Hinwendung zu den Benutzern. Eindrücke vom Deutschen Archivtag

Ursprünglich veröffentlicht unter: Hinwendung zu den Benutzern. Eindrücke vom Deutschen Archivtag • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)

In den vergangenen Tagen fand der 86. Deutsche Archivtag in Koblenz statt. Im Folgenden möchte ich kurz über einige dort vorgestellte und diskutierte Themen informieren. In der ersten gemeinsamen Arbeitssitzung (Thema: „Standort der Archive in der Wissensgesellschaft“) hatte ich die Gelegenheit, vor über 500 Teilnehmern über „Die Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland und die Archive“ zu sprechen. Im Kern habe ich darin für eine Wendung im archivarischen Selbstverständnis plädiert: nicht die Quellen, sondern die Menschen sollten im Mittelpunkt unserer Tätigkeit stehen. Das bedeute natürlich nicht, traditionelle Aufgaben oder Werte aufzugeben, also die Bildung einer aussagekräftigen Überlieferung, die Bewahrung und Erschließung der Quellen. Es bedeute aber, die Orientierung nach außen, hin zu den vorhandenen und potentiellen Benutzern, von einer nachrangigen zu der vorrangigen Aufgabe zu erheben.

Im Verlauf des Archivtags habe ich viele positive Rückmeldungen zu diesem Vortrag bekommen. Das bestätigte meinen Eindruck bei weiteren Veranstaltungen, dass die Hinwendung zu den Benutzerinnen und Benutzern sich für die Archive zu einem wichtigen Thema entwickelt. Das schließt die Ausweitung digitaler Angebote ein. Dazu einige Beispiele: Dr. Antje Diener-Staeckling vom LWL-Archivamt für Westfalen, Münster, berichtete in ihrem Vortrag „Vernetzung als Chance – Web 2.0 und Archivberatung“ über das „archivamtblog“ (http://archivamt.hypotheses.org/), das als Medium der Information und Interaktion zu Neuigkeiten aus dem Archivwesen in Westfalen-Lippe genutzt wird. Dagmar Blaha (Hauptstaatsarchiv Weimar) stellte das „Digitale Archiv der Reformation“ (http://www.reformationsportal.de/startseite.html) vor. In den Compgen-Medien wurde bereits darüber berichtet, trotzdem sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass mit den über 35.000 Scans von Visitationsprotokollen aus Hessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen hochinteressante Quellen für die lokalhistorische Forschung für die Online-Recherche zur Verfügung stehen. Im „Schaufenster“ sind über 100 Dokumente intensiv bearbeitet und ermöglichen auch Einsteigern einen Zugang zu originalen Quellen des 16. Jahrhunderts. Für Einsteiger und Fortgeschrittene wurde die „Digitale Schriftkunde“ (http://www.gda.bayern.de/DigitaleSchriftkunde/) der Staatlichen Archive Bayerns entwickelt, über die Dr. Julian Holzapfl (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns) informierte. Die Website bietet sehr gute Möglichkeiten für den Erwerb von Lese- und quellenkundlichen Fertigkeiten; die Beispiele stammen aus staatlichen Archiven Bayerns, sind aber durch ihre Auswahl und Aufbereitung für alle Menschen geeignet, die ihre Fertigkeiten im Umgang mit historischen Quellen ausbauen möchten.

Die Hinwendung zu den Nutzern zeigte sich besonders deutlich in der Nutzerumfrage, die das Hessische Landesarchiv in diesem Jahr durchgeführt hat und die von Dr. Christian Reinhardt (Hessisches Landesarchiv) und Prof. Sebastian Mundt (Hochschule der Medien Stuttgart) vorgestellt wurde. Erste Ergebnisse sind auch bereits auf der Website des Landesarchivs veröffentlicht (https://landesarchiv.hessen.de/aktuelles/nutzerumfrage). Das Landesarchiv will seine Arbeit verstärkt an den Erwartungen und Wünschen der Nutzer ausrichten und als kurzfristig zu realisierende Maßnahmen WLAN-Zugänge in den Lesesälen einrichten und die selbständige Ablichtung von Archivgut erlauben (Aufhebung des grundsätzlichen Fotografierverbots). Dabei wird es natürlich – wie auch das Bundesarchiv, das ebenfalls das selbständige Fotografieren / Scannen von Archivgut nicht mehr grundsätzlich verbietet – auf den Schutz von noch Schutzfristen unterliegenden personenbezogenen Daten achten.

Der Deutsche Archivtag in Koblenz bot eine Fülle von Veranstaltungen zu verschiedenen archivfachlichen Themen – an dieser Stelle können natürlich nur einige Eindrücke geschildert werden. Dass die Familiengeschichtsforscher zunehmend als ernstzunehmende Partner wahrgenommen werden, zeigte die Ankündigung der Tagung „Genealogie PLUS“, die am 24./25. November im Hessischen Landesarchiv in Marburg stattfinden wird. Compgen wird dort mit einem Vortrag über „Familiengeschichtsforschung in Zeiten der Digitalisierung. Trends und Perspektiven“ vertreten sein.

Thekla Kluttig, Mitglied des Vorstands