Zum Volkstrauertag 1954. Der Ruf aus den Massengräbern

Folge 46 vom 13.11.1954
Seite 3 Der Ruf aus den Massengräbern. Dem Gedenken der Opfer des Stalinismus
Am Volkstrauertag gedenken wir auch der vielen Toten, die als Zivilisten in sowjetische Gefangenschaft gerieten und in den Weiten Russlands, der Sowjetzone oder in den Ostblockstaaten ein fruchtbares Ende fanden. Ihr Tod hat der Welt die Augen darüber geöffnet, was dem Abendland bevorsteht, wenn der Bolschewismus weiter vordringt. Ihr Opfer verpflichtet auch uns. (Der Verfasser dieser Darstellung hat selbst mehrere Jahre als Gefangener in den sowjetischen Zuchthäusern Mitteldeutschlands geschmachtet.)

Die Zahl der Männer und Frauen, die in der Nachkriegszeit in sowjetischen Lagern eines qualvollen Todes starben, wird sich niemals genau feststellen lassen. Nach den Ermittlungen der Vereinigung der Opfer des Stalinismus sind allein mehr als hunderttausend Menschen in den Speziallagern in Mitteldeutschland umgekommen. Weit größer ist die Zahl derjenigen, die auf den Transporten in die Sowjetunion und in den dortigen Zwangsarbeitslagern ihr Leben lassen mussten. Nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes wurden mehr als
750 000 deutsche Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, nach Russland verschleppt; davon sind über 500 000 gestorben.

In Ostpreußen und in den anderen deutschen Ostgebieten, die die Sowjets zu Beginn des Jahres 1945 besetzten, ist kaum ein Mann unter 70 Jahren verschont geblieben. Soweit sie sich nicht durch die Flucht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, wurden diese Unglücklichen in endlos lange Gegenden Russlands verfrachtet. Aber auch viele Frauen und Kinder wurden verschleppt. Da es unterwegs meistens kaum Verpflegung gab und die vernagelten und verdrahteten Waggons selbst zum Verrichten der Notdurft nicht geöffnet wurden, kam die Menschenfracht mehr tot als lebendig am Bestimmungsort an. Aus vielen Waggons konnten nur noch Leichen geborgen werden. Die Menschen waren entweder verhungert oder erfroren. Erst im Mai 1945 wurde auf Einspruch der West-Alliierten diesem Treiben Einhalt geboten, und die Zwangsverschleppungen im Großen hörten auf. Unzählige haben die körperlichen und seelischen Torturen in den fahrenden Särgen nicht überstanden. Sie deckt die fremde, schneebedeckte Erde. Wo sie gerade starben, wurden sie notdürftig verscharrt.

Die größten Massengräber der Sowjetzone befinden sich bei Weimar in Thüringen. Hier sind in dem berüchtigten sowjetischen Speziallager Buchenwald bis Januar 1950, wo das Lager aufgelöst wurde, etwa dreißigtausend Internierte gestorben, oder, besser gesagt, verhungert. Ihre Massengräber liegen rund um den mit hohen Buchen bestandenen Ettersberg, wohin einst Goethe und die herzogliche Familie ihre Ausflüge und Spaziergänge machten. Ein Massengrab liegt dort neben dem andern, von dürrem Laub bedeckt.

Schon in den ersten Monaten waren die meisten Internierten, die die sowjetischen Menschenjäger oft wahllos zusammengetrieben und in die Lager gesteckt hatten, zu Skeletten abgemagert. Da aber nach Ansicht der Russen immer noch zu wenig starben, kam im November 1946 der berüchtigte HUNGERBEFEHL heraus. Die sowjetische Befehlsstelle in Karlshorst ordnete an, die ohnehin schon kärglichen Rationen zu halbieren. Es gab jetzt täglich nur noch etwas über 200 Gramm Brot und eine Wassersuppe ohne jeden festen Inhalt. Hinzu kam noch der kalte Winter. Heizmaterial gab es nicht, und in den Baracken war es eiskalt. Ein furchtbares Massensterben setzte ein. Im Frühjahr 1947 waren in Buchenwald die meisten Baracken fast ausgestorben. Aber die Russen wussten sich zu helfen. Es wurden neue Massenverhaftungen durchgeführt, das Lager wurde wieder aufgefüllt, und das grausame Ausrottungswerk begann von neuem. Auf diese Weise ist das Lager Buchenwald dreimal ausgestorben und wieder aufgefüllt worden.

Nicht minder groß war die Zahl der Toten in Sachsenhausen bei Berlin und in den vielen anderen Lagern, die die Sowjets in Mitteldeutschland unterhielten. In dem übelbeleumdeten Zuchthaus Bautzen, wo die Sowjets die von den russischen Militärtribunalen Bestraften gefangen hielten, sind von 1945 bis zum Beginn des Jahres 1950 über 22 000 Häftlinge gestorben. Als die Vopo das Zuchthaus von den Sowjets übernahm und die Rationen noch kleiner und das Essen noch schlechter wurde, erhoben sich die sechstausend Gefangenen in einer Verzweiflungsaktion gegen den Hungertod. Es kam zu der Hungerrevolte vom 31. März 1950. Aber die Vopo antwortete mit einer neuen Unmenschlichkeit. Sie richtete ein Blutbad unter den Gefangenen an, wobei selbst Schwerkranke und Sterbende rücksichtslos erschlagen wurden. Auch im Zuchthaus Waldheim hat der Hungertod furchtbare Ernte gehalten. Von den 3500 Internierten, die hier 1950 als „Kriegsverbrecher“ abgeurteilt wurden, sind bisher rund tausend gestorben.

Die Massengräber dieser Toten sind ebenso wie die einsamen Sterbeplätze in Sowjetrussland zu einer Anklage geworden, die nie verstummen wird. Sie waren die ersten Opfer der östlichen Tyrannei, die heute noch – fast zehn Jahre nach Kriegsende – in der Sowjetunion, in Mitteldeutschland und in den Satellitenstaaten wütete und täglich neue Opfer fordert. Aus den Gräbern erschallt der mahnende Ruf an die Lebenden, den Damm gegen den bolschewistischen Osten so stark zu machen, dass er nicht überflutet werden kann. Wir können das Andenken dieser Toten nicht besser ehren, als in ihrem Sinne zu handeln.