120 Jahre Zentralstelle für Genealogie in Leipzig

Originally published at: 120 Jahre Zentralstelle für Genealogie in Leipzig • Verein für Computergenealogie e.V. (CompGen)

Vor 120 Jahren, am 16. Februar 1904, gründete sich in Leipzig der Verein zur Begründung und Erhaltung einer Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschichte.

Der Zweck des Vereins war die Bündelung aller genealogischen Forschungsergebnisse. Mit der Satzung von 1911 erweiterte sich der Tätigkeitskreis durch die Herausgabe genealogisch-wissenschaftlicher Zeitschriften, die Veröffentlichung familiengeschichtlicher Werke und die Veranstaltung von Vorlesungen und Vortragskursen.

Die Initiatoren der Zentralstelle waren:

  • der Jurist Stephan Kekule von Stradonitz (1863–1933),
  • der Bremer Familienforscher Johann Ueltzen-Barckhausen (1867–1937),
  • der Leipziger Universitätsprofessor Erich Brandenburg (1868–1946),
  • der Historiker, Bibliothekar und Archivar Armin Tille (1870–1941),
  • der Leipziger Kaufmann Arthur Dimpfel (1858–?),
  • der Leipziger Rechtsanwalt Hans Breymann (1873–1958); er stand der Zentralstelle bis 1934 vor.

Sammelpunkt und Vermittlungsstelle für Familienforschung

Die Zentralstelle entwickelte sich schnell zu einem genealogischen Zentrum. Sie unterhielt eine eigene Kanzlei mit einem angestellten Archivar, Schreibkräften und wissenschaftlichen Assistenten. Seit Oktober 1907 fanden regelmäßig „Genealogische Abende“ statt, seit 1910 erschienen die „Familiengeschichtlichen Blätter“. Im nach Familiennamen alphabetisch geordneten „Großen Zettelkatalog“ waren 1913 bereits etwa 200.000 Personen erfasst.

Nach dem Ersten Weltkrieg vermittelte der Verleger Herrmann A. L. Degener (1874–1943), Herausgeber des biografischen Nachschlagewerks „Wer ist’s“ und Schatzmeister des Vereins, den Kontakt zur Deutschen Bücherei. Bibliothek und Archiv der Zentralstelle waren angewachsen, die Geschäftsstelle am Floßplatz 1 zu klein geworden. Der 1921 geschlossene Kooperationsvertrag mit der Deutschen Bücherei bot der Zentralstelle die kostenlose Nutzung entsprechender Räumlichkeiten. Gleichermaßen sicherte er die Abgabe der gesamten genealogischen Literatur, einschließlich der außerhalb des regulären Buchhandels veröffentlichten Werke, an die Deutsche Bücherei.

Die Zentralstelle unter Johannes Hohlfeld

Der Historiker und Philologe Johannes Hohlfeld (1888–1950) übernahm 1924 den geschäftsführenden Vorstand und führte diesen bis zu seinem Tod 1950 aus. In seiner Amtszeit baute er die Editions- und Publikationstätigkeit weiter aus. Herausgegeben wurden außer den monatlich erscheinenden „Familiengeschichtlichen Blättern“:

  • das „Familiengeschichtliche Nachrichten- und Anzeigenblatt” (1936–1944),
  • die „Beiträge zur deutschen Familiengeschichte“ (1922–1944),
  • das „Stamm- und Ahnentafelwerk“ im Umfang von 23 Bänden (1927–1944),
  • die „Familiengeschichtliche Bibliographie“ mit sieben gedruckten Bänden (1925–1945).

Hohlfeld entwickelte die Zentralstelle zu einer Einrichtung mit Weltruf.

Die Teilung in Stiftung und Förderverein 1934

Mit Beschluss der Satzung vom 27. Juni 1934 teilte sich die Zentralstelle in eine gemeinnützige Stiftung und einen Förderverein. Das Vermögen der Stiftung sollte bei einer Auflösung der Deutschen Bücherei zufallen. Mit diesem Schritt versuchte der Vorstand, der Gleichschaltung durch die NSDAP etwas entgegenzuhalten, die Angriffsfläche zu verringern und die Zentralstelle zu erhalten. Gleichwohl passte man sich dem Geist der Zeit und der staatlich verordneten Sippenforschung an.

Den Vorsitz des Fördervereins übernahm Kurt Mayer (1903–1945), Leiter der Reichsstelle für Sippenforschung beim Reichsministerium des Inneren, später Reichssippenamt.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 und die damit verbundene Forderung zur Erbringung eines Nachweises einer „rein arischen Abstammung“ führte zu einem Anwachsen der Forschungsaufträge und der Mitgliederzahl.

Neuaufbau nach 1945

Wie alle Vereine in der Sowjetischen Besatzungszone wurde auch der Förderverein mit Kriegsende 1945 aufgelöst. Die Stiftung wurde am 26. April 1950 in das Vermögen der Volksbildungsstiftung des Landes Sachsen eingegliedert.

Nach dem Tod von Johannes Hohlfeld engagierte sich der spätere Zwickauer Stadtarchivar Karl Steinmüller (1901–1977) ehrenamtlich für die Zentralstelle gemeinsam mit Charlotte Grumpelt (1892–?). Es gelang, die Arbeit der Zentralstelle über private Vortragsabende und Auskunftserteilung fortzuführen.

