"ein Abenteuer zu sich selbst mit offenem Ausgang". Ahnenforschungs-Sendung im Deutschlandfunk

Ursprünglich veröffentlicht unter: "ein Abenteuer zu sich selbst mit offenem Ausgang". Ahnenforschungs-Sendung im Deutschlandfunk • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)

Die Ahnenforschung übt für immer mehr Menschen eine große Faszination aus. Diesem Statement auf der Informationsseite zur Sendung Ahnenforschung: Auf den Spuren der Vorfahren, die am 14. Juni im Deutschlandfunk live gesendet wurde, kann man nur zustimmen. Warum das so ist, wurde im Verlauf sehr deutlich. Sie kann online nachgehört werden (66 Minuten Dauer, Direktlink am Ende dieses Beitrags), hier soll aber eine Zusammenfassung geboten werden.

Nach einem Einstieg mit einigen Stimmen von Menschen aus Neuss und ihrer Meinung zur Ahnenforschung folgte eine Vorstellungsrunde der Studiogäste: Unser Gründungsmitglied Dr. Günter Junkers, sehr aktives Mitglied u. a. bei der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde und bei CompGen, von Hause aus Chemiker, schilderte seinen jugendlichen Einstieg in die Familienforschung und das dahinter stehende Interesse an dem Leben der Menschen in früheren Zeiten. Katrin Heil, Historikerin und Archivarin im Sächsischen Staatsarchiv, Referat Deutsche Zentralstelle für Genealogie / Sonderbestände, war aus Leipzig zugeschaltet und gab einen kurzen Einblick in die dortige Unterstützung familienkundlicher Recherchen. Die Anfragen sind privater Natur, aber ebenso mit wissenschaftlichem Hintergrund (z. B. bei der Provenienzforschung) oder aus anderen Kontexten (z. B. bei Stolperstein-Projekten in Leipzig). Die Historikerin, Berufsgenealogin und Familienforscherin Franziska Jahn erzählte abschließend von ihrem Weg zur Familienforschung, der ursprünglich einen privat-familiären Ausgangspunkt hatte, dann aber von zunehmender Faszination und Freude an der familienkundlichen Forschung geprägt war. In Kombination mit einem historischen Fachstudium mündete er in der professionellen Erbenermittlung und Familienforschung.

Schon in der Vorstellungsrunde wurde deutlich, dass die Motive für Familienforschung sehr vielfältig sind. Sie ist nicht beschränkt auf die „Ahnen“ (also direkte Vorfahren), sondern bezieht oft auch weitere Verwandtschaft ein. Sie kann ausgehen von einem einzelnen Vorfahren und der Ermittlung von dessen Nachkommen. Und sie kann münden in – sehr lebendige – Familientreffen. Einen guten Einstieg in die Thematik bieten die vielfältigen Angebote im Internet, darunter die Webseiten regionaler genealogischer Vereine und natürlich des Vereins für Computergenealogie e. V.; tiefer gehende Forschung bezieht die Quellen in Archiven mit ein. Empfehlenswert ist immer die Befragung von v. a. älteren Familienmitgliedern im Familien- und Verwandtenkreis, z. B. zur Identifizierung von Personen auf alten Familienfotos.

Nach der Einblendung von Hörer-Beiträgen widmete sich die Sendung einem wichtigen – die Familienforschung in Deutschland mit prägenden – Thema: Dem Blick auf die Geschichte der eigenen Familie im Nationalsozialismus. Zugeschaltet wurde der Filmregisseur und Autor Chris Kraus, der sich in seinen Werken mit der Geschichte seiner baltischstämmigen, bildungsbürgerlichen Familie auseinandergesetzt hat. Ende der 1990er Jahre brachte eine Fußnote in einem Sachbuch Kraus auf die Spur: Neben einer offiziellen gab es die inoffizielle Familiengeschichte mit dunklen Seiten, die in der familiären Erinnerung weggeblendet worden waren. Kraus stieg durch seine Forschungen in den „Keller der Familienerinnerung“: Sein Großvater wie auch dessen Brüder waren in einer SS-Einsatzgruppe und als Nationalsozialisten an Gräueltaten beteiligt.

Kraus beschrieb eindrucksvoll, wie das Thema ihn über ein Jahrzehnt umtrieb. Es gab großen Widerstand in der Familie, auch Unkenntnis – noch heute gibt es sehr verschiedene Ansichten innerhalb der Familie zwischen Ablehnung und Zustimmung zu dieser intensiven und kritischen Erforschung der familiären Vergangenheit. Trotz aller schwierigen Begleitumstände ist Kraus mit seiner, nun abgeschlossenen, Forschung im Reinen: Es sei richtig gewesen, sich der eigenen Familiengeschichte zu stellen, dies sei „ein Abenteuer zu sich selbst mit offenem Ausgang“.

Kraus wies an dieser Stelle auf einen eigentümlichen Umstand hin: Neben Nachkommen adliger Familien haben vor allem Nachfahren von SS-Angehörigen eine höhere Wahrscheinlichkeit, auf genealogische Dokumente zurückgreifen zu können, da diese den sogenannten „großer Ariernachweis“ erbringen mussten (bis zum Jahr 1750 zurück). Hingegen ist die Ausgangslage für Nachfahren von Opfern des Holocaust deutlich schlechter. Die Archivarin Katrin Heil bestätigte, dass jüdische Personenstandsunterlagen zum Teil vernichtet, zum Teil in alle Welt verstreut wurden. Trotzdem kann es Quellen z. B. in staatlichem Archivgut geben, wie die Recherchen im Archivgut des Staatsarchivs Leipzig im Rahmen von Stolperstein-Projekten immer wieder zeigen.

