Fragliche Vaterschaft bei den Vorfahren – viel seltener als oft behauptet

Originally published at: Fragliche Vaterschaft bei den Vorfahren – viel seltener als oft behauptet • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)

Bei der Familien- und Ahnenforschung finden wir in der Regel eheliche Nachkommen; gelegentlich gibt es aber Hinweise auf nicht- bzw. vorehelich („illegitim“) geborene Kinder. Fast nie erfahren wir aus den Quellen, wenn die rechtliche und die biologische Vaterschaft nicht übereinstimmen. Wie häufig waren solche „Kuckuckskinder“ bei unseren Vorfahren? Nach neueren Untersuchungen ist diese fragliche Vaterschaft bei den Vorfahren viel seltener, als oft behauptet wird.


Lange Zeit konnte man nur spekulieren, und das wurde auch getan. Bis zu zehn Prozent der ehelich geborenen Kinder, so eine gängige Vermutung, hätten nicht den Ehemann der Mutter zum Vater. Der belgische Genetik-Professor Maarten Larmuseau ist jemand, der handfeste Daten liefern kann. Für westliche Länder wie Belgien kommt er für die letzten 500 Jahre auf die beruhigende Durchschnitts-Quote von rund einem Prozent, wie ein Artikel „Paternity detective“ im Wissenschaftsmagazin „Science“ vom 7. März 2025 berichtet.

An der Katholieke Universiteit Leuven nutzt Larmuseau, selbst Familienforscher, schon lange die Möglichkeiten der DNA-Genealogie für seine Forschung. Belgien ist ein gutes Terrain für derartige Recherchen, denn sehr viele Menschen interessieren sich für ihre Familiengeschichte, und die Archive bieten ihnen gute Möglichkeiten.

DNA-genealogische Recherchen

In einem ersten Forschungsprojekt verfolgte Larmuseau rein männliche Linien durch den Vergleich von Y-Chromosomen bei Männern. Um ganz sicher zu sein, untersuchte er in einem zweiten Projekt die mitochondriale DNA, die Männer und Frauen nur von ihrer Mutter erben. In beiden Fällen verglich er Menschen, deren gemeinsame Vorfahren mindestens vier Generationen zurück liegen. Denn aus einem anderen Forschungsprojekt weiß er, wie die Entdeckung einer nicht-biologischen Vaterschaft bei näheren Vorfahren Menschen aus der Bahn werfen kann. Allerdings reagierten einige Probanden auch heftig auf die Entdeckung weit zurückliegender Fälle von „extra-pair paternity“, kurz EPP, wie Larmuseau es nennt – also: Vaterschaft außerhalb der Paarbeziehung.

Soziale Hintergründe

Die Hintergründe einer EPP zu ermitteln, dürfte nach so langer Zeit in den meisten Fällen kaum möglich sein. Romantische Eskapade? Vergewaltigung? Oder die einzige Möglichkeit für Nachkommen, weil der Ehemann unfruchtbar war (und die Herkunft der Kinder vielleicht sogar kannte)? Welche Rolle das soziale Umfeld und die Lebensumstände spielen, konnte Larmuseau durch den Zeitpunkt von außerehelicher Vaterschaft zeigen. Der ließ sich durch den Vergleich unterschiedlich langer Ahnenreihen ermitteln. So fand er im 19. Jahrhundert bis zu sechsmal höhere Quoten von EPP in den anonymen, überbevölkerten und verarmten Slums großer niederländischer und belgischer Städte. Dagegen hatten, was wenig überraschend ist, Frauen auf dem Dorf – unter ständiger Beobachtung ihrer Nachbarn – unterdurchschnittlich wenige Kinder außerhalb der Ehe.

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Ein sehr guter Beitrag, der dazu beiträgt, das Thema zu entdramatisieren. Oft werden wissenschaftliche Forschungsergebnisse in den Medien ja möglichst aufregend dargestellt. Ich finde auch Renate Ells Begriff „Fragliche Vaterschaft“ gut getroffen.

Was auf der zwischenmenschlichen Ebene dahintersteht, können wir weder aus DNA noch aus Kirchenbüchern letztlich ermitteln. Der unschöne Begriff „Kuckuckskind“ unterstellt Heimlichkeit und bösen Willen. Ich halte es aber für plausibel, dass innerfamiliär nicht selten offen und vertrauensvoll mit der Situation umgegangen wurde - soweit die soziale Kontrolle es zuließ.

Lieber Herr Fertig

„Ihre Hoffnung“: „Ich halte es aber für plausibel, dass innerfamiliär nicht selten offen und vertrauensvoll mit der Situation umgegangen wurde“ ist vermutlich nicht ganz berechtig, wenn man weiß, wie nicht der Vater sondern die Mutter und besonders auch ihr Kind unter dieser Situation leiden mussten. Da es vor ca. 300mJahren noch keine Babyklappen gab wurden die Kinder oft bei Kirchen abgelegt, teilweise sogar mit der handschriftlichen nicht offiziellen Nachricht, dass sie schon auf den Nam NN getauft worden waren. Diesen Kindern wurden von den Zünften eine Ausbildung verwehrt – sie waren ja unehelich und damit wertlos resp. ein Produkt der Sünde.

Nach ei em Vortrag vor einigen Jahren von einem Mitarbeiter der Erzdiözese München-Freising zweifele ich an dem „offenen vertrauensvollen Umgang“, es gibt aber auch andere Beispiele: ein Ahnonkel von mir hatte mit seiner Freundin vier Kinder, beim letzten hat der Pfarrer freundlicher Weise nach dem Taufeintrag handschriftlich „Hurenkind“ vermerkt. Ich vermute, dass dieser vierfache Vater Soldat war, der dann, als er die Heiratserlaubnis bekam, die Mutter seiner Kinder geheiratet hat und die Kinder p.m.s. legitimiert hat. „Hat aber nichts genutzt, der Zweig ist zwei Generationen später ausgestorben.

Mit freundlichem Gruß

W. v. Restorff

NB: Karl Valentin sagte; „Wenn es regnet, freue ich mich, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“

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Lieber Herr von Restorff,

genau deshalb gab es Anreize genug, den Herren Pfarrern nicht alles zu erzählen, was zwischen zwei Menschen so vorkam… Wir wissen viel, aber nicht alles.

Beste Grüße, Georg Fertig

Solange es dafür keine Belege gibt, können wir es aber nur vermuten. Zumal die Mutter, je nach ihren Lebensumständen, auch nicht immer sicher sein konnte, von wem das Kind stammt (außer, es sah dem Vater sehr ähnlich). Erst die Entdeckung der Blutgruppen und ihrer Vererbung ermöglichten einen Vaterschaftstest, der je nach Blutgruppe bei Eltern und Kind aber auch nicht immer eindeutig war.

Genau, wir wissen es nicht - und auch früher wurde nicht alles gewusst. Dann aber entstanden Methoden, Dinge zu wissen, die zuvor gar kein Gegenstand des Wissens gewesen waren. Und die hatten dann Konsequenzen. Das ist das Grundthema der Wissensgeschichte.