Awizio in Kutten, Kreis Angerburg

Liebe Liste,

Auch ich bin neu in dieser Liste. Ich habe mich angemeldet weil meine Urgrossmutter Wilhelmine Awizio in Gross Pillacken (Gemeine und Pfarre Kutten) geboren ist in 1863 als Tochter von Wilhelm Awizio und Wilhelmine Lauruhn.

Gestern habe ich angefangen bei den Mormonen die Filme der Standesamtregister von Kutten durch zu sehen. Von den 11 Filmen habe ich bis jetzt nur ein Film gesehen, aber einige Sachen vielen mir auf und deshalb habe ich ein par Fragen. Vielleicht das andere Listenmitglieder eine Antwort haben.

Erstens die meisten Register waren nach meiner Meinung keine Originale. Immer hiess es "Geburts--Neben-Register, Heiraths-Neben-Register, Sterbe-Neben-Register". Hat man damals in Deutschland keine zwei Originalexemplare angefertigt, wie frueher in Frankreich und heute noch immer in den Niederlanden? Hat man die Mormonen nicht die Orginale zugetraut?

Zweitens die grosse Anzahl von nicht-deutsche Familiennamen. Nicht nur Awizio, sondern auch z.B. Gamballa, Lalla, Kowolowski etc. etc. Was sprachen die Leute dort eigentlich? Wie deutsch war die Bevoelkerung eigentlich?

Drittens die grosse Anzahl von Uneheliche Geburten. Ich schaetze mehr als 10%. Wieso war das? Eine bestimmte Moral? Uebereifrige Grossbauern oder Gutsbesitzer? Meine Urgrossmutter hatte immer erzaehlt das sie aus eine Art leibeigenschaft geflohen war als sie um 1890 ins Rheinland kam.

Jan H. Hanssen, Baarlo, NL

Hallo Jan,
Ostpreu�en war ein Schmelztiegel, dort siedelten �ber die Jahrhunderte
Menschen aus allen Himmelrichtungen. Neben den Ureinwohnern (Prussen) lebten
Siedler aus allen deutschen Landen, kamen Niederl�nder, Schotten, Litauer,
Polen, Schweizer, Salzburger u. a. Offiziell wurde Deutsch gesprochen, aber
die Einwohner sprachen "Ostpreu�isch", das war nicht nur ein Dialekt,
sondern auch gemischt mit Ausdr�cken der Ureinwohner und der
Herkunftsgebiete der Siedler.
Die uneheliche Geburt wurde nicht etwa nur aus moralischen Gr�nden
beurkundet, sondern ein uneheliches Kind hatte auch weniger Rechte, war
nicht f�r Staatsdienste zugelassen, konnte vom leiblichen Vater nicht erben
und vieles mehr. Eine uneheliche Vorfahrin von mir durfte z. B. nicht
heiraten. Vielleicht kann hier ein Jurist noch etwas hinzuf�gen.
Die sogenannten Nebenregister sind Originale. Sie beziehen sich auf das
Standesamt, das eben ein Neben-Standesamt war (meist auf D�rfern). Aber sie
stellten g�ltige Urkunden aus.
Die Leibeigenschaft und Gutsuntert�nigkeit wurde im Zuge der Agrarreform (ab
1807) abgeschafft. Die Gutsbesitzer versuchten das vehement zu verhindern.
So kann es sein, da� auch noch 1890 auf einigen G�tern ein Gesindezwang
ausge�bt wurde, vor allem, wenn sich die Landarbeiter verschuldeten.
Soweit erstmal und freundliche Gr��e
Gisela L.

Hallo Jan,
ganz klar, dass deine Vorfahren nicht-deutsche Namen haben. Es sind deine prußischen bzw. masurischen Vorfahren. Prußisch gehört zu den baltischen Sprachen, masurisch ist eine slawische Sprache, die dem Polnischen ähnelt.
Prußisch "awizos" ist Hafer. Es gab im Kammeramt Kerpau einen Prußen namens Awse.
Die anderen Namen sind masurisch. Ich habe mal einen Hernn Lalla aus Angerburg kennengelernt, der mir erzählte, dass sein Name "Püppchen" bedeutet.

In Ostpreußen wurde 1807 die Leibeigenschaft aufgehoben. Das hatte zur Folge, dass im 19.Jh. etliche Menschen in die Industriegebiete abwanderten oder als Erntehelfer in die Hamburger Gegend zogen. Viele fanden auch eine Stellung in Berlin als Kutscher, Diener oder Dienstmädchen. Manche zog es gleich weiter nach Übersee.

