Haben die Isländer da ein Problem?

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Die Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage lautet: Vielleicht. Denn es sind zu wenig Menschen. Nach den jüngsten amtlichen Zahlen des statistischen Amtes von Island vom 1. Januar 2021 beträgt die Bevölkerungszahl in Island 368.792 Personen, davon 189.043 Männer und 179.749 Frauen. Immerhin ein Wachstum von 1,1 % bei den Männer und 1,4 % bei den Frauen gegenüber dem Vorjahr. Die Bevölkerung wächst langsam. 1970 waren es noch ca. 200.000. Über 60 % leben in der Region der Hauptstadt Reykjavik. Island gehört zu den am dünnsten besiedelten Gebieten auf der Welt. In der isländischen Gesellschaft ist Ahnenforschung sehr angesagt, vor allem bei der Partnersuche.

Rudolf Hermann berichtete in der Neuen Züricher Zeitung, warum den Isländern die Ahnenforschung so wichtig ist:

Die Isländerinnen und Isländer interessieren sich für Genealogie, Familie und Identität. Viele haben ihr Erbgut analysieren lassen. Das hilft bei der Erforschung von Erbkrankheiten.“

Isländer wissen viel über ihre Vorfahren

Sie haben eine lange Tradition in der Geschichtsschreibung und Sammlung von genealogischen Daten. Bereits um 1125 hat der Isländer Ari Þorgilsson (Ari der Gelehrte) die Geschichte Islands von der Besiedlung durch die Norweger im historischen Íslendingabók aufgeschrieben und genealogische Register und Königsbiografien gesammelt. Das Werk gibt es nur noch in Abschriften des 17. Jahrhundert.

Das Wissen ist gespeichert in der genealogischen Online-Datenbank Íslendingabók. Es enthält die Genealogien für 95 % der Isländer seit 1703. Die Daten von über 900.000 Personen sind abrufbar, allerdings nur für Menschen, die eine isländische ID-Nummer haben und beschränkt auf nahe und direkte Verwandte sowie alle vor 1700 Geborenen. Die heutige Bevölkerung ist zu 100 % erfasst. Die Bevölkerung von 874 bis 1703 ist etwa zur Hälfte in der Datenbank enthalten.

Die moderne Datenbank Íslendingabók basiert auf vielen Quellen, z.B. die weltweit älteste Volkszählung der Isländer von 1703. Seit 1835 gab es die Volkszählung alle fünf Jahre, ab 1860 alle zehn Jahre. Kirchenbücher gibt es ab 1783, einige sogar schon vor 1700. Das Nationalarchiv hat sie digitalisiert.

Eine App führt zur DNA-Datenbank

Aber nicht nur Stammbäume sind gespeichert. Kari Stefansson (* 1949), Neurologe, Gründer und Chef der Firma deCODE, hat mit seinen umfangreichen genetischen Studien Ende der 1990er Jahre in großem Maßstab die DNA der Isländer untersucht und Daten für diese Datenbank gesammelt. Etwa 70 % aller Erwachsenen haben mitgemacht, von etwas 60.000 wurde das komplette Genom sequenziert.

Die meisten Nutzer der Datenbank sind heutzutage junge Leute zwischen 21 und 30 Jahren. Sie sind im Internet und den sozialen Medien gut vernetzt und verbringen viel Zeit mit Surfen im Netz. Aber wieso in dieser Datenbank? Vermutet wird, dass die Jugend bei der Partnersuche den eigenen familiären Hintergrund und den des Freundes bzw. der Partnerin anschauen will. Bin ich vielleicht verwandt mit dem neuen Freund oder der potenziellen Partnerin? Inzest oder Inzucht möchte man vermeiden. Dafür gibt es sogar schon eine App für das Smartphone auf Basis der Íslendingabók-Datenbank: Tippt man die beiden Mobiltelefone der beiden gegeneinander an, so wird mitgeteilt, ob und wie nahe sie miteinander verwandt sind. Ein lustiger Videofilm (auf Englisch) zeigt den praktischen Nutzen. Titel: „Bump the app before you bump in bed“.