto: Das neue Rathaus in Marienburg
Foto: Altes Vorlubenhaus Köster, Stalle (Kreis Marienburg)
Foto: Unter den Lauben – Marienburg
Foto: Marienburger Rathaus – eines der wertvollsten Baudenkmäler des Ordenslandes. Aufn.: v. d. Piepen

Einst grüßten bei klarer Luft die Türme der Marienburg und der Marienkirche in Danzig einander aus weiter Ferne. Von den Vogelsang-Bergen bei Elbing konnte man am Horizont im Westen die Marienburg sehen. Von dem Marienburger Schlossturm zum Domturm in Marienwerder wurden in der Ordenszeit Sonnenlicht-Spiegelsignale ausgetauscht. Das so etwa umgrenzte Gebiet und sogar das ganze aus den Kreisen Marienburg, Stuhm, Rosenberg und Dt. Eylau bestehende westpreußische Volksabstimmungsgebiet von 1920 nannten die Polen in Anerkennung der Bedeutung der Marienburg „Das Marienburger Land“. Der ehemalige große Kreis Marienburg erstreckte sich mit seinem Großen und Kleinen Marienburger Werder von den Toren Elbings bis in Ostseenähe in Richtung Danziger Niederung.

Die Sumpfniederung, die der Deutsche Ritterorden St. Marien im 13. Jahrhundert bei Beginn seiner Staatengründung im Weichsel-Nogat-Delta vorfand, hat er in großartiger Landeskultur unter Heranziehung von Siedlern aus vielen deutschen Gauen zu einem fruchtbaren Gebiet mit reicher Bauernkultur gemacht. Gewaltige Deichbauten und kunstvolle Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen mit Windmühlenbetrieb zur Trockenlegung des zum großen Teil unter dem Meeresspiegel liegenden neugewonnenen Landes wurden von den in solchen Planungen und Arbeiten hoch erfahrenen herangezogenen holländischen Siedlern angelegt. Ihre Nachkommen, der Sekte der Menoniten angehörig, haben sich im Lande bis auf unsere Zeit als wertvolle Landwirte und Geschäftsleute bewährt. Von dem hohen Kulturzustand und Reichtum dieses Gebiets in der Ordenszeit berichtet die Sage: Den Hochmeister mit Gefolge ließ einst ein Werderbauer auf schlichten niedrigen Holztonnen Platz nehmen. Deren Inhalt wies er dem erstaunten Hochmeister als bares Hartgeld vor. Von der alten Wohlhabenheit in beiden Marienburger Werdern zeugen zahlreiche Bauernhäuser niederdeutschen Charakters, sogenannte Vorlaubenhäuser, unter ihnen besonders schön das Haus Köster-Stalle im Kleinen Marienburger Werder. In unserer Zeit legte das Bauerngut Wüst-Notzendorf bei Marienburg den hohen Ertragsstand offen. Es war das steuerlich höchst bonitierte landwirtschaftliche Grundstück in ganz Preußen und zog deswegen das Interesse und die Besichtigung zahlreicher landwirtschaftlicher und steuerfachmännischer Stellen auf sich.

Die Grundlage dieses hohen Standes deutscher mittel- und großbäuerlicher Landwirtschaft war auf dem überaus fruchtbaren alt kultivierten Werderboden mit günstigen klimatischen Verhältnissen in Ostsee-Nähe (in Ostpreußen mildeste niederschlagsarme Witterung) rentabler Weizen- und Zuckerrübenanbau in großem Stil. Fünf bedeutende Zuckerrübenfabriken, in Marienburg zu den Vereinigten Marienburger Zuckerrübenfabriken organisatorisch vereinigt, blühten hier. Die großen bei der Zuckerrübenernte anfallenden Futtermassen und günstigen Weide- und Wiesenverhältnisse bedingten eine große hochstehende Rindvieh- und Pferdezucht und erhebliche Milch- und Käseproduktion. Gezüchtet wurde das Warmblutpferd als Arbeitspferd sowie das schwarz-weiße Tieflandrind mit hohen Spitzen- und Höchstleistungen. Einige Kühe erreichten eine Jahresmilchmenge bis zu 10 000 kg, ganze Herden einen Durchschnittsertrag bis zu 6000 kg je Kuh. Große aus dem ganzen Reich besuchte Auktionen wurden in modernen städtischen Auktionshallen in regelmäßiger Folge abgehalten. Der lange Zeit alljährliche

Marienburger Luxus-Pferdemarkt war ein Ereignis. Eine leistungsfähige Reit- und Fahrschule bestand in Marienburg. Die Stadt unterhielt eine höhere landwirtschaftliche Schule mit mittlerer Reife. Es gab hier eine Mitscherlich-Station nach dem bewährten System des Professors Mitscherlich, die eingesandte Bodenproben auf Bedarf an Art und Menge der Düngerstoffe aufgrund praktischer Ertragsproben untersuchte.

