Das hier beschriebene Problem ist ja nicht ausschließlich ein polnisches; noch vor wenigen Jahren
(wahrscheinlich auch heute noch) konnte man auch in Deutschland in Sachen Familienforschung völlig unwillige
und unkooperative Pfarrer antreffen, selbstverständlich aber auch äußerst hilfsbereite und engagierte, und
natürlich auch sämtliche Schattierungen dazwischen. Hierzulande ist man mittlerweile auf den Pfarrer vor Ort
nicht mehr unbedingt angewiesen, da die älteren Kirchenbücher (z. T. selbst solche aus der Zeit von 1950/1960)
ans Diözesanarchiv abgeliefert werden mußten so im Bistum Hildesheim oder alle Kirchenbücher der Diözese
bis zum Beginn der Standesamtsregister 1874/76 auf Mikrofiche verfilmt wurden und diese Fiche im
Diözesanarchiv an Lesegeräten benutzt werden können, während die Originalbücher in den Pfarreien verbleiben
(so in der Diözese Osnabrück) und nur ganz selten mal befragt werden müssen, wenn eine Ficheaufnahme ein
wichtiges Detail nicht erkennen läßt. Und diese Fälle sind nach meiner eigenen Erfahrung in Osnabrück wirklich
sehr selten.
Aber eben dem kritisierten Umstand trägt das "Rückführungsabkommen" über die in Regensburg befindlichen
kath. Kirchenbücher aus den Gebieten östloch Oder und Neiße durchaus Rechnung, indem ausdrücklich
bestimmt wird, daß die Kirchenbücher in die zuständigen Diözesanarchive (für uns sind das die in Allenstein,
Danzig und Pelplin) und eben nicht in die einzelnen Pfarreien zu bringen sind und dort archiviert werden.
In Polen kommt allerdings hinzu, daß die Familienforschung (noch) alles andere als eine Massenerscheinung ist
und viele Pfarrer der Familienforschung nicht mal mit Ablehnung, sondern mit völligem Unverständnis
gegenüberstehen. Aber auch in Polen kenne ich positive Beispiele. So habe ich bereits Anfang der 90er Jahre
aus Wormditt/Orneta vom dortigen Pfarrer ohne Umstände oder Probleme den Sterbe- und Beerdigungseintrag
einer 1910 dort verstorbenen Urururgroßtante erhalten zwar auf dem üblichen Vordruck (der übrigens
zumindest damals zweisprachig war: polnisch/lateinisch! und somit problemlos verstehbar, denn die dafür
notwendigen Lateinkenntnisse muß ein Familienforscher ohnehin haben, will er ältere katholische
Kirchenbücher lesen und verstehen können), aber immerhin mit allen relevanten Angaben und Schreibweise
von Vor und Familiennamen gemäß der Vorlage!
Bleibt die Frage: Warum werden in Polen die Kirchenbücher nicht generell verfilmt? Die "Mormonen" würden sie
sicher gern verfilmen, doch ist das meinen Informationen zufolge von der dortigen katholischen Kirche aus
Glaubens- und theologischen Gründen schließlich abgelehnt worden. Vom Ermländischen Erzdiözesanarchiv in
Allenstein weiß ich, daß durchaus Verfilmungen von Kirchenbüchern und Archivalien gemacht werden - aber nur,
wenn sie jemand im Auftrag gibt und dafür bezahlt.
Und eine weitere Frage: Warum werden die Kirchenbücher im nördlichen und westlichen Polen aus der Zeit vor
1945 nicht in den Diözesanarchiven zentralisiert? Zumindest das Erzdiözesanarchiv in Allenstein würde das wohl
gerne doch die Pfarrer der Diözese sind wohl nicht sehr erpicht darauf, die bei ihnen befindlichen alten
Kirchenbücher und -akten an das Archiv abzugeben. Aber auch das ist keineswegs "typisch polnisch". Anneliese
Triller, 1933-1945 ermländische Diözesanarchivarin, hat im Ermlandbuch 1982 berichtet, wie sie sich seinerzeit
abmühte, die Pfarrer dazu zu bringen, die alten Akten an das Diözesanarchiv abzugeben oder zumindest für eine
geordnete und sichere Aufbewahrung Sorge zu tragen. Also leider nichts neues unter der Sonne ...
Da selbst Fachhistoriker den Wert der Kirchenbücher häufig unterschätzen oder gar nicht erst wahrnehmen, bleibt
uns wohl nur übrig, alles an Kirchenbüchern, soweit machbar, zu publizieren ob als Abschrift, Familienbuch,
Datenbank ist da fast eine zweitrangige Frage.
Viele Grüße aus Hamburg
Carsten Fecker