Die Möglichkeiten zur Erforschung der Vorfahren und ihres Lebens hängen in verschiedener Hinsicht von der archivalischen Überlieferung ab. Heil wies darauf hin, dass für die meisten Menschen eine schriftliche Überlieferung in Archiven mit dem 30jährigen Krieg – im 17. Jahrhundert – endet. In früheren Zeiten, die von einer deutlich geringeren Schriftlichkeit geprägt waren, sind vor allem zu Angehörigen des Adels Quellen entstanden (z. B. Urkunden zu Eigentumsübertragungen) und heute noch in Archiven vorhanden. Franziska Jahn bestätigte zusammenfassend: Quellen sind nicht immer da, wenn wir sie brauchen und sind nicht immer die, die wir gerne hätten. Auch sie hat Erfahrungen mit Familiengeschichten in der NS-Vergangenheit.

Chris Kraus hatte auf die transgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen hingewiesen: schwerwiegende Erfahrungen (Leid, Verstrickung, Täterschaft) werden bewusst oder unbewusst an die Folgegenerationen weitergegeben und können damit das Leben dieser – nachgeborenen – Menschen belasten. Deutlich wurde dies am Beispiel einer anrufenden Hörerin: Ihr Vater war gestorben, als sie 18 war. Er hatte über sein Leben vor 1945 geschwiegen und sie hatte gedacht, dass er Nationalsozialist gewesen sei. Aber erst als ihre Kinder Fragen zum Großvater stellten, versuchte sie, Licht ins Dunkel zu bringen. Quellen aus der WAST [seit dem 1. Januar 2019 eine Abteilung des Bundesarchivs] belegten, dass ihr Vater als gläubiger Katholik widerständig und als 15jähriger aus der Hitlerjugend ausgeschlossen worden war. Das Wissen über diese ganz andere Geschichte des Vaters habe auch ihr eigenes (Selbst-)Bewusstsein verändert.

An weiteren Beispielen aus der beruflichen Praxis von Franziska Jahn und in Hörerbeiträgen wurde deutlich: Ahnenforschung ist etwas sehr Individuelles. Sie kann dem forschen Motto „nun schaun wir mal, wie weit wir zurückkommen“ folgen, sie kann aber auch durch individuelles Unwohlsein (irgendwas ist da dunkel und unklar in der familiären Vergangenheit) ausgelöst sein. Und das Schönste kann daran auch sein, immer etwas über Geschichte zu lernen. Hier waren sich die Studiogäste einig: reine „Datensammelei“ verliert schnell den Reiz. Spannender ist es, die Geschichte hinter den Daten zu finden und etwas über das Leben der Vorfahren herauszufinden. Auch wenn die tatsächlichen Ereignisse von der familiären Erzähl-Tradition abweichen.

Insofern können die großen genealogischen Datenbanken im Internet (seien sie open access oder kommerziell) einen Einstieg bieten und hilfreich sein. Sie müssen aber auch mit Vorsicht betrachtet werden. Jahn wies hier auf Fehler bei den Transkriptionen und die notwendige Quellenkritik bei eingereichten Datensammlungen hin. Auch Junkers riet zur Vorsicht bei der Übernahme von fremden Genealogien. Eine solide Grundlage bieten nur die authentischen historischen Zeugnisse (standesamtliche Urkunden, Melderegister, Kirchenbücher etc.), kurz: die Primärquellen in den Archiven. Junkers warb zudem für die genealogischen Vereine als Anlaufpunkte für Einsteiger. Hierzu zählen auch Angebote wie das Genealogische Lexikon GenWiki und die Datenbanken des Vereins für Computergenealogie.

Dem Hinweis eines Hörers auf die DNA-Genealogie konnte in der Sendung aus Zeitgründen nicht mehr näher nachgegangen werden. Er selbst habe darüber Verwandte gefunden: „da gibt es wirklich weltweite Vernetzungen, die man nutzen kann“. Zweifellos ein wichtiges – und auch in unserem Verein kontrovers diskutiertes – Thema.

Fazit der Berichterstatterin: Die Sendung zeigte deutlich, dass es DIE Ahnenforschung nicht gibt. Menschen begeben sich aus sehr verschiedenen Motiven auf die Spuren ihrer Vorfahren. Welche Wege sie beschreiten können und welche Erfahrungen sie dabei machen, zeigte die Sendung an einigen konkreten Beispielen der Studio-Gäste und aus der Hörerschaft. Deutlich wurde, dass neben den Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten im Internet auch die historischen Quellen in den Archiven von erheblicher Bedeutung sind, die Quellenlage aber sehr verschieden sein kann. Etwas kurz kamen konkrete Tipps, wie man als Einsteiger mit der Familienforschung beginnen kann. Aber dafür gibt es ja die druckfrische, aktuelle Ausgabe unseres Magazins FAMILIENFORSCHUNG.

Und wer die (im Zusammenschnitt gut einstündige) Live-Sendung des Deutschlandfunkes nachhören möchte, kann dies hier tun: