Hallo allerseits,
ich kenne seit Jahren eine interessante Akte aus dem Staatsarchiv
Wolfenbuettel, die ich an dieser Stelle zumindest grob vorstellen
moechte (ich habe sie erst teilweise ausgewertet):
Pabstorf gehoerte aufgrund seiner Geschichte (Einbeziehung der
ehemaligen Einwohner einiger Wuestungen der naeheren Umgebung im
15.-16.Jh. ins Dorf und in die Feldmark) politisch teilweise zum
Fuerstentum Halberstadt, teilweise zum Herzogtum
Braunschweig-Wolfenbuettel.
Die Wolfenbuettelschen Untertanen waren dem Amt Hessen gegenueber
dienstverpflichtet. Zu Ihren Dienstpflichten gehoerten - wie auch
anderswo ueblich - im Wesentlichen Spann- und Fuhrdienste fuer die
Ackerleute und Halbspaenner, sowie Handdienste fuer Kothsassen und
Brinksitzer. Die prinzipielle Dienstverpflichtung galt im konkreten
Fall jeweils fuer zwei Vierteljahre und die Dienstpflichtigen mussten
fuer die Tage, an denen sie selbst keinen Dienst leisteten, ein
"Dienstgeld" entrichten. Aus oekonomischen wie praktischen Gruenden war
man sowohl im Sinne des Amtes, als auch der Einwohner selbst (die durch
eigene Arbeit in der gleichen Zeit mehr Einkommen erwirtschaften
konnten, als die Hoehe des Dienstgeldes betrug), nach und nach dazu
uebergegangen, einen groesseren Teil der Handlangertaetigkeiten fuer
das Amt von Tageloehnern erledigen zu lassen, die vom Dienstgeld
bezahlt wurden.
Als aber um 1725 ein neuer Drost fuer die Pabstorfer Untertanen
zustaendig wurde, aenderte sich so viel zum Negativen, dass letztere
den Eindruck gewannen, sogar noch weit ueber die juristisch zulaessigen
Grenzen ihrer Dienstverpflichtung belastet zu werden. Daher
entschlossen sie sich 1728 zu einer Klage bei der zustaendigen
herzoglichen Kanzelei.
Wie diese Klage ausgegangen ist, weiss ich leider (noch) nicht, aber
ich habe hier die wesentlichen Punkte der Klage:
1) die Dienstpflichtigen mussten haeufig schon um 1 Uhr nachts
aufbrechen, um rechtzeitig zu ihrem Dienst vor Ort zu sein. Diese
Tatsache an sich akzeptierten sie, nicht aber die Tatsache, dass sie
haeufig erst um 22 Uhr am gleichen Abend zum Dienst angefordert wurden.
Dadurch wurde es ihnen oft unmoeglich, ihre Pfluege und Ackergeraete
vorher vom Acker zu holen, fuer hinreichend Proviant zu sorgen und ihre
Pferde hinreichend zu versorgen (bzw. auch, diesen hinreichend Ruhe zu
geben). Ausserdem verkauften die Ackerleute und Halbspaenner ihr
Getreide haeufig auf dem Markt in Braunschweig, weshalb ihre Pferde und
Wagen bei so kurzfristiger Forderung dann oft nicht da waren. Die
Kothsassen und Brinksitzer, die ja zumeist vom Tagelohn leben mussten,
bekamen durch die Kurzfristigkeit oft Probleme mit ihrem jeweiligen
Arbeitgeber bis hin zum Lohnverlust aufgrund von nur teilweise
Erfuellung des Arbeitsvertrages.
2) die Ackerleute und Halbspaenner wurden haeufig fuer Heu- und
Getreidefuhren auf den Huy bei Hornburg abgeordnet und mussten dann oft
- bei schlechten Wegen und starker Steigung - am Tag zwei Fuhren von
jeweils zwei Schock Heu- oder Getreidegarben erledigen. Diese Tatsache
an sich akzeptierten sie, nicht aber, dass neuerdings die Garben so
uebergross gebunden wurden, dass sie sich nur noch mit Muehe aufladen
und kaum noch abtransportieren liessen. Die Folge waren dann oft ein
Zusammenbrechen oder Umstuerzen der Wagen und ein Zerreissen der
Zugvorrichtung fuer die Pferde. Brach der Wagen auseinander oder
stuerzte er um, zerrissen oft auch die Bindungen der Garben und mussten
erneuert worden. Fuer Reparaturen, Neubinden und Versorgung der
ebenfalls geschaedigten Pferde mussten die Dienstpflichtigen aber
selbst sorgen. Zu allem Ueberfluss bekamen sie fuer diese Tortur nur
wie bisher ueblich halbe oder dreiviertel Diensttage angerechnet. D.h.
sie mussten Dienstgeld zahlen, obwohl sie hohe Ausgaben hatten und oft
lange mit der Beseitigung der Schaeden zu kaemfpen hatten.
