Wie sprachen die Leute im 18. und 19. Jahrhundert in Masuren auf dem Land?

Guten Tag

Mich treibt seit einiger Zeit die Frage um, wie man im 18. und 19. (und vielleicht frühen 20.) Jahrhundert in Masuren auf dem Land sprach: deutsch, polnisch oder masurisch? Ich habe irgendwo gelesen, dass erst mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Preussen die Masuren zur deutschen Sprache übergingen. Die Kirchenbücher sind aber alle auf Deutsch verfasst. Sprachen also die Pfarrer als Dienstsprache Deutsch und war das Masurische auch im 19. Jahrhundert noch verbreitet. Wie stand es mit dem Polnischen?
Ich habe mal in der Verwandtschaft des ostpreussichen Zweiges nachgefragt. Oh, oh ... ketzerische Frage. Dort erhielt ich die Antwort, dass von der älteren Generation immer stark betont wurde, dass man deutschstämmig sei. Aber die Nachnamen sind nicht Schmidt und Hartmann, sondern eher aus dem slawischen Sprachbereich.

Ich kriege den Knopf in meinem Kopf diesbezüglich nicht ganz auf und würde mich freuen hier weitere Erfahrungen und Erkenntnisse zu dem Thema zu hören.

Beste Grüsse

Eva

Hallo Eva,

von meinen Vorfahren weiß ich, dass auch in den Anfängen des 20. Jahrhunderts noch masurisch gesprochen wurde. Eben immer da, wo man mit Deutsch nicht weiter kam. Dieses Masurisch wurde in vielen Familien sogar sehr stark gepflegt.

Viele Grüße

Lars

Eva Heller <eva.heller@yahoo.de> schrieb:

Guten Tag,

bis weit ins 20. Jahrhundert ist auf dem Lande und z.T. in Masuren und im s�dlichen Ermland der masurische Dialekt der polnischen Sprache gesprochen worden. Belegt sind sogar Beispiele, dass sich polnische Zwangsarbeiter w�hrend des Zweiten Weltkrieges problemlos mit ihren "Arbeitgebern" unterhalten konnten. Seit etwa 1870 (Kulturkampf, immer weitere Durchsetzung der Schulpflicht, etc.) steigt die Tendenz zur deutschen Sprache auch im privatem und �ffentlichem Raum au�erhalb der Schule, allerdings nur sehr langsam. Selbst die seit etwa 1880 aus Masuren ins Ruhrrevier wandernden Masuren sprachen kaum ein Wort deutsch. Im Nachhinein (insbesondere infolge des Verlustes Masurens nach 1945) wird die Tendenz sp�rbar, bewusst zu betonen, Masuren seien deutschst�mmig (was ethnisch und kulturell gesehen ja sehr differenziert betrachtet werden muss) und schon immer deutschsprachig gewesen (was einfach unwahr ist).
Mit aufgesetzter nationaler Brille kommt man bei Bev�lkerungsgruppen in ethnisch-kulturellen Grenzgebieten, wie eben Masuren, Ermland, Oberschlesien, Pommern etc. nicht weiter.
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Literatur zum Thema (z.T. im Kontext der Ruhrwanderung), die sich allerdings mit Bewusstseinsproblemen wenn, dann nur am Rande auseinandersetzen. Sehr problematisch sind dagegen Ver�ffentlichungen aus dem Milieu der Landsmannschaften, insbesondere in den 50er-70er Jahren, die ein ideologisiertes historisches Bild vermitteln, das weit entfernt von historischer Realit�t ist.

Eva,
Dies schrieb mein Onkel Albert Thomaschewski (1898-1982) in seinen
"Kindheitserinnerungen" ueber die Sprachverhaeltnisse in Masuren. Er wuchs
in dem kleinen Ort Makrauten, Kreis Osterode auf.
Beste Gruesse
Elke Hedstrom, Garland, Texas/USA

  "Die Umgangssprache [in Masuren] war bis etwa 1908 das "Masurisch."
Es gab alte
  Leute, die kaum deutsch sprechen konnten. In der Kirche wurde
abwechselnd deutscher
  und masurischer Gottesdienst abgehalten. Wir waren eben
zweisprachig. Für verschiedene
  Sachen kannten wir die deutschen Vokabeln überhaupt nicht. In der
Schule mußten wir
  nur deutsch sprechen. Zu Hause und mit älteren Leuten nur masurisch.
Es war daher für
  uns Kinder nicht so einfach, sich nun plötzlich auf "deutsch"
umzustellen.
  Es gab zu meiner Kindheit auch noch alte Leute im Dorf, die nur
pruzzisch sprachen. Das
  war eine uralte Sprache, die vor Jahrhunderten in der Gegend
gesprochen wurde. Natürlich
   machte uns Kindern dieses alles große Schwierigkeiten, zumal die
Lehrer angewiesen waren,
  nur deutsch mit uns zu sprechen. Erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg
hat sich die deutsche
  Sprache als Umgangssprache durchgesetzt. Immerhin mußte man auch
kurz nach dem Ersten
   Weltkrieg die masurische Sprache beherrschen, wenn man sich mit
alten Leuten unterhalten
  wollte. Erst nach etwa 1921 konnte man sich mit alten Leuten auch
fließend deutsch unterhal-
  ten. Später verstanden nur noch wenige das "Masurische." Ich
bedauere es aber nicht, daß ich
  auch masurisch verstehe, da ich mich mit jedem Polen, Tschechen usw.
(auch Russen und
   Jugoslawen) immerhin etwas verständigen kann."

