Auswanderung aus Sachsen / Genealogentag 2019 Gotha

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Von Heimatscheinen und Entlassungsurkunden – Archivquellen zur Auswanderung am Beispiel Sachsens

Vortrag Gotha 15.9.2019

Besucher des Genealogentages, die das so angekündigte Vortragsthema möglicherweise für zu speziell gehalten und deshalb nicht in ihr Tagesprogramm aufgenommen hatten, haben sicherlich etwas versäumt. Denn Dr. Judith Matzke behandelte das Thema Auswanderung jenseits der üblichen Fokussierung auf Amerika-Auswanderung aus der Sicht der Archivarin und der Familienforscherin, die sie selbst ist, und fesselte damit ihre Zuhörer. Aus der Fülle der Ausführungen hier einige wenige Aspekte.

Wanderung, Auswanderung, Migration ist kein neues Problem, sie ist so alt wie die Menschheit. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Auswanderung bedingt durch Bevölkerungswachstum und die industrielle Revolution in Deutschland zu einem Massenphänomen. Anders als andere Regionen Deutschlands zog Sachsen allerdings Menschen an und war damit kein typisches Auswanderungsland. Sachsen selbst hatte von 1848 bis 1888 eine Auswanderung von 100.000 Menschen, das waren lediglich 2% der gesamten deutschen Auswanderung dieser Zeit. Trotzdem ist es möglich, für die Zeit von 1848 bis 1888 aus den Archivbeständen des Sächsischen Staatsarchivs typische Abläufe bei Auswanderung, die man für das eigene Forschen kennen sollte, nachzuzeichnen.

Auswanderung bedeutete immer das Verlassen einer Obrigkeit. Diese war bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871 eben auch Wanderung zwischen deutschen Territorien. – Der typische Ablauf eine Auswanderung verlief so, dass der Auswanderer, meistens der Familienvater, für sich und seine Familie bei den örtlichen Behörden, also vor Ort in Stadt oder Gemeinde, einen Pass beantragte. Das daraus entstehende Protokoll des Auswanderungswunsches wurde den übergeordneten Behörden dann zur Genehmigung vorgelegt, die nun ihrerseits prüften, ob unter anderem der Militärpflicht genügt worden war und ob keine finanziellen Verpflichtungen, wie z. B. Steuerrückstände, vorlagen. Je nach Antrag wurde dann entweder für eine Entlassung aus der Staatsbürgerschaft (Ausschluss der Rückkehrmöglichkeit – „Die Eigenschaft als Sachse erlischt.“) oder für einen Heimatschein entschieden, der eine Rückkehr innerhalb einer gewissen Zeitspanne ermöglichte. Die Dokumente sind meist als Konzepte, nicht im Original vorhanden, da dieses ja dem Auswanderungswilligen ausgehändigt wurde.

Um solche Dokumente zu finden, muss man sich die im 19. Jahrhundert durch Verwaltungsumbau komplizierte Verwaltungsstruktur vergegenwärtigen, die in allen deutschen Ländern unterschiedlich sein konnte. Um eine Überlieferung zu finden, muss der Forscher also das Wo, Wann und Was seiner Suche eingrenzen und sich anschließend mit der zu genau diesem Zeitpunkt geltenden Verwaltungsstruktur auseinandersetzen. Allen oben beschriebenen Vorgängen gemeinsam ist nämlich, dass nach einer Genehmigung der oberen staatlichen Behörden die Unterlagen des Einzelfalles wieder an die örtlichen Entscheider zurückgegeben wurde. So werden viele dieser Unterlagen, also Heimatscheine und Entlassung aus der Staatsbürgerschaft, im zuständigen Stadt- oder Kreisarchiv zu finden sein. Die Suche nach Einzelfällen wird immer mühsam sein, aber das Sächsische Staatsarchiv strebt eine allmähliche Digitalisierung solche Unterlagen an.

Frau Matzke illustrierte solche Auswanderung am Beispiel des Bürgermeisters von Glauchau, Ottokar Dörffel, der in Folge der revolutionären Ereignisse von 1848 nach Südbrasilien auswanderte.

Die faszinierende Sammlung von 100 Auswandererbriefen der Familie Dörffel über einen Zeitraum von 50 Jahren ist eine wertvolle kulturgeschichtliche Quelle. Diese wurde kürzlich als Band 21 in der Reihe A des Sächsischen Staatsarchivs veröffentlicht.  

Interessenten an solcher Auswandererliteratur werden in der Forschungsbibliothek Gotha fündig. Sie verfügt über 11.000 Briefe aus einer geschätzten Gesamtzahl von 100.000 solcher Stücke.

Die Hörer des Vortrages konnten so neben einem guten Gesamtüberblick zum Thema Auswanderung auch schöne praktische Tipps für ihre künftige Forschung im Archiv mit nach Haus nehmen.