Wem gehören die ostdeutschen Kirchenbücher?

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EINLADUNG

Wem geh�ren die ostdeutschen Kirchenb�cher?

Ein Streitgespr�ch zwischen Kirchenvertretern, Archivaren und Genealogen

Sonnabend, den 23. M�rz 2002

Am 17. September 2001 wurde die �ffentlichkeit durch einen Bericht der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung darauf aufmerksam, da� ein Vertrag zwischen
der Deutschen und Polnischen Bischofskonferenz kurz vor dem Abschlu� steht,
in dem die �bergabe von �ber 3.000 Kirchenb�chern aus dem Bisch�flichen
Zentralarchiv Regensburg an verschiedene polnische Di�zesanarchive
festgelegt wird. Es handelt es sich dabei um katholische Kirchenb�cher, die
u.a. aus den fr�heren preu�ischen Ostprovinzen Ostpreu�en, Westpreu�en und
Posen stammen und w�hrend des Zweiten Weltkrieges beschlagnahmt und
ausgelagert wurden. Die Ank�ndigung hat in der deutschen �ffentlichkeit f�r
Aufsehen und erheblichen Widersprach gesorgt. Zum einen, weil es sich bei
den Kirchenb�chern um zentrale historische Quellen f�r die Bev�lkerung in
ehemals deutschen Gebieten handelt, die gerade f�r die Vertriebenen mit
einen hohen Symbolwert verbunden sind, zum �ndern weil durch die
Entscheidung ein Pr�zedenzfall geschaffen wird, der Auswirkungen auf die
polnischen Anspr�che auf kriegsverlagerte Best�nde in bundesdeutschen
Archiven haben kann; Die Diskussionsveranstaltung will den verschiedenen
Interessenvertretern die M�glichkeit geben, ihre unterschiedlichen
politischen, juristischen und historischen Argumente vorzustellen, um damit
einen differenzierten Blick auf die komplizierte Thematik zu erm�glichen.

Programm Beginn 10.30

1. Begr��ung durch den Verein HEROLD

2. Kurzreferate:

- Msgr. Dr. Paul Mai (Direktor des Bisch�flichen Zentralarchives Regensburg)

- Dr. Hartmut Sander (Direktor des Evangelischen Zentralarchives in Berlin)

- Detlef K�hn (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher
Familienforscher e.V.)

3. Publikumsdiskussion

Moderation: Prof.Dr.Friedrich Beck, Archivdirektor i.R., Leiter der
Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften im Verein HEROLD

Ende gegen 13.00 Uhr

Veranstaltungsort: Vortragssaal des Museums Europ�ischer Kulturen, Im Winkel
6, Berlin-Dahlem

aus: Genealogie 50 (2001), S. 792 f.

Kommentar

Am 17.9.2001 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem l�ngeren
Artikel [1], da� am gleichen Tag Kardinal Lehmann f�r die deutsche und
Kardinalprimas Glemp f�r die polnische Bischofskonferenz einen Vertrag
unterschreiben w�rden, der die �berf�hrung von 366l [2] deutschen
Kirchenb�chern, vorwiegend aus Ost- und Westpreu�en, nach Polen vorsieht und
zu dem sowohl die deutsche wie auch die polnische Regierung zugestimmt
haben. Bereits am 9.9. war eine entsprechende Kurzmeldung im Trierer
Bistumsblatt "Paulinus" erschienen. Seitens der katholischen Kirche wird
angef�hrt und im Vertrag ausdr�cklich festgeschrieben, da� die
Matrikelb�cher kein Kulturgut, sondern Kirchen�gut seien. Diese
Rechtskonstruktion ist au�erordentlich problematisch, da das eine das andere
nicht ausschlie�t. Was ist ein mittelalterliches Kruzifix im Eigentum der
katholischen Kirche? Kirchenb�cher sind im Kirchenbesitz befindliche
Geschichtsquellen von hohem Rang. Sie sind vor allem ein Zugang zu unserer
pers�nlichen Geschichte und ihre Bedeutung wird steigen, wenn sich endlich
die Erkenntnis durchsetzt, da� Sozialgeschichte auch und vor allem
Familiengeschichte ist. Matthias Crone vom Erzbisch�flichen Amt Schwerin
weist darauf hin, da� die katholische Weltkirche keine deutschen oder
polnischen Kirchenb��cher kenne, sondern nur die B�cher einer bestimmten
kanonisch errichteten Pfarrei [3]. Bedeutet das aber, da� sie dort
verbleiben m�ssen? Auch in der Bundesrepublik werden die �lteren
katholischen Kirchenb�cher zunehmend nicht mehr im zust�ndigen Pfarramt,
sondern in zentralen kirchlichen Archiven aufbewahrt. Wie zwingend ist
daher - auch nach kanonischem Recht - die Abgabe an polnische Bist�mer? Ist
es vermessen zu vermuten, da� kirchenpolitische Gr�nde hier eine wesentliche
Rolle gespielt, haben?

