Heuerling etc

Hallo, Thomas und andere Heuerling-Interessierte,

unter meinen Ahnen im Raum Verl (Bornholte, Hövelhof, Rietberg) habe ich eine ganze Reihe von von Köttern und Heuerlingen. Zum Beispiel, meine Heuerlinge und Kötter der Familie Henkenjohann stammen von einem Colon (= Bauer, Hofstättenbesitzer) Henkenjohann in Verl ab. Manchmal findet man bei den Heuerlingen im Kirchenbuch z.B. den Namen "Henkenjohann bey Dreyer" (nur als Beispiel).
Und auch wenn eigenes Land vorhanden war: Nicht jeder Hof konnte so oft geteilt werden, dass für jeden Sohn ein Stück „eigenes Land“ übrigblieb! Manche Heuerlinge waren sogar Erbpächter, hatten also Erbpachtland.

Es gab auf den Höfen auch Anerben, Beilieger, Erbpächter und auch noch andere "Besitzklassen". Es gibt andere Ahnenforscher, die sich da besser auskennen als ich. Ich will mich künftig noch näher mit den Heuerlingen und Köttern befassen. Dies ist jedoch gewiss: Sie waren arm. Sie bezahlten eine Pacht für die Nutzung des Kottens und des ihnen überlassenen (meist kleinen) Landstückes und verpflichteten sich NEBEN DER EIGENEN ARBEIT zur MITHILFE bei Ackerarbeit oder anderen Arbeiten auf dem Hof oder Großgrundstück des Großbesitzers.
Also waren sie wohl meist Ackerer, Ackersmann, die ein Stück Land gegen Pacht nutzen durften, gegen eine Geldpacht und/oder zusätzliche Arbeit auf dem Großgrundstück des Pachtgebers. In den Kirchenbüchern steht allerdings "Heuerling" oder "Kötter".
Wegen der eigenen Armut verdingten sie sich oft auch als Tagelöhner z.B. als Hollandgänger. Die Familie (Frau, Kinder) blieben dann oft wochenlang, monatelang zurück im Kotten, den die Frau alleine, mit den Kindern, bewirtschaften musste.
Sie fühlten sich der Scholle verbunden, also dem Grund und Boden, und waren im Grunde ihres Herzens "Kleinbauern". Meist hatten sie auch etwas eigenes Nutzvieh und Schlachtvieh. Auch als die Heuerlinge/ Kötter dann gegen Ende dees 19. Jh. in den Fabriken z.B. als Schlosser Arbeit fanden, haben sie sich zu Hause ein oder zwei Schweine, eine Ziege und ein paar Hühner gehalten, und man hatte seinen Kartoffel- und Gemüseacker hinter dem bescheidenen Kotten, man war Selbstversorger! Teils sind übrigens heute noch Kotten erhalten und restauriert. Einige sind - nach heutigem Empfinden - wunderschön!

Ich zitiere mal aus dem mir vorliegenden - heimatkundlich sehr interessanten! – älteren Buch (1968) „Sennestadt, Geschichte einer Landschaft“ (Verlag Gundlach KG, Bielefeld, Herausgeber: Stadt Sennestadt, verschiedene Autoren, leider vergriffen). Dort wird u.a. das Leben der Heuerlinge und anderer Einwohner beschrieben. Die Sennestadt (eingemeindet zu Bielefeld) befindet sich nicht weit von Verl.

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Zitatbeginn:
anheuern = anpachten, anmieten.
Heuerling ist ein Mieter auf fremdem Grund.
Köttter: von Kotten, Kate = Hütte:

Weiter Zitat aus dem Buch:
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Seite 291
II. Die Kötter oder Heuerlinge:
Während der Zeit von 1556 – 1834 nahmen die urkundlich aufgeführten Siedler (Anmerkung: Es sind Urkunden in diesem Buch abgebildet) auf ihrem Gehöft „die inplantzung der eygen luyden“ (die Einsetzung von Eigenbehörigen, Einliegern, Köttern) in Kotten, Katen, Backhäusern und Leibzuchten (aufs Altenteil) mit der Bestimmung gegenseitiger Ackerhilfe vor. (Eigene Anmerkung: mit Züchtigen hat das NICHTS zu tun, sondern mit Altenteil).
Weiter im Zitat: Die Bewohner der 47 Eigenstätten des Praestationsregisters erstellten bis 1721 schlecht und recht 17 Leibzuchten (also Altenteile!) und 27 Kotten. 100 Jahre später, 1828, besagt eine Tabelle über die Gemeinde Senne II in der handschriftlichen Chronik des Amtes Brackwede (Bd.1):
Das Resultat der am Schlusse dieses Jahres aufgenommenen statistischen Tabelle pro 1828 hat sich folgender Art gezeigt:

