Liebe Liste,
bei meiner Suche nach umherziehenden Familien in Eifel und Hunsr�ck spreche ich der Einfachheit halber von "Vagabunden", weil dieser die Bezeichnung ist, die auch in den Kirchenb�chern verwendet wird.
Nun macht Karl Heinz Scheuren in der Eifelliste darauf aufmerksam, dass diese Bezeichnung f�r ihn nicht angemessen klinge; auch heutige Fernfahrer oder Arbeiter auf Montage w�rde man ja so nicht nennen.
Ich nehme das zum Anlass, die Gruppe der "Vagabunden" genauer vorzustellen. Mit "Vagabunden" werden in den Kirchenb�chern Personen bezeichnet, die 1. auf Durchreise sind und zugleich und 2. keinen festen Wohnsitz hatten. "Kein fester Wohnsitz" ist f�r den Pfarrer entscheidend; denn ohne festen Wohnsitz kann bei einer Trauung nicht festgestellt werden, ob jemand bereits verheiratet ist, udn bei einer Taufe ist im Zweifel nicht nachweisbar, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht.
Mit "Vagabunden" sind keineswegs alle gemeint, die auf Durchreise waren und dabei mehr oder weniger zuf�llig in einem Kirchenbuch auftauchen.
FUHRLEUTE etwa werden nicht als Vagabunden bezeichnet, sondern als Fuhrmann, Fuhrknecht, lat. auriga. Fuhrleute waren ja durchaus sesshaft; im Rahmen ihres Berufes verbrachten sie allerdings viel Zeit auf den Fernstra�en der Fr�hen Neuzeit. Gleichwohl hatten sei einen festen Wohnsitz, an dem sich ihre Familie aufhielt (Frauen und Kinder der Fuhrleute blieben ja zuhause). Aus dem Raum um Aachen und aus dem Harz wei� man, dass Fuhrleute recht wohlhabend waren oder sein konnten. Allein der Besitz von mehreren Pferden war ja auch teuer.
HIRTEN sind ebenfalls keine Vagabunden. Sie leben zwar an wechselnden Orten, sind aber dort f�r eine gewisse Zeit ans�ssig. HIRTEN waren ja meist von der Gemeinde als Gesamtheit angestellt wenigstens f�r ein Jahr, oft auch l�nger. HIRTEN sind ggf. �fter umgezogen, waren nat�rlich auch mit ihren Herden unterwegs, hatten aber einen Wohnsitz. Abends mussten die K�he ja auch wieder nach Hause, die Schweine nach der Mast wieder in den Heimatort.
Wandernde HANDWERKER sind auch selten als Vagabunden bezeichnet. Handwerksgesellen hatte ja eine solide Ausbildung, waren zwar auf Wanderschaft, aber fanden durch ihre Ausbildung, ihre F�higkeiten ja Anschluss an die jeweilige Gesellschaft.
Bei WANDERH�NDLERN wird die Sache schwieriger. Hier gibt es sicher H�ndler, die ebenfalls einen festen Wohnsitz hatten, von dem sie aus aufbrachen und an den sie nach Tagen oder Wochen zur�ckkehrten. Die Geschirrh�ndler in der Eifel scheinen in diese Gruppe zu geh�ren.
Was aber sind nun VAGABUNDEN? Vagabunden im engeren Sinne sind Menschen, die am �u�ersten Rand der Gesellschaft lebten, die in der REgel keine Ausbildung im Handwerk hatten, keinen Besitz, keinen Wohnsitz und die mit der ganzen Familie von Ort zu Ort zogen. Ihren Lebensunterhalt verdienten diese Vagabunden teils mit Hilfsarbeiten, teils als Wandergewerbetreibende (Scherenschleifer, Kesselflicker, Korbflechter, Musikanten), teils auch als Wanderh�ndler. Allerdings handelten sie nicht mit Geschirr, sondern eher mit geringwertigen Waren: Mit Zunder, Kerzen, Unschlitt, Wurzeln, Reisig.
Aufgrund ihrer schlechten Lage finden sich diese Vagabunden teilweise im Umfeld von R�uberbanden oder werden in Verh�rprotokollen erw�hnt. So sind bei meinen Vagabundenvorfahren unter den Paten auch R�uber aus der Schinderhannesbande.