1957 übernahm die Staatliche Archivverwaltung der DDR die bedeutsamen Sammlungen. 1962 erfolgte die Überführung in das Landesarchiv Leipzig. Der größere Teil der umfangreichen Bibliothek verblieb jedoch in der Deutschen Bücherei. Im Landesarchiv Leipzig, das zusammen mit dem Georgi-Dimitroff-Museum im ehemaligen Reichsgerichtsgebäude untergebracht war, fand ein systematischer Neuaufbau statt.

Zentralstelle für Genealogie der DDR

Für die Staatliche Archivverwaltung der DDR war die Zentralstelle mit ihrem Zuschnitt auf das gesamte deutsche Sprachgebiet eine Besonderheit. Durch die Einrichtung einer weiteren Zentralstelle in West-Berlin durch den ehemaligen Vorsitzenden des Vereins, Hans Breymann, war man gezwungen, sich abzugrenzen und die Position der Leipziger Zentralstelle neu zu bestimmen.

1967 erfolgte daher die Umwandlung in „Zentralstelle für Genealogie der DDR“ und eine konzeptionelle Neuausrichtung. Im Vorfeld wurden weitere genealogische Bestände in Leipzig konzentriert:

  • 1965 die Sammlungen des Reichssippenamts mit etwa 17.000 Rollen Kirchenbuchfilmen, vor allem aus ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten und den nunmehr zu Polen gehörenden Territorien, sowie verfilmte jüdische Personenstandsunterlagen;
  • 1967 Archivgut und Sammlungen des Roland, Verein zur Förderung der Stamm-, Wappen- und Siegelkunde, darunter der Gesamtkatalog der Personalschriften- und Leichenpredigtensammlungen aus dem Landeshauptarchiv Dresden;
  • die Ahnenstammkartei des deutschen Volkes (ASTAKA), die durch den Verein Deutsche Ahnengemeinschaft erstellt wurde, sowie die damit verbundene Ahnenlistensammlung.

Neben der Erteilung von Auskünften an Nutzer aus der DDR und dem Ausland erstellten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gutachten und Zuarbeiten. Ebenso befasste man sich mit heraldischen Fragen. Durch die Organisation und Weiterführung des grenzüberschreitenden innerdeutschen Ahnenlistenumlaufs blieb die Leipziger Zentralstelle auch in der Bundesrepublik präsent.

Die Deutsche Zentralstelle für Genealogie im Sächsischen Staatsarchiv

1990 ging die Deutsche Zentralstelle für Genealogie als Spezialarchiv für Personen- und Familiengeschichte in die Hoheit des Freistaats Sachsen über. Bereits 1995 wurde sie im Rang einer Abteilung in das damals noch eigenständige Staatsarchiv Leipzig eingegliedert. Seit 2007 bildet sie das Referat 33 Deutsche Zentralstelle für Genealogie/Sonderbestände im Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig.

Heute werden gedruckte und ungedruckte personen- und familiengeschichtliche Publikationen und Unterlagen aus dem gesamten deutschen Sprachraum und insbesondere dem mitteldeutschen Raum übernommen, aufbewahrt, gesichert, erschlossen und der interessierten Öffentlichkeit wie auch der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt. Die genealogischen Bestände gehören zu den meist genutzten Unterlagen im Staatsarchiv.

Ja, und noch immer erreichen das Staatsarchiv Anfragen mit der Anschrift „An die Deutsche Zentralstelle für Genealogie“ aus allen Teilen der Erde. Das zeugt von der langen Tradition und dem guten Ruf der Genealogie in Leipzig.

Anett Müller,
Referatsleiterin im Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig

Dieser Beitrag ist eine mit freundlicher Genehmigung der Autorin erstellte Kurzfassung der im Sax Archiv-Blog erschienenen Veröffentlichung.
Im Compgen-Blog haben wir hier und hier über Youtube-Videomitschnitte berichtet, in denen Katrin Heil das Staatsarchiv Leipzig und die Bestände der Zentralstelle für Genealogie vorstellte.

Zum Weiterlesen:

Katrin Heil: Die Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschichte 1904-1967. In: Genealogie in der Moderne. Akteure – Praktiken – Perspektiven. Hrsg. von Michael Hecht und Elisabeth Timm. Oldenbourg 2023, S. 211-225.

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Ein sehr interessanter Beitrag! Gibt es Informationen darüber, ob eine Digitalisierung der 17.000 Kirchenbuch-Filmrollen geplant ist?

Katrin Heil war auch bei uns im Meeting.

Die Digitalisierung hat FamilySeach erledigt.

Sehr viele spannende Informationen zur Zentralstelle in einem guten Artikel vereint! Es fehlt aber meiner Meinung nach noch ein Hinweis auf die Stiftung „Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte - Institut für Genealogie“ https://www.ahnenforschung-hessen.de/zentralstelle/zentralstelle.html in Frankfurt, die eine umfangreiche Sammlung von Ortsfamilienbüchern hat.

In der Vergangenheit hat die Frankfurter „Zentralstelle“ versucht, den Eindruck zu erwecken, Nachfolgerin der Leipiger Zentralstelle zu sein und Ansprüche zu stellen. Die Bibliothek (nicht mehr im Bolongaro-Palast) ist zwar umfangreich, aber schlummert - kaum zugänglich - unter der Obhut von Andreas Bellersen im Namen der Frankfurter Stiftung. Die Webseiten sind nicht mehr aktuell.