Vom hohen stande schlesischer landwirtschaft im sechzehnten jahrhundert

VOM HOHEN STANDE SCHLESISCHER LANDWIRTSCHAFT IM SECHZEHNTEN JAHRHUNDERT

Im Jahre 1593 veröffentlichte Martin Grosser ein Buch zur "Anleitung in der Landwirt­schaft".

"Kurze und gar einfeltige Anleitung zu der Landwirtschaft, beides im Ackerbau und in der Viehe­zucht nach Art und Gelegenheit dieser Land und Ort Schlesien. Wie man gemeiniglich die Ecker zu bauen, und wo man jede Art des Getreides hinzuseen, auch wie man gewöhnlich das Viehe zu ziehen, zu mehren und zu füttern pfleget. Durch Martinum Grossern, Pfarrern zu Schewitz im Breslauischen Fürstentumb gelegen. Görlitz 1590."

Er war Pfarrer in Schebitz, das nördlich von Breslau liegt und ein großes Stra­ßendorf ist, dessen Anlage darauf hinweist, daß es im Mittelalter mit deutschen Bauern besiedelt worden war. Grosser erklärt, daß viele Leute beschämend wenig über die ein­fachen Dinge des täglichen Lebens wüßten. Um dem abzuhelfen, veröffentliche er sein Werk. Und er berichtet dann nicht nur, wie die Ackerfrüchte bestellt und das Vieh groß­gezogen und gefüttert wird, sondern führt weiter die bäuerlichen Arbeitsgeräte auf und gibt an, wie sie verwendet werden, und nennt ihre einzelnen Teile. So übermittelt er uns ein gutes Bild der bäuerlichen Wirtschaft seines Dorfes und damit auch der schlesischen Landwirtschaft jener Tage.

Er zählt Winterweizen, Winter- und Sommerroggen, Winter- und Sommergerste, Hafer, Linsen, Hirse, Erbsen, Schwaden (oder Schwadengras, Glyceria fluitans Brown), Heidekorn (Buchweizen), Flachs, Hanf, Röte (Färberröte oder Krapp, Rubia tinc­torium L.), Steck- und Stoppellrüben, Rettich und Sommerrübsen auf und gibt Hinweise für den Anbau. Die Reihe dieser Ackerfrüchte reicht von denen für schweren Boden (Weizen und Erbsen) über andere für gute milde Böden (Gerste, Flachs, Hanf) bis zu solchen für leichten Boden (Sommerroggen, Hirse, Buchweizen).

Die Felder wurden ordentlich gedüngt, was bei den teilweise anspruchsvollen Früchten eine Notwendigkeit war. Das war keineswegs eine selbstverständliche Sache. In vielen Gegenden war es nicht möglich, da es zu wenig Stallmist gab. Daher konnte ein großer Teil der Acker, vor allem die entfernteren, die Außenfelder, keinen Dünger erhalten. Dementsprechend waren dort die Erträge gering, ja geradezu kümmerlich, so daß man diese Felder nur alle drei Jahre oder sogar in noch größeren Abständen nur mit Roggen bestellen konnte.

Auf eine gute Viehhaltung legten die Schebitzer offenbar großen Wert. Getreide ver­fütterten sie nicht nur an die Pferde, sondern auch an das andere Vieh, besonders an Jungtiere und zur Mästung. Eine schlesische Besonderheit, die Grosser erwähnt, ist der Brauch, das Futter (Häcksel, Kleie, etwas Hafer, Schrot) mit kochendem Wasser zu überbrühen und eine "Söde" herzustellen, die im Winter warm verfüttert wird. Dabei müssen wir uns vergegenwärtigen, daß das Getreide damals weit geringere Erträge brachte als heute und daher knapper und wertvoller war. Abraham von Thumbshirn, ein Zeitgenosse Grossers, dem als Hofmeister des Kurfürsten von Sachsen dessen Güter unterstanden, spricht nicht derart von einem Verfüttern von Getreide. Dagegen verlangt er, daß die Drescher einen Eid auf die Hostie ablegen sollen, damit sie sauber dreschen und nichts veruntreuten, und gibt umständliche Maßregeln an, wie das Korn auf den Tennen zu sichern sei. Nicht nur die Gerste, sondern auch der Hafer dienten nicht bloß im Mittelalter, sondern vielerorts auch später den Menschen zur Nahrung, heute als Grütze und Haferflocken! Die üblichen Ernten erbrachten das Drei- bis Vierfache der Aussaat, "das dritte bis vierte Korn", und häufig noch weniger. Bei Mißernten griffen böse Hungernöte um sich und in ihrer Folge waren unerschwingliche Kornpreise bis tief in das achtzehnte Jahrhundert keine Seltenheit.

Noch 1846/48 herrschte in Oberschlesien, Kongreßpolen und Galizien eine schlimme Hungersnot. Sie zog einen Seuchengang des Hungerthyphus nach sich, dem bis ein Zehntel der Be­völkerung erlag. Die preußische Regierung entsandte eine Kommission unter RUDOLF VIRCHOW nach Oberschlesien, der einen erschütternden Bericht veröffentlichte. Gegen die früheren Zeiten bestand nur insofern ein Unterschied, als die Not vor allem durch eine völlige Mißernte an Kartoffeln hervorgerufen worden war, die 1846 schwer von der Krautfäule (Phytophtora) be­fallen wurden.In Irland hatte die so entstandene Not zu einem starken Auswandern nach Amerika geführt. - Erhard Boberski, in "Deutsche Monatshefle", Kattowitz, 8. Jg. 1941/42, Hefl 10/12.

Verständlicherweise stützte das gute Halten des Viehes und das sorgfältige Bestellen der Felder einander: Weil das Vieh gut gefüttert wurde (Linsen wurden ange­baut, um sie ungedroschen den Lämmern zu geben), gab es reichlich Stallmist und umge­kehrt genügend Futter.

Aus der ganzen Art ihres Wirtschaftens ergibt sich, daß sich die Bauern von Schebitz gut standen. Fragen wir nach dem Grunde, so war sicher die Nähe des nur gut zwei Meilen entfernten Breslau von großer Bedeutung. Dorthin konnten die Erzeugnisse günstig verkauft werden. Dazu bauten die Bauern ein Handelsgewächs an, das besonderen Ge­winn brachte, nämlich die Färberröte, deren Wurzeln einen roten Farbstoff lieferten. Hier sei auf die Dörfer in Thüringen verwiesen, die durch den Anbau von Waid, bