DES-Projekt Hochschulschriften: Das Frauenstudium in Deutschland

Originally published at: DES-Projekt Hochschulschriften: Das Frauenstudium in Deutschland • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)

Seit dem 6. Dezember 2021 läuft das DES-Projekt Hochschulschriften in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München (der CompGen-Blog berichtete). Hier folgt eine kleine Korrektur vorheriger Beiträge.

Während die Jahrgänge XVIII und XIX für den Zeitraum August 1902 bis August 1904 derzeit in der Erfassung sind, gilt es, ein paar Dinge gerade zu rücken. Zum Internationalen Frauentag 2023 berichteten wir, die erste Dissertation einer Frau, nämlich von Gräfin Maria von Linden, gefunden zu haben. In der Auswertung anlässlich der Überschreitung der Jahrhundertwende berichteten wir, bislang insgesamt zwei Frauen gefunden zu haben. Beides ist falsch, es sind wesentlich mehr Frauen in unserem Datensatz. Zwischen August 1885 und August 1900 haben 22 Frauen an deutschen Universitäten promoviert. Wo war der Fehler?

Doch mehr Frauen als gedacht

Zunächst gilt, dass Frauen im Hörsaal vor 1900 gar nicht so unüblich waren wie zunächst angenommen. Es gab zahlreiche Frauen als Gasthörerinnen – sie durften die Vorlesungen besuchen, aber keine Prüfung ablegen und erhielten folglich keinen Abschluss. Zusätzlich gelang es vielen Frauen, sich ordentlich per Sondergenehmigung einzuschreiben (d.h. sich zu immatrikulieren) und ggf. auch zu promovieren. Dazu brauchten sie die Zustimmung der Professoren, deren Vorlesungen sie hören wollten, sowie des Senats der Universität, als auch des zuständigen Bildungsministers. Meist hatten sie aber Auflagen zu beachten: Mal mussten sie hinter einem Vorhang sitzen, oder durften nur alleine ins Labor – damit sie die Männer nicht ablenkten.

Dennoch gelang beides, Gasthörerschaft als auch Immatrikulation, hauptsächlich Frauen aus dem Ausland. Genau genommen, US-Amerikanerinnen und Russinnen. In den USA gab es nie ein Bildungsverbot für Frauen; die hauptsächlich privaten Hochschulen dort haben selbst entschieden, wen sie aufnahmen. Für sämtliche Absolventen gilt, dass ein Abschluss an einer deutschen Universität sehr begehrt war. Schätzungen gehen von 1.400 US-Amerikanerinnen aus, die zwischen 1868 und 1915 an deutschsprachigen Universitäten studiert haben. Ein großer Anteil der Ausländer (Männer wie Frauen) war sowohl vor als auch nach der Promotion in Deutschland in der Wissenschaft tätig. Leider ist es so, dass für vier bis fünf der ausländischen Frauen keinerlei Information zu finden ist, weder auf Wikipedia noch sonstwo. Erst kürzlich entstand im Rahmen dieses Projekt der Wikipedia-Artikel für die Emigrantin Ida Fleischer, unter Mithilfe der compgend-l.

Kaum Vorteile durch Studium und Promotion

Für deutsche Frauen stellte sich schlicht das Problem des Abiturs: Es gab keine öffentlichen Schulen für Frauen, die auf das Hochschulstudium hätten vorbereiten können. Hinter den Frauen, die vor Eröffnung der ersten Mädchengymnasien studiert haben, standen stets wohlhabende Familien, die private Kurse finanziert haben. Wer seiner Tochter ein Hochschulstudium ermöglichen wollte, fand in der Schweiz übrigens leichtere Bedingungen: Die Universität Zürich nahm 1840 die erste Frau auf. Gleichzeitig aber hat sich ein Studium wegen der vielen Berufsverbote für Frauen selten gelohnt, und eine Promotion noch weniger. Studierte Frauen konnten höchstens Lehrerinnen werden: Ärztin war nur unter großen Mühen möglich (vor Öffnung des Ärzteberufs für Frauen gab es nur zwei niedergelassene Ärztinnen), Anwältin war nicht möglich, Staatsdienst war nicht möglich, etc.

Acht deutsche Doktorandinnen

Unter den 22 Frauen sind dennoch acht Deutsche: Katharina (Käthe) Windscheid 1894/95 in Heidelberg, Maria von Linden 1895/96 in Tübingen, Marie Gernet 1895/96 in Heidelberg, Anna Gebser 1896/97 in Heidelberg, Hildegard Ziegler (Wegscheider) 1897/98 in Halle, Elsa Neumann 1898/99 in Berlin, Bertha Kipfmüller 1899/1900 in Heidelberg und Else von der Leyen (Rosenthal) 1900/01 in Halle. Es könnte mit Sophie Bernthsen eine weitere Frau 1899/1900 in Heidelberg hinzukommen, nach der immerhin ein Stipendium benannt ist; leider ließ sich über sie keinerlei Information finden.

Allen Frauen hier als auch anderswo war bewusst, dass sie Wegbereiterinnen sein würden, um das Frauenstudium zu ermöglichen, und mit ihm Berufsverbote zu beenden. Windscheid und Wegscheider eröffneten Mädchenschulen, Gernet, Gebser, und Kipfmüller waren ebenfalls Lehrerinnen, und Rosenthal wurde Ärztin. von Linden und Neumann blieben in der Wissenschaft. Neumann ist ein ganz tragischer Fall: offenbar eine begnadete Physikerin, sie starb 1902 bei einem chemischen Experiment.

Insgesamt fällt die Dominanz von Heidelberg auf. Auch von den 14 ausländischen Frauen wurden sechs in Heidelberg promoviert. Die Universität Heidelberg, auf die wir vorher schon den Fokus gelegt haben, ist speziell, weil zwei ihrer fünf Fakultäten (nämlich die philosophische Fakultät als auch die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät) sich Ende des 19. Jahrhunderts alleine entschlossen hatten, Frauen zum Studium zuzulassen – ohne Sondergenehmigung oder Auflagen!

Es bleibt also spannend, und wir werden noch hoffentlich viele vergessene Forscherinnen-Schicksale vor dem Vergessen bewahren. Weitere Mitwirkende bei der Datenüberprüfung und -eingabe im DES-Projekt Hochschulschriften sind herzlich willkommen! Informationen dazu findet man hier im GenWiki.