Originally published at: Jüdische Friedhöfe in der Türkei • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)
Vor dem ersten Weltkrieg gab es in der Türkei unzählige jüdische Gemeinden, die jede ihre eigenen Friedhöfe hatten. Die meisten Juden sind Nachkommen der 1492 durch die spanische Inquisition von der iberischen Halbinsel vertriebenen sephardischen Juden. Sie wurden von den Osmanen willkommen geheißen. In Izmir, der drittgrößten Stadt der Türkei, lebten 1868 etwa 40.000 Juden – es war die drittgrößte jüdische Gemeinde im Osmanischen Reich nach Saloniki und Istanbul. Heute leben in Izmir nur noch ca. 2.400 Juden. Neun der ehemals 40 Synagogen stehen heute noch im Basarviertel der Stadt. Die Gesamtzahl der in der Türkei lebenden Juden wird mit ca. 15.500 angegeben (Quelle).
Die Totenruhe der in der Erde bestatteten Juden ist ewig, eine erneute Nutzung der Gräber ist verboten. Trotzdem wird die Totenruhe immer wieder gestört durch Vandalismus oder Straßen- und Häuserbauten. Der größte jüdischen Friedhof mit angeblich einer halben Million Gräbern in Saloniki wurde im Balkanfeldzug von der SS, der deutschen Armee und griechischen Behörden dem Erdboden gleich gemacht. Das Gelände wurde der Universität zur Verfügung gestellt. Nichts erinnert mehr heute an diese Geschichte.
Auf ihrer neuen Webseite hat eine Arbeitsgruppe des Goldstein-Goren Diaspora Research Center an der Universität Tel Aviv eine digitale Datenbank jüdischer Grabsteine in der Türkei im Zeitraum 1583-1990 gestartet. Forscher, Fotografen und Helfer unter der Leitung von Prof. Minna Rozen, von der Universität Tel Aviv, reisten von 1988 bis 1990 durch die Türkei und fotografierten über 100.000 Bilder und kartierten die Friedhöfe. Die Arbeit ist Teil des Dokumentationsprojekts für das Judentum in der Türkei und auf dem Balkan. Erst jetzt wurden die nötigen Mittel bereitgestellt, um die digitalisiserten Fotos von 61.022 Grabsteinen in der Datenbank durchsuchbar zu machen. Die Forscher hoffen, auch Friedhöfe in Griechenland, Albanien und Bulgarien bearbeiten zu können.
Die Forschung in der Türkei betraf 28 verschiedene Friedhöfe, darunter den ältesten Hasköy-Friedhof von 1582 und den angrenzenden Karäerfriedhof in Istanbul, den italienischen Friedhof in Istanbul sowie mehrere kleinere Friedhöfe von Gemeinden in West- und Ostanatolien. Jüdische Gemeinden haben viele dieser Friedhöfe nach den Konflikten des 20. Jahrhunderts und der jüdischen Emigration aufgegeben. Mitte der 1980er Jahre wurde Prof. Bernard Lewis, einer der bekanntesten Orientalisten, angesprochen, bei der Rettung der jüdischen Friedhöfe zu helfen und deren Plünderung und Zerstörung zu verhindern. Zum 500. Jahrestag der Ansiedlung der spanischen Juden im Osmanischen Reich 1992 fand ein Gedenken an die Einwanderung in Istanbul mit Einverständnis der türkischen Behörden statt.
Die umfassende wissenschaftlichen Aufarbeitung und Entzifferung der hebräischen Texte besorgte Prof. Rozen in Tel Aviv. Prof. Sinha Goldin, Leiter des Goldstein-Goren Diaspora Research Instituts, und Jacov Feigerson kümmerten sich um die Datenbank und die Onlinestellung. Auf der Webseite können aus einer Übersicht aller Friedhöfe weitere Informationen, Fotos und Karten für die einzelnen Orte abgerufen werden. Öffnet man die Datenbank, so kann nach Friedhöfen, Daten, Namen und anderen Kriterien gesucht werden. Statistische Auswertungen sind möglich. Die Grabsteine sind ausführlich beschrieben, die Texte in den verschiedensten Sprachen, auch deutsch, aber meist hebräisch, entziffert, jedoch nicht übersetzt.
(via Archivalia und Jerusalem Post vom 5.7.2020)