Uneheliche Geburten waren sehr häufig, gerade bei Mägden auf Bauernhöfen.
Beate Szillis-Kappelhoff

"jan hanssen" <j.h.hanssen@home.nl> schrieb:

Sehr geehrter Herr Hanssen

Erstens die meisten Register waren nach meiner Meinung keine
Originale. Immer hiess es "Geburts--Neben-Register,
Heiraths-Neben-Register, Sterbe-Neben-Register". Hat man
damals in Deutschland keine zwei Originalexemplare
angefertigt, wie frueher in Frankreich und heute noch immer
in den Niederlanden? Hat man die Mormonen nicht die Orginale
zugetraut?

Ich forsche ebenfalls im Kreis Angerburg, allerdings in Engelstein. Die
Zivilstandsregister, die die LDS von Engelstein gefertigt hatten, haben
ebenfalls den Vermerk "Mit dem Hauptregister verglichen" oder so ähnlich.
Warum? Wieso? Weshalb? - Ich weiß nicht. Sicher wird man aus Sorgfalt heraus
die Daten von Anfang an redundant erfasst haben.

Zweitens die grosse Anzahl von nicht-deutsche Familiennamen.
Nicht nur Awizio, sondern auch z.B. Gamballa, Lalla,
Kowolowski etc. etc. Was sprachen die Leute dort eigentlich?
Wie deutsch war die Bevoelkerung eigentlich?

Hierzu kann ich wesentlich mehr sagen oder besser: schreiben.

Lieber Herr Hanssen, es würde ausufern, wenn ich mich hier
unterstützenderweise auf die Geschichte Ostpreußens berufen würde. Bitte
schauen Sie hierzu auf einschlägigen Seiten im Web nach und dann werden Sie
vielleicht auch der Meinung sein, dass so "urdeutsch" das ostpreussische
Gebiet oder zumindest die dort lebenden Menschen nicht waren. Allein die
mehrfachen Teilungsorgien Polens beginnend vor über 200 Jahren machten aus
Polen nicht sofort zwangsläufig Deutsche und umgekehrt. Die Menschen
vermischten sich. Ich habe in meinen OBITZ Vornamen wie Ludwike oder
Nachnamen wie LENKAITIS, eingedeutscht: LENKAIT, die auf litauisch-baltische
Herkunft verweisen. Andererseits gibt es die Familie PRZYSTAW, die in
Ostpreußen heimisch war (ich weiß nur nicht wo genau?), die zu Beginn des 20
Jh. ins Ruhrgebiet zog, um später in Teilen nach Ostpreußen zurückzugehen.
PRZYSTAW ist eindeutig polnischen Ursprungs.

Ich denke mal Ostpreußen hatte eine gemischte Bevölkerung. Meine Onkel (lebt
noch) erzählte mir, dass er als Junge immer mit anderen, auch polnischen
Jungen gespielt hatte.

Die polnische Bevölkerung hatte in den deutschen Gebieten wahrscheinlich
nicht allzuviele Rechte. Polnisch durfte in den Schulen und in den
Amtsstuben nicht gesprochen werden.

Übrigens hinsichtlich der Frage nach der Sprache, mein Opa, Erich Fritz
OBITZ, * 1899; + 1970 sprach Plattdeutsch!

Drittens die grosse Anzahl von Uneheliche Geburten. Ich
schaetze mehr als 10%. Wieso war das? Eine bestimmte Moral?
Uebereifrige Grossbauern oder Gutsbesitzer?

Diese konnte ich im Zivilstandsregister von Engelstein auch feststellen.
Allerdings stand sehr oft handschriftlich neben dem Eintrag, dass der Vater
(einige Zeit bis ein paar Jahre später) die Vaterschaft anerkennt, und damit
war augenscheinlich alles "in Butter".

Meine
Urgrossmutter hatte immer erzaehlt das sie aus eine Art
leibeigenschaft geflohen war als sie um 1890 ins Rheinland kam.

Darüber kann ich nichts sagen, ich hoffe, Ihre Mail lesen auch Leute, die
sich in der Geschichte Ostpreußen erheblich besser auskennen als ich. Wir
haben hier in unserer Liste viele Fachleute. Ich weiß nur, dass bspw. die
OBITZ in Biedaschken ein Insthaus bewirtschafteten, in dem die Dienstleute,
die Instmänner und -frauen Unterkunft fanden. Wie man diese behandelte, weiß
ich nicht.

Btw, wir forschen im selben Gebiet. Lieber Herr Hanssen, falls bei Ihnen
einer der o.g. Namen auftaucht, dann würde ich mich freuen, von Ihnen zu
hören, besonders PRZYSTAW macht mir Sorge. Ich finde die Eltern meiner Oma
mütterlicherseits einfach nicht.

LALLA habe ich in Engelstein gefunden. Diese Familie reicht sehr weit
zurück! (Ich habe mit dem Staatsarchiv Zugriff auf die KB Engelstein bis
1695).

MfG

Dirk Hanschke
Pfeffingerstr. 26
04277 Leipzig
Tel.: 0177-6 83 50 00
Fax: 01212-5 11 65 38 28
Mail: dhanschke@web.de
Web: http://www.hanschke.privat.t-online.de

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