Die Stadt Marienburg führte seit langem den Ehrennamen als Stadt der Schulen mit ihren mehrfachen Schulsystemen, u. a. mit ihrer einst von dem Hochmeister Winrich von Kniprode gegründeten Lateinschule, die zuletzt als Doppelschule, nämlich als Aufbauschule und als humanistisches Gymnasium ausgebildet war. Daneben bestanden die üblichen sonstigen Schulsysteme entsprechend einer zentral gelegenen Mittelstadt, darunter auch Lyzeum und Oberlyzeum, Berufs- und Haushaltungsschulen usw. Seit 1872 bestand hier auch ein Lehrerseminar bis zur Umorganisation der Lehrerbildung in neuerer Zeit.

So trat die Bedeutung Marienburgs als Mittelpunkt des Haupterwerbsstandes, als Kulturmittelpunkt und als Wirtschaftszentrum des Marienburger Landes wirkungsvoll in die Erscheinung. Dazu trug die überaus günstige Verkehrslage der Stadt hervorragend bei. Die in der Ordenszeit einst schiffbare Nogat, der östliche Mündungsarm der Weichsel, war in der Polenzeit versandet, führte Hochwasser und war nicht mehr schiffbar. Unter der vortrefflichen preußischen Verwaltung wurde die Nogat hochwasserfrei abgeschlossen und kanalisiert, sodass der bis zu 300 m breite Strom für 600-t-Schiffe wieder schiffbar wurde. Die Stadt Marienburg, durch Versailles 1919 durch Abtrennung des größten Teiles ihres Kreises westlich der Nogat schwer betroffen, verstand es in ihrer dadurch entstandenen Krise, ihre bemerkenswert polenfreie Lage am Ostufer der Nogat und nahe der Dreiländerecke Ostpreußen –Danzig - Polen auszuwerten. Sie legte auf einem an dem Nogatufer gelegenen Teil ihres in großzügiger neuer Bodenpolitik erworbenen 4000 Morgen großen stadteigenen Landes einen Umschlag- und Industrie-Hafen erfolgreich an. Ein Eisenbahnanschluss wurde an das Ufer mit Hafenbecken gelegt. Durch den billigen Wassertransport der Zuckerrüben und notwendigen Rohstoffe aus dem beiderseits der Nogat gelegenen besonders ertragreichen Anbaugebieten zur Fabrik, wurde die Zuckererzeugung wesentlich begünstigt. Sodann entstand unter Verwertung des reichlich anfallenden Nogatbaggersandes eine große Kalksandsteinfabrik, die ihre vortrefflichen Erzeugnisse auf dem Wasserwege nach Elbing und über das Frische Haff nach Königsberg verfrachtete. Aufgrund der Flößerei aus den oberhalb und aus Polen vorhandenen Weichsel-Wäldern fand hier eine Schneidemühlenindustrie ihren Standplatz. Daneben siedelten sich schnell Klein- und Mittelindustrien an, aber auch eine Großindustrie in Gestalt einer 1200 Arbeiter beschäftigenden international finanzierten Gummischuhfabrik großen Stils. Dadurch wurde die damalige Arbeitslosigkeit in der Stadt grundlegend erleichtert.

Besonders wichtig war die günstige Bahnlage Marienburgs an der Ostbahn Berlin – Königsberg - Eydtkuhnen mit einem von hier aus sich nach allen Richtungen anschließenden Eisenbahnnetz. Die Stadt wurde mit ihrem selbstgeschaffenen Verkehrslandeplatz an den regelmäßigen Luftverkehr angeschlossen. Ferdinand Schulz, dem genialen Weltrekordsegelflieger wurde ein städtisches Segelfluggelände mit Flugzeugbaubaracke zur Verfügung gestellt. Es gelang ferner, eine für damalige Verhältnisse starke wirtschaftlich bedeutsame Garnison der Reichswehr nach 1918 in den neuen modernen, zum Teil städtischen Kasernen, zu erhalten. Marienburg blieb auch nach 1918 Festung zur Deckung des wichtigen Eisenbahnknotenpunktes und Brückenkopfes an dem Nogat-Weichsel-Übergang.
Starke Erfolge waren der städtisch geleiteten Fremdenverkehrspflege angesichts der günstigen Verkehrslage, des vielfach erhaltenen mittelalterlichen Stadtbildes und vor allem der weltberühmten Ordens-Hauptburg beschieden, die als größter und gotischer Profanbau der Welt anerkannt und nach dem Schweizer Dichter Jakob Schaffner an Bedeutung der Alhambra und dem Kreml gleichzustellen ist.