---Hier werden jetzt die einzelnen Kotten und Wohnungen aufgeführt (kann ich gerne scannen, falls sich jemand dafür interessiert).
usw usw
Weiter im Zitat:
Was für ganz Ravensberg galt: „In Ravensberg hat sich die Zahl der Heuerlinge von 1550 – 1672 verzehnfacht („Quelle: Das Heuerlingwwesen in Nordwestdeutschland“, von Hans Jürgen Seraphim, Seite 17, Verlag Aschendorf, Münster). Das gilt auch für die spätere Siedlerzeit der Ravensbergischen Senne. Auf eine Hofstätte kamen um 1840 etwa 20 Bewohner – der Kolonatsbesitzer und seine Heuerlinge. Deren Zahl stieg auch jetzt noch, das beweisen die Einwohnerzahlen der Sennegmeinde von 1839 (984 Einwohner) und 1843 (1129 Einwohner). Da in diese Zeit keine Hofgründung fällt, nimmt also in diesen vier Jahren der Heuerlingsstand um etwa 15 Prozent zu.
Selbstverständlich konnten diese Kötter nicht alle „auf dem Hofe“ arbeiten und „von dem Hofe“ leben. Zum Teil wanderten sie jährlich über die Rheinbrücken (Hollandgänger) zur Wiesenmaht oder als Ziegler ins Rheinland. Doch der größere Teil blieb zurück. Sie saßen in Wohnungen von nur geringer Flächengröße. Im Stall fanden sich wenige Stück Vieh, das sich auf dem kargen Heidepachtland kaum ernähren konnte. Da im Senner Heideland nur geringe Frucht geerntet werden konnte, war ihre wirtschaftliche Grundlage weit weniger gesichert als die der Kötter der Ravensberger Mulde. Allein das Handspinnen und Handweben bei fünfzehnstündiger Arbeitszeit der ganzen Familie musste also die anspruchslosen Heidebewohner ernähren. Bis um 1850 konnte man damit sein Leben fristen, doch dann gab es trotz feinster Handarbeit bittere Not. Denn die Konkurrenz der in den Jahren von 1830 – 1850 aus England eingeführten Spinnmaschinen nahm den Sennern das Brot (Siehe hierzu
den Bericht über das Spinner- und Weberelend in der Senne von C. H. Bitter aus dem Jahre 1853, S. 176). Deshalb ist damals z.B. „der alte Niebuhr vom Beckhofe zu Fuß nach Vlotho gegangen und hat dort für seine 12 Kinder (billiges) Korn gekauft. Den ganzen Scheffel hat er auf dem Kopfe nach Hause getragen (Chronik der Schule Kracks, Seite 34). In dieser Notzeit fanden die Heepensenner vereinzelt Arbeit und Brot beim Bau der Köln-Mindener Eisenbahn. Sie scheuten nicht den weiten Weg zur Arbeitsstelle, aber die schweren Erdarbeiten waren für die Hände der Spinner infolge der dünnen Haut ungewohnt und sehr schmerzvoll. Ihrer Verbitterung gaben sie Ausdruck:
„Hier müssen wir uns müh’n und plagen,
dort fahren wir im Kutschwagen.
Drum, Brüder, rufet: Ja!
Wir fahren nach Amerika!"

Die Überfahrt ins Wunsch- und Traumland Amerika war wegen der hohen Kosten jedoch nur der Familie Esselmann möglich. Sie veräußerte ihre Hofstätte, um das Reisegeld zusammenzubekommen.
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-Soweit der Abschnitt aus dem Buch.

Das Buch ist heimatgeschichtlich sehr interessant, nicht nur für gebürtige Senner! Es ist zwar vergriffen, aber ich habe vor ca. einem Jahr in einer Buchhandlung noch ein übrig gebliebenen Exemplar ergattern können. Sicherlich findet man es hier und da bei Ebay oder bei Booklooker.

Korrekturen und/oder Ergänzungen zu diesem Thema sind willkommen!
Viele Grüße,
Elke ( Spiech )

-------- Original-Nachricht --------

Hallo Elke und andere,

gerade in der ehemaligen Grafschaft Rietberg gab es einige Besonderheiten die
man im Rietberger Landrecht von 1697 [1] nachlesen kann.

[1] Datei:Rietberger-Landrecht 1697.djvu – GenWiki

Viele Grüße

Guido (Hanebrink)