Zeitungsbericht FN Pieconka in den Orten Schwintsch, Danzig, Königsberg, Palmnicken

In der Lokalbeilage "Anzeiger für Lehrte" der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Neue Presse findet sich am 14.11.2009 auf Seite 6 folgender Bericht mit Bild:

Der Krieg bestimmt lange den Lebensweg
Das Gedenken an die Toten beider Weltkriege und das Leid anderer Opfer von Gewaltherrschaft steht im Mittelpunkt des Volkstrauertages.

Aus diesem Anlass gab die Burgdorferin Gisela Pieconka über ihre dramatischen Kriegserlebnisse im damaligen Ostpreußen Auskunft.

VON STEFAN HEINZE

BURGDORF. Pieconka wird 1923 in
Schwintsch bei Danzig geboren.
Die Mutter war Gutsbesitzerstochter,
der Vater Berufsoffizier. Bald
zieht die deutsch-national geprägte
Familie nach Königsberg. Dort
wächst das junge Mädchen mit seinen
drei Geschwistern auf.
Nach ihrem Abitur im Jahr 1940
widerfährt ihr der erste massive
Eingriff des Naziregimes in den Lebenslauf.
Anstelle des gewünschten
Medizinstudiums muss sie Arbeitsdienst
leisten. Beim Kriegshilfsdienst
erlebt sie, „wie schlimm
ein Krieg ist“. Pieconka muss Verwundete
in einem Lazarett versorgen.
Am Heiligen Abend 1940 trifft
das Leid die Familie. Der Schwager
wird von einem Querschläger tödlich
getroffen. Zwei Jahre später
stirbt ein Bruder. Die deutsche Flak
schießt sein Flugzeug ab. Ein anderen
Bruder wird 1944 schwerverletzt
von russischen Soldaten verschleppt
und wohl erschossen.
Pieconka kann 1942 trotz der
Kriegswirren ihr Studium beginnen,
wechselt 1943 nach Straßburg
und setzte die Ausbildung dann in
Graz fort. Ohne Abschluss muss sie
im Jahr 1944 nach Königsberg zurückkehren,
eigentlich für Bandarbeit
in einer Waggonfabrik. Als ausgebildete
Schwesternhelferin ist
aber bald ihr Dienst an Schwerstverletzten
im Lazarett gefragt. „Die
kamen immer in 300er-Transporten“,
sagte Pieconka. Nach „erschütternden
Wochen“ im Lazarett
wird es für die Schwesternhelferin
nicht einfacher. Ab Februar 1945
versorgt sie Kranke der Flüchtlingstrecks
in Masuren. Der Aufforderung
des Vaters, vor der russischen
Armee nach Westen zu fliehen, widersetzt
sich Pieconka. Sie fühlt
sich den Leidenden verpflichtet
und gelangt so in ein Hilfskrankenhaus
in Palmnicken. Bei Ankunft
der russischen Armee bleibt sie
freiwillig im Krankenhaus und entgeht
so dem Schicksal der Vergewaltigung.
Bei anderen Frauen verfälscht
sie die Ergebnisse von
Pflichtuntersuchungen so, dass
vermeintliche Geschlechtskrankheiten
ihnen Leiden ersparen. Danach
pflegt Pieconka in Fischhausen
freiwillig Fleckfieberkranke auf
dem Weg zum Tod.
Bei Kriegsende leben in der isolierten
Region noch 150 000 Menschen.
Nur ein Drittel von ihnen
überlebt Krankheiten und den
Hunger. Die durch die Erlebnisse
vollkommen verstörte Schwesternhelferin
gilt zunächst als verschollen.
Erst 1947 kann sie im Viehwagen
nach Westen reisen und trifft
ihre Mutter wieder.
Trotz des Erlebten konnte sie ihr
Studium beenden, promovieren
und mit dem Gynäkologen Max
Pieconka eine Familie gründen.
Ihre Geschichte erzählt die
86-Jährige vor allem deshalb, um
an die von Soldaten der russischen
Armee entwürdigten und erniedrigten
Frauen und Kinder sowie an
die anderen Opfern zu erinnern.

Rudolf Bembenneck sammelt Zeitzeugenberichte
BURGDORF. In zehn Jahren wird
es kaum noch Auestädter geben,
die jungen Leuten von ihren Erlebnissen
im Zweiten Weltkrieg
berichten können. Deshalb hat
Rudolf Bembenneck vor zwei
Jahren beim Volkstrauertag dazu
aufgerufen, Zeitzeugenberichte,
aufschlussreiche Dokumente
und mehr zu sammeln. So konnte
der Pastor i.R. zusammen mit
dem Südstädter Dieter Heun
schon viel Material zusammentragen.
Dazu gehört ein umfangreiches
Manuskript, in dem die
Burgdorfer Medizinerin Gisela
Pieconka über ihr Schicksal im
damaligen Ostpreußen berichtet.
Pieconka hat das Manuskript
auch dem Kempowski-Archiv zur
Verfügung gestellt.