Dementsprechend wurde diese Vagabunden im engeren Sinne von den staatlichen Beh�rden verfolgt. Sie wurden des Ortes verwiesen oder Orte wurden f�r Vagabunden verboten. Es gab strenge Verbote, Vagabunden zu beherbergen. Sowohl im 18. Jh. als auch die Franzosen nach
1794 haben die Vagabunden teilweise verfolgt und z.B. in Arbeitsh�user
gesperrt. Noch im Alten Reich, d.h. vor 1794, wurden Vagabunden
teilweise verhaftet und zum Galeerendienst nach Venedig gebracht. Das
d�rfte ein Grund sein, warum manche Vagabunden so spurlos verschwinden.
Beispiele daf�r aus dem LHA Koblenz:
1778: Verhandlungen von Kurtrier mit Frankreich wegen Ablieferung von
"Verbrechern" auf die Galeeren 1C 03.09 Sachakte 375
1725 Schreiben der Kurmainzer Reg. �ber Ma�nahmen beim "Transport der
Zigeuner und Vagabunden" zur Galeerenarbeit nach Venedig 1C Sachakte
10193 1126
1741 Hochgericht Kellenbach: Aburteilung von Vagabunden Bestand 51,021
1734-86 Gericht Enkirch: Strafsachen weg. Diebst�hlen / Vagabunden
Bestand 655,080
1806/13 Inhaftierte Personen (auch vagabunden) und deren �berwachung
Bestand 256, 6073
Ein Verzeichnis der Kurtrierer Regierung aus der MItte des 18. Jahrhunderts listet einige Dutzend Vagabunden auf. Ich zitiere zwei Beispiele, damit sich alle ein Bild machen k�nnen:
"Der dicke Franz ein Vagabund, ohnweit Kirchberg geb�rtig, 28.j�hrigen Alters, klein gesezter Statur, ausgef�llten Angesichts, braunlichter Haaren, traget einen braunen Rock, ziehet mit der Marielies nebst seinen zwey Kindern herum, ist ein Camerad des zu Ellfeld mit dem Strang justificirten MAttes, mit welchem er zu Kirberg vor zwey Jahren, und schon vorhero allein zu Raunen aufm Hundsruck gef�nglich eingesessen, ist im Ritteeler- Schwaltzer und Pabster-H�fen, wie auch zu Espenscheid gar wohl bekannt."
"Der Hans Adam des Bentzheimer Lorenzen Sohn, sonsten Klingen oder Keilbacken genannt, weilen vormahls ein Geschw�r am Hals gehabt, und davon an einer Seith einen Dutzen behalten, ein famoser Landstreicker, 20.j�hrigen Alters, mittelm��iger Statur, h�bsch von Gesicht, ohne Bart, schwartz-braunlicht von Haare,n spricht die Oberl�ndische Sprach, traget verschiedene Arth von Kleyder, hat an einem Schulterblatt von einem empfangenen Schu� ein rothes Zeichen, auch vorhin des Bingen Simons Lies nachgef�hret, welche zu St. Goar gesessen, und gebrandmercket, ziehet auf dem Hundsruck, dem Ober- und Niederland herum, ist jederzeit wenigstens mit ein Paar Pistohlen versehen, und ein beruchtigter Tag- und Nachts-Dieb, auch ein gef�hrlicher Strassenrauber ... gibt sich f�r einen Porcelain-F�hrer aus, bedienet sich in seinen P�ssen des Nahmens Mattes Hartnagel ..."
Ich denke, dass ich daher an dem Begriff "Vagabunden" festhalten werde, da er der zeitgen�ssische ist. Eine moralische oder sonstige Abwertung weder der Menschen fr�her noch heute verbinde ich damit nicht; ich beschreibe einfach eine soziale Randgruppe. Dass diese Menschen f�r ihr Schicksal oft nur begrenzt selbst verantwortlich waren, dass die Umst�nde ihnen sicher oft keine Wahl gelassen haben, steht au�er Frage. Spannend aber ist es, ihnen nachzusp�ren, einmal, weil es meine Vorfahren sind, zum anderen, damit sie nicht ganz vergessen sind, zum dritten, weil es lohnend ist herauszufinden, was sie so an den Rand der Gesellschaft gebracht hat und wie ihre Nachkommen wieder Fu� gefasst haben.
Mit freundlichen Gr��en
Tobias A. Kemper