Großbritannien: Testamente digitalisieren und Originale vernichten?

Originally published at: Großbritannien: Testamente digitalisieren und Originale vernichten? • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)

Am 15. Dezember 2023 hat die Regierung von Großbritannien ein Konsultationspapier zur „Aufbewahrung und Speicherung von Testaments-Originalen“ veröffentlicht. Massive Kritik gab es schon in den ersten 48 Stunden nach der Veröffentlichung an den Vorschlägen von Mike Freer, dem Parlamentarischen Staatssekretär für Justiz; sein Plan war, Testamente zu digitalisieren und die Originale nach 25 Jahren aus Kostengründen zu vernichten. Ausdrücklich ausgenommen waren dabei nur Testamente von berühmten Persönlichkeiten. Widersprüche und Änderungsvorschläge konnten bis zum 23. Februar 2024 eingereicht werden.

Daraufhin hat der britische Genealoge Richard Holt eine Petition „SaveOurWills!“ („Rettet unsere Testamente!“) gestartet mit der Forderung, dass die Original von Testamenten im Einklang mit der jetzt geltenden Gesetzgebung auf Dauer aufbewahrt werden. Sie wurde von 15.103 Personen unterzeichnet. Es folgten viele weitere ausführliche Stellungnahmen (z.B. hier oder hier). Eine Begründung gegen die Vernichtung der Dokumente war, dass ein dauerhafter Erhalt als digitalisierte Daten zweifelhaft ist. Die Proteste erweckten auch Aufmerksamkeit in Frankreich und Deutschland, u.a. beim Weblog Archivalia. Eine Zusammenfassung und Analyse der Antworten wird im Sommer 2024 von der Regierung veröffentlicht.

Bisheriges Recht

Das aktuelle britische Recht schreibt vor, dass der HM Courts & Tribunals Service (HMCTS, Nachlassgericht; seit 1858 Nachfolger der kirchlichen Gerichte) Original-Testamente zeitlich unbegrenzt aufbewahren muss. Die ältesten Urkunden stammen aus dem Jahr 1858. Wer bei der HMCTS registriert ist, kann sie gegen Gebühr einsehen und (digitale) Kopien erhalten (mit Ausnahme von „versiegelten“ Testamenten). Seit 2021 werden systematisch digitale Kopien aller bei öffentlichen Stellen hinterlegten neuen Testamente erstellt. Neben den Testamenten selbst gibt es weitere Gerichtsdokumente und Belege im Nachlassregister, für die unterschiedliche Aufbewahrungsfristen gelten. Testamente aus der Zeit vor 1858 werden von den britischen Nationalarchiven aufbewahrt und sind damit dauerhaft vor der Vernichtung geschützt.

Als Hauptgrund für die Digitalisierung und Vernichtung der Testamente werden hohe Aufbewahrungskosten genannt: Schätzungen beziffern sie auf über 4,5 Millionen Pfund pro Jahr – bei weiteren Kostensteigerung Jahr für Jahr für die Aufbewahrung der rund 110 Millionen Papierdokumente.

Proteste von Genealogen und Historikern

Die Empörung bei Genealogen und (Lokal-)Historikern in Großbritannien und im Ausland ist groß. Zwar ist die Digitalisierung von Testamenten und anderen Dokumenten für die Familien- und Ahnenforschung selbstverständlich sehr willkommen, denn damit werden sie besser zugänglich. Doch die Annahme, dass mit der Digitalisierung auch die Bewahrung der Urkunden für alle Zeiten gesichert sei, ist falsch. Bei der Regierungsinitiative steht die Einsparung von Geld im Vordergrund. Eine kurzsichtige Entscheidung! Die Testamente gehören nach der Digitalisierung in das Nationalarchiv, so die Meinung der Forscher und Historiker.

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Nun, da kann man m E auch anderer Meinung sein.

Das ist ein durchaus valider Punkt, nur ist die Umkehrung dieses Punktes (die physikalische Aufbewahrung der Urkunden sichert ihre Bewahrung für alle Zeiten) genauso falsch. Es sind schon Archive abgebrannt oder eingestürzt, wie wir uns alle erinnern. Ganz abgesehen von der prinzipiellen Frage, wie lange lagerbar modernes Schreib- und Druck-Papier generell ist.

Mich wundert ein bisschen, dass der m E einzige stichhaltige Grund, der gegen das Vorhaben spricht, in den empörten Reaktionen anscheinend völlig fehlt. Und dieser Punkt wäre, dass man nur an den Originalen (kriminaltechnische) Untersuchungen durchführen kann, welche in späteren Zeiten helfen könnten, Fälschungen zu identifizieren. Man könnte folglich zum Schluss kommen, dass die Empörung mehr aus dem Bauch kommst und nicht auf einer rationalen Argumentation basiert.

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