Zu diesem Thema kann ich allen ein Buch empfehlen:

Masuren, Ostpreußens vergessener Süden

von dem Historiker Andreas Kossert

Viele Grüße

Siggi (Kneffel)

Eva,

die in den masurischen Familien �bliche Sprache in Masuren war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts das Masurische, ein polnischer Dialekt, den die Masuren selbst "Polnisch" nannten. Er unterschied sich aber vom Standard-Polnischen so weit, dass "echte Polen" in aller Regel behaupteten, das Masurische nicht zu verstehen. Es ist richtig, dass in den Schulen hochdeutsch unterrichtet wurde, was ja auch nicht weiter verwunderlich sein sollte, weil jede Nation darauf achtet, das alle Staatsangeh�rigen eine gemeinsame Sprache lernen, durch die sich alle verst�ndigen k�nnen. �ber den Schulunterricht und �ber die Verkehrssprache in den masurischen Kleinst�dten mit ihrem zunehmenden deutschsprachigen Bev�lkerungsanteil, wurde das Masurische langsam zur�ck gedr�ngt. Nach ca. dem 1. Drittel des 20. Jhts. sprachen und verstanden dann nur noch �ltere Leute Masurisch. Mein Gro�vater m�tterlicherseits verstand noch Masurisch, seine Eltern sprachen Masurisch und Deutsch; sie benutzten generell das Deutsche, das Masurische nur noch gelegentlich untereinander. Dadurch, dass im "12-j�hrigen Reich" alles Slawische verp�nt war und Ortsumbenennungen stattfanden, wurde sp�ter gerne behauptet, die Nazis h�tten das Masurische "ausgerottet".

Die Sprachenfrage hat nichts mit der Nationalit�t, dem Nationalgef�hl der Masuren zu tun. Sie f�hlten sich zur Zeit des preu�ischen K�nigtums als Preu�en, sp�ter dann als Deutsche. Polnische Bestrebungen, die Masuren f�r die polnische Nation zu begeistern, schlugen bei der �bergro�en Mehrheit der Masuren fehl, obwohl nichts unterlassen wurde, beispielsweise durch Gr�ndung von Zeitungen, die Masuren f�r die "polnische Sache" zu interessieren.

Anders als die gro�e Mehrheit der Polen, waren die Masuren evangelischen Glaubens - das Sektenwesen war verbreitet. In so mancher masurischen Kleinstadt (und selbst in K�nigsberg/Pr.) gab es neben "deutschen" Kirchen auch "polnische" Kirchen. Die polnischen Kirchen wurden so genannt, weil in ihnen in masurischer Sprache gepredigt wurde.

Gru�
Rolf-Peter

Die Aussagen Andreas Kosserts dazu sind sehr mit Vorsicht zu genie�en, da er Historiker ist und kein Sprachforscher und daher, was die Sprachproblematik in Masuren angeht, zu laienhaften Schl�ssen kommt.

Rolf-Peter

Interessant zu den Sprachen ist diese Überblick der Indogermanische Sprachen

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4f/IndoEuropeanTree.svg

Mfg,

Rudolf Stelzer
Joure, Niederlande

Auf der Suche nach:
STELZER, REITZKE, PELZ, LANGE, KOPPITZ (u. KOPITZ, KOMPITZ, KOMPITSCH)
JANZEN, HEß, SCHMIDT, MEIRITZ, MÄRZ in den Kreisen MOHRUNGEN, ELBING,
MARIENBURG, PR. HOLLAND, STUHM

-----Oorspronkelijk bericht-----
[mailto:ow-preussen-l-bounces@genealogy.net] Namens Eva Heller
Verzonden: woensdag 4 december 2013 15:54
Masuren auf dem Land?

Guten Tag

Mich treibt seit einiger Zeit die Frage um, wie man im 18. und 19. (und
vielleicht frühen 20.) Jahrhundert in Masuren auf dem Land sprach: deutsch,
polnisch oder masurisch? Ich habe irgendwo gelesen, dass erst mit Einführung
der allgemeinen Schulpflicht in Preussen die Masuren zur deutschen Sprache
übergingen. Die Kirchenbücher sind aber alle auf Deutsch verfasst. Sprachen
also die Pfarrer als Dienstsprache Deutsch und war das Masurische auch im
19. Jahrhundert noch verbreitet. Wie stand es mit dem Polnischen?
Ich habe mal in der Verwandtschaft des ostpreussichen Zweiges nachgefragt.
Oh, oh ... ketzerische Frage. Dort erhielt ich die Antwort, dass von der
älteren Generation immer stark betont wurde, dass man deutschstämmig sei.
Aber die Nachnamen sind nicht Schmidt und Hartmann, sondern eher aus dem
slawischen Sprachbereich.

Ich kriege den Knopf in meinem Kopf diesbezüglich nicht ganz auf und würde
mich freuen hier weitere Erfahrungen und Erkenntnisse zu dem Thema zu hören.

Beste Grüsse

Eva

Korrektur:

Siehe Indogermanische Sprachen – Wikipedia

und dann rechts auf dem Stammbaum der Indogermanischen Sprachen klicken.

Mfg,

Rudolf Stelzer