In Stilreinheit durch den genialen Schlossbaumeister Conrad Steinbrecht unter dem letzten deutschen Kaiser in langer Lebensarbeit wiederhergestellt, übte das Schloss eine steigende Anziehungskraft aus, und gerade in seiner Lage nunmehr als Grenzburg hart an dem polnischen Korridor. Eine große Anzahl von bedeutenden Kongressen und von führenden Persönlichkeiten in- und ausländischer Staaten, der Industrie, Wirtschaft und Presse waren Besucher von Schloss und Stadt Marienburg. Großzügige Marienburg - Freilicht - Festspiele an und in der Marienburg unter der Regie des künstlerischen Leiters der Zoppoter Waldoper, des Generalintendanten der Danziger Theater, Hermann Merz, wurden veranstaltet. Das Freilichtspiel vom tapferen Leben und opfervollen Sterben des ordenstreuen Marienburger Bürgermeisters Bartholomäus Blume ist vor mehr als 2000 begeisterten Zuschauern aufgeführt worden. Auch Goethe's Egmont und Götz von Berlichingen gingen mit ersten deutschen Schauspielern und Hunderten von Laienspielern über diese Freilichtbühne.

Das volkstümlich gewordene Denkmal zur Erinnerung an das glanzvolle Deutschtumsbekenntnis des
11. Juli 1920 mit dem Wort „Dies Land bleibt deutsch" fand vor der Marienburg seinen würdigen Platz. Hindenburg, ein warmer Verehrer der Marienburg, hat es enthüllt und war ein häufiger Besucher der Burg

von seinem nahegelegenen Gut Neudeck aus. Das Äußere der Stadt wurde verbessert und gepflegt. Große Parks und weitausgreifende Wanderpromenaden längs der Nogat wurden angelegt. Ein glücklich in das alte Stadtbild eingefügtes neues Rathaus entstand neben dem zu eng gewordenen ehrwürdigen historischen Rathaus von 1300.

Die prähistorische Forschung wurde im Stadtgebiet auf städtischem Gelände gefördert. Das Ergebnis war die Auffindung, fachmännische Sichtung und Pflege von tausenden Funden in einem wissenschaftlich als wertvoll anerkannten städtischen Museum, ein Ausweis altgermanischer Besiedlung des Gebiets.

In Meisters Großem Remter, dem nach Sachkennerurteil zwischen Paris und Petersburg architektonisch, historisch und akustisch bedeutsamsten Konzertsaal fanden große Konzerte erster deutscher Tonkörper wie z. B. des Leipziger Thomaner-Chors außer häufigen anerkannten provinziellen Musikaufführungen und Musikfesten statt.

So steht uns das Marienburger Land mit seinem stolzen Mittelpunkt, der Marienburg, und ihrer regsamen Stadt in schöner, großer Erinnerung als ein wahrer Gottesgarten, der uns willig nährte, gekrönt von einem Deutschtumssymbol von dem hohen Range der Marienburg, betreut von ihrer durch alle schwer bewegten Zeiten deutschen Stadt. Ihre Treue beweist diese durch das Volksabstimmungsergebnis des Jahres 1920 mit 17 805 deutschen gegenüber nur 191 polnischen Stimmen.

Die Stadt hat durch die Schlusskämpfe im Frühjahr 1945 schwere Wunden erlitten, aber die Rathäuser stehen noch zwischen den Trümmern des schönen alten Stadtteils der „Lauben". Das Schloss ist von der Stadtseite her 6ohwer beschädigt. Die herrliche alte Schlosskirche über der stimmungsvollen Hochmeistergruft, In der 7 Hochmeister des deutschen Ordens schlummerten, darunter auch der Retter des Ordenslandes und der Marienburg nach der unglücklichen Schlacht von Tannenberg 1410, Heinrich von Plauen, ist mit dem gewaltigen Muttergottesbild völlig zerstört. Es wiederholte sich 1945 nicht der göttliche Schutz dieses kunstvollen Mosaikbildes, der einst den polnischen Geschützmeister bei Abfeuerung eines Schusses auf das Madonnenbild durch Explosion seines Geschützes erblinden ließ. Der hohe Glockenturm der Burg ist zerschossen. Aber in der Nogat spiegelt sich noch die Westseite der Marienburg. Alles was ihr angetan ist, läßt sich wieder wie einst nach der Polenzeit, wenn uns oder unseren Kindern die ersehnte Heimkehr nach unserem heiligen Recht beschieden sein wird, wiederherstellen.

Entscheidend für das Schicksal unserer ostdeutschen Heimat und ihres Symbols, der Marienburg, ist nicht die augenblickliche Machtkonstellation, vielmehr die größere Liebe zu ihnen. Und diese wird immer bei uns Deutschen sein, die wir aus Sumpf und Wildnis unter legitimer Verleihung der damaligen europäischen Mächte und auf Anruf von polnischer Seite die Hand gelegt und einen blühenden deutschen Staat geschaffen und durch alle schwären Zeiten doch erhalten haben, auf der anderen Seite aber die Unfähigkeit sehen, den durch uns erreichten hohen Stand zu halten.

„Ein Tor, wer nicht beim Anschauen dieses wirrenreichen Wandels einer großen Geschichte die vornehme Sicherheit des Gemüts und die Freiheit des hellen Auges sich zu stärken vermag, die über den Zufällen, den Torheiten und den Sünden des Augenblicks das unabänderliche Walten Weltenbauender Gesetze erkennt.“
(Heinrich von Treitschke, Das Ordensland Preußen.)