Datenbank zu Opfern von NS-Menschenversuchen

Originally published at: Datenbank zu Opfern von NS-Menschenversuchen • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)

Zwischen 1933 und 1945 wurden unter der nationalsozialistischen Herrschaft unzählige Menschen Opfer von erzwungenen medizinischen Versuchen. Sie dienten als Forschungsobjekte. Eine Datenbank soll als digitale Gedenkstätte den Angehörigen und der Öffentlichkeit Zugang zu den Personen geben. Damit soll ein Ort der Erinnerung, Forschung und historischen Aufarbeitung geschaffen werden.

Hirnforschung am Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft

Schon in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts sammelten Forscher der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorgängerin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, Gehirnproben zur Untersuchung von Krankheiten. Einer dieser Forscher, Julius Hallervorden (1882–1965) war von 1938 bis 1956 stellvertretender Direktor und Leiter der Histopathologischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts (ab 1948: Max-Planck-Institut) für Hirnforschung und untersuchte auch die Gehirne von Opfern von Euthanasie und Verfolgung. Viele dieser Proben waren auch noch nach 1945 Gegenstand von Forschungen. 1990 fanden eine Massenbestattung und eine Gedenkfeier auf dem Münchener Waldfriedhof statt, Denkmäler wurden in München und Berlin errichtet.

Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen

In einem der Forschungsprojekte zur Aufarbeitung der NS-Zeit untersuchte das Forschungsteam von Prof. Dr. Paul Weindling (Oxford Brookes University, England) und Prof. Dr. Herwig Czech (Medizinische Universität Wien) zwischen 2017 und 2024 den Ursprung und die Verwendung der Proben und versuchte, die Identitäten der Opfer festzustellen und ihr Schicksal zu rekonstruieren und sichtbar zu machen. Eine Datenbank, Forschungsbände und Gedenkbücher werden ab 2026 umfassende Informationen bieten und die Erinnerung an die Opfer und ihre Schicksale bewahren.

Vorstellung der Datenbank

Die Präsidenten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Max-Planck-Gesellschaft stellten in einer Pressekonferenz am 18. August 2025 als erstes Ergebnis die Online-Datenbank Victims of Medical Research under National Socialism mit Namen und Lebensdaten von Opfern vor. Die Datenbank umfasst rund 16.000 Profile von Menschen, die im Nationalsozialismus Opfer erzwungener medizinischer Forschung wurden. Sie enthält zudem mehr als 13.000 Profile von Menschen, deren Schicksale noch nicht abschließend ermittelt sind. Sie ist Grundlage für die weitere Forschung.

Privatpersonen können über die Namen und Lebensdaten nach Angehörigen suchen. Ausgewählte biografische Berichte geben Einblick in die persönlichen Schicksale der Opfer und helfen, das Ausmaß des Unrechts jenseits von Daten und Statistiken zu erfassen. Auf einer interaktiven Karte können Orte (Institute, Kliniken, Heil- und Pflegeanstalten, Gefängnisse, Konzentrationslager) identifiziert werden, in denen die Verbrechen mit erzwungener biomedizinischer Forschung begangen wurden, bzw. wo die Menschen eingesperrt oder getötet wurden.

Weitere sensible Informationen, z.B. Krankengeschichten und Daten zu verbliebenden menschlichen Gewebeproben sind nicht öffentlich sichtbar. Der weitere Zugriff darauf ist auf Personen beschränkt, die ein nachweisbares berechtigtes Interesse haben, beispielsweise Forscher, Journalisten oder Familienmitglieder. Angehörige können auf Antrag den gesamten Datensatz ihres Familienmitglieds erhalten.

Nutzung der Datenbank für die Familienforschung

Für die Familien- und Ahnenforschung ist die Datenbank eine wertvolle Informationsquelle. Wenn es gelingt, einen Zugang zu erhalten, kann man z.B. für Personen, deren genealogische Daten bereits erforscht sind, Hinweise auf deren Familien geben: Hier ein Beispiel: Klara Sommer geb. Breuer, geboren 22.9.1914, laut Datenbank in „Höhyesz“ ist im Online-Ortsfamilienbuch Hőgyész mit weiteren Daten zu ihrer jüdischen Familie enthalten. Ihre Schwester Olga starb 1944 in Auschwitz.

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Die Datenbank enthält biografische Informationen zu Opfern, die teilweise offen recherchierbar sind (z.B. Namen), z.T. aber nur „Familienmitgliedern“ zugänglich gemacht werden sollen (z.B. Zuordnung zu „Experimenten“, Victims of Biomedical Research under National Socialism). Die Logik dahinter ist nicht nur eine des Datenschutzes (Art. 9 DSGVO – Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten), sondern auch der Rücksichtnahme auf sehr massive Verletzungen, die Familiengeschichten prägen können.

Diese Unterscheidung ist also einerseits einleuchtend, sie passt aber andererseits nicht zum Wandel in der Familiengeschichtsforschung. Jenseits der „Ahnenforschung“ hat sich seit den 1990er Jahren eine Praxis der Citizen Science entwickelt, die sich nicht nur für die jeweils „eigenen“ Vorfahren interessiert, sondern für alle Menschen in der Geschichte. (Diese neuere Praxis ist mit dem von einem gewissen Dr. Günter Junkers um 1985 geprägten Begriff „Computergenealogie“ verbunden; Elisabeth Timm spricht vom Übergang von „Reverenz zur Referenz“, das ist also wissenschaftshistorisch durchaus ein Thema.)

Öffnung von wissenschaftlichen Projekten für diese populäre Computergenealogie kann allerdings weiterhin nicht bedeuten, dass Opfergeschichten allen Interessierten einsehbar gemacht werden. Offen ist für mich die Frage, ob eine konstruktive Beteiligung von Citizen Science dennoch wünschbar ist, und wie sie aussehen sollte. Ich würde mir vorstellen, dass Hinweise wie der auf die an anderer Stelle genealogisch recherchierbaren Informationen zu Klara Sommer im Projekt explizit angenommen und ggf. sogar eingepflegt werden könnten. Neben den Kontaktmöglichkeiten unter Victims of Biomedical Research under National Socialism für „Research Access to the Database“ (also die volle Datenbank) einerseits, „Information for Relatives“ andererseits wäre vielleicht auch eine Kontaktmöglichkeit für „Citizen Science“ sinnvoll, mit Feldern für (a) das betreffende Opfer (hier: Klara Sommer) und (b) Links zu weiterführenden Informationen (hier: Link zum Blog-Artikel Datenbank zu Opfern von NS-Menschenversuchen • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen) und zum Online-OFB Dein Browser wird geprüft!).

Guten Tag Georg,

die hier erwähnte DSGVO gilt nicht für verstorbene Personen. Siehe Erwägungsgrund 27 der DSGVO.

Viele Grüße
Peter (Schulz)

Das ist schon klar. Allerdings sind Informationen, die zur Identifikation von Nachkommen genutzt werden könnten, bei Gesundheitsdaten besonders heikel.

Die Logik ist hier aber eben nicht in erster Linie nur eine des Datenschutzes. Es kann sehr wohl wissenschaftsethisch geboten sein, Informationen zurückzuhalten, die dem Datenschutz gar nicht unterliegen.