Das sog. Belegenheitsprinzip, nach dem die Archivalien am Ort ihrer
Entstehung zu verbleiben haben, ist keineswegs unumstritten. Dr. Michael
Silagi vom Institut f�r V�lkerrecht der Universit�t G�ttingen hat auf dem
Archivtag in Cottbus darauf hinge�wiesen, da� in der
Staatennachfolgekonvention von 1983, die allerdings bisher nur von f�nf
Staaten angenommen wurde und deshalb noch nicht in Kraft getreten ist, bei
Ver�treibung der Mehrheit der Bev�lkerung das Territorialprinzip f�r
Archivgut durch das personale Herkunftsprinzip ersetzt wird. Danach m��te
die Bundesregierung das einschl�gige Archivgut von der polnischen Regierung
fordern, nicht umgekehrt.

Der Besitz der Archive hat auch mit Kontrolle von Geschichtsforschung und
Geschichtsdarstellung zu tun. Nicht nur totalit�re Regime haben das
vorgemacht. Die Geschichte des deutschen Ostens nach dem zweiten Weltkrieg
ist ein sensibles Thema, das sich auch und gerade an den Archiven festmacht.
In der Realit�t sollten dogmatische Vorstellungen der einen oder anderen
Seite einer realistischen Sicht Platz machen. Das Archivgut aus den
ehemaligen deutschen Ostgebieten ist - stark zufallsabh�ngig - heute auf
deutsche und polnische Archive verteilt. Es enth�lt die Daten zur
Vergangenheit einer Bev�lkerung, von deren Nachkommen nur noch ein Bruchteil
im heutigen Polen lebt. Entscheidend ist daher die dauernde Sicherung der
Zug�nglichkeit vor allem f�r die betroffenen Deutschen zu annehmbaren
Bedingungen. Dabei geht es nicht zuletzt um praktische Fragen. So sollten
Kopien bzw. Abschriften in der Originalsprache gew�hrleistet sein. Es soll
nicht �bersehen werden, da� sich hier einiges bewegt hat. Grunds�tzlich
d�rfen polnische Standes�mter Kopien der Eintragungen herausgeben, wenn ein
Kopierger�t zur Verf�gung steht und der Zustand der B�cher es erlaubt. Es
sei an dieser Stelle auch auf die inzwischen erschienenen Verzeichnisse
deutscher Archivalienbest�nde in polnischen Staatsarchiven und Standes�mtern
verwiesen.

Zur �bergabe der Kirchenb�cher an die polnische katholische Kirche sind
unterschied�liche formalrechtliche Standpunkte denkbar. Unabh�ngig davon
w�re es gut und sachlich gebo�ten gewesen, die Regelung dieser Angelegenheit
in den Kontext einer vern�nftigen Gesamtl�sung einzubeziehen. F�r den
faktisch vollst�ndigen Ausschlu� der �ffentlichkeit bei der Aus�handlung
eines Vertrages, der keineswegs nur kirchenrechtliche Fragen ber�hrt, sind
Gr�nde nicht ersichtlich au�er der Sorge vor �ffentlichen Reaktionen. Es
macht nach�denklich, da� der Vertrag offensichtlich auch innerhalb der
katholischen Hierarchie als Geheimsache behandelt worden ist. Anders ist
jedenfalls die �u�erung des Limburger Weihbischofs Gerhard Piechl nicht zu
deuten, er habe mit Erstaunen dem Artikel "D steht f�r Danzig" die Absicht
der Kardinale Lehmann und Glemp entnommen, am 17.9.2001 den Vertrag �ber die
�bergabe der Kirchenb�cher zu unterschreiben.

Die Suche nach einer annehmbaren L�sung f�r die Archivalien der ehemaligen
deut�schen Ostgebiete wird wohl langwierig sein. Sie ist nur denkbar in
einem Proze� der Geschichtsaufarbeitung in einem zusammenwachsenden Europa
und erfordert Zuge�st�ndnisse von allen Beteiligten. Esbleibt zu hoffen, da�
die Politik nicht versucht, sich mittels fauler Kompromisse ein l�stiges
Thema vorschnell vom Halse zu schaffen. Ob weit�gehend bedingungslose
Vorleistungen, wie die �bergabe der 3361 katholischen Kirchenb�cher an die
polnische Kirche, einer L�sung der Problematik dienlich sind, bleibt
abzuwarten. Skepsis ist angesagt. Zu hoffen ist allerdings, da� die in
diesem Zusammenhang prakti�zierte �berrumplung der �ffentlichkeit nicht
Schule macht. Da� sie m�glich war und weitgehend hingenommen wird, hat sehr
wesentlich auch mit dem spezifischen zeitgen�ssi�schen Verh�ltnis zur
Geschichte in Deutschland zu tun. Verdr�ngung ist kein Rezept,
eine�ffentliche Debatte ist �berf�llig.

Hermann Metzke

[1] "D steht f�r Danzig". [3] FAZ vom
8.10.2001.

[2] richtig 3361 (FAZ vom 22.10.2001). [4] FAZ vom 22.10.2001.