Warnungen vor der Auswanderungssucht 1816

Trierische Zeitung
Donnerstag den 8. August 1816
Nummer 95

Frankfurt, vom 2. August.

Zu den schwer zu erklärenden Erscheinungen gehört es, dass der Teutsche
obgleich seiner Nation, seinem Vaterlande, seinen bürgerlichen Verhältnissen
so treu anhängend, doch von Zeit zu Zeit von der Auswanderungsucht
ergriffen wird. Diese Sucht herrschte unter anderem in den Jahren 1768 und 1784
gleich einer ansteckenden Krankheit. Tausende von Familien, durch täuschende
Versprechungen von betrügerischen Bewerbern hingerissen, verließen mit ihrer
in der Eile nachteilig versilberten Habe das Vaterland, um in Amerika und
in Polen dem Blendwerke eines größeren Glücks nachzulaufen. Hatten sie sich
dann unter Mangel und Elend aller Art bis zum Ziele ihrer eiteln
Hoffnungen hindurch gearbeitet und gebettelt, dann erkannten sie es zu spät, dass
man sie betrogen hatte und beweinten vergeblich ihre Leichtgläubigkeit, weil
die Rückkehr in das verlassene bessere Vaterland innen verschlossen war.
Mit bitterer Reue gedachten sie dann des Ausspruchs der Heiligen Schrift:
bleibe im Lande und nähre dich redlich!

Das Journal von und für Teutschland, Schlözers Staats-Anzeiger, die
Teutsche Zeitung und der allgemeine Anzeiger der Teutschen, enthalten Beispiele
und Warnungen in Fülle.

Leider scheinen diese Arbeit bei einem großen Teil der Bewohner der
Schweiz und der Rheinprovinz vergessen, oder nicht zu ihrer Kunde gekommen zu
sein; denn auch jetzt sind viele Einwohner desselben von jener
Auswanderungssucht befallen und geben sich dieser mit ebenso großer Sorglosigkeit hin wie
der Türke der Pest. Die Ausführung ihres Vorhabens wird eben so wie den
früheren Auswanderer die Reue auf dem Fuße nachfolgen; denn sehr bald werden
sie sich überzeugen, daß die Stimme der Verführung sie irre geleitet hat;
daß Luftschlösser an die Stelle einer gesegneten, vom Joche des Unterdrücker
des befreiten Heimat getreten, daß Vaterland, Freunde, Verwandte, gewohnte
Sitten und Gebräuche, verschwunden sind, daß die Hilfe der alten
teilnehmenden Obrigkeit, der Trost des vertrauten Seelsorgers versagt ist und eine
fremde unbekannte Sprache keine Mitteilung gestattet.

Es ist demnach Pflicht jedes sein Vaterland und seine Mitbürger liebenden
Teutschen, die in beklagenswerter Verblendung ihrem Verderben entgehen
zielende Einwohner zu wahrenden, solange es noch Zeit ist; besonders dringende
Pflicht ist dieses für Geistliche und weltliche Obrigkeiten. Hier zu Lande,
wo noch so viele unangebaute Wildländereien und zum Roden geeignete
Waldstücke vorhanden sind; wo es im Geiste der Regierungen so wesentlich liegt,
die Kultur und den Gewerbefleiß zu befördern; wo diese sich gewiss angelegen
sei entlassen werden, selbst den Tagelöhnern, welche ihr Brod redlich
verdienen wollen, dazu durch Wald=Wege=Bau= und anderen öffentlichen Arbeiten
Gelegenheit zu verschaffen: muss es den öffentlichen Behörden besonders
leicht werden, die getäuschten und verführten Einwohner von der Auswanderung
abzumahnen. Zwar sind jetzt, kurz vor der Ernte, die Preise der Brodfrüchte zu
einem sehr hohen Preise gestiegen; doch ist dies nur ein vorbeigehendes
Übel, womit auch die entferntesten Gegenden in diesem Jahr nicht verschont
geblieben sind. Beruhigende Nachrichten wegen der Ernte gehen von mehreren
Seiten ein, und die Preise sind schon wieder im sinken, weil einige
Regierungen sofort vorsorglicher Maßregeln durch unentgeltliche oder doch
wohlfeilere Austheilung von Früchten und Brod ergriffen haben. Zuverlässig wird es
also allen arbeitslustigen Einwohnern und redlichen Familienväter nicht an
Verdienst fehlen; sie können diesen hier als freie Staatsbürger im besseren
Vaterlande haben, und sind nicht genötigt, ihn in fernen Landen, wo
Leibeigenschaft und Rohheit zu Hause sind, unter fremden Sitten und bei fremder
Sprache noch weit kümmerlicher zu suchen.

Dieses zur Warnung für alle, welche hören wollen.