3) frueher war es ueblich, dass die dienstpflichtigen Ackerleute und
Halbspaenner mit ihren Arbeitstieren an heissen Mittagen ihre Pause im
Dorf Hessen vebrachten, wo sie ihre Tiere und sich selbst im Schatten
mit Nahrung und Wasser versorgen konnten. Der neue Drost zwang sie
aber, auf dem Feld zu bleiben udn ihre Tiere ebenfalls dort zu
versorgen - was u.a. beinhaltete, dass sie das benoetigte Wasser aus
teils grosser Entfernung heranschleppen mussten.
4) die Kothsassen wurden vom neuen Drost verpflichtet, grundsaetzlich
mit ihren Sensen zum Dienst zu erscheinen (und zwar unabhaengig, ob sie
zur Arbeit mit den Sensen eingeteilt waren, oder nicht). Kamen sie ohne
ihre Sense, wurden ihnen Ackergeraete, Saettel und andere taeglich
benoetigte Dinge abgepfaendet, bis sie eine Strafe von 20 Thalern (wenn
ich richtig vermute, kam das etwa einem Monatslohn gleich) entrichtet
hatten. Nicht fuer die Arbeit benoetigte Wertgegenstaende, die
ersatzweise als Pfand angeboten wurden, lehnte der Drost ab. Wenn sie
Garben binden mussten, waren sie verpflichtet, dafuer eigene Seile zu
benutzen. Waren dem Drost die Garben nicht dick genug, zerschnitt er
ihnen einfach die Seile. Das fuehrte dann dazu, dass die Garben so dick
wurden, dass sie kaum noch zu handhaben waren - mit den bekannten
Folgen fuer die Fuhren.
5) der neue Drost hatte den Dienstpflichtigen bei seinem Amtsantritt
versprochen, ihnen keine neuen Lasten aufzubuerden, doch empfaenden sie
es schon (auch unabhaengig vom oben genannten) als neue Last, dass sie
viele Dienste, die sie bisher durch die Zahlung von Dienstgeld abgelten
konnten, wieder "in Natura" leisten muessten - was fuer sie (wie schon
erwaehnt) Einkommensverluste zur Folge hatte, da sie waehrend der
Dienstpflichten keinem eigenen Gewerbe nachgehen konnten.
Diese Punkte standen in einer Klageschrift, mit deren Verfassung die
Pabstorfer einen Anwalt beauftragt hatten. Um die Beauftragung
offiziell zu machen, hatten sie einen amtlichen Vordruck ausgefuellt,
in dem sie den Anwalt als ihren Vertreter bestaetigten. Dieser Vordruck
enthaelt u.a. saemtliche Unterschriften aller klagenden
Haushaltsvorstaende (wer zu dieser Zeit erwachsene maennliche Vorfahren
im Ort hat und wissen moechte, ob einer dieser Vorfahren mit
unterschrieben hat, moege mich bitte unter Angabe des Standes und
Berufes direkt anschreiben.
Die weiteren in der Akte vorhandenen Dokumente betreffen u.a. eine
Anhoerung vor Gericht, zu der neben dem Drosten (bzw. dessen Vertreter)
u.a. der Anwalt der Doerfler, sowie Vertreter der doerflichen Staende
der Ackerleute, Halbspaenner, Kothsassen und Brinksitzer erscheinen
mussten. Darueber hinaus gab es wahrscheinlich (wie schon geschrieben,
habe ich es noch nicht geschafft, die Akte komplett auszuwerten) Akten
zum juristischen Hintergrund der Dienstverpflichtungen,
Sitzungsprotokolle und mit etwas Glueck ein Urteil.
Moege das Geschriebene fuer den Einen oder die Andere von Euch von
Interesse sein!
Gruesse!
Giacomo-Marco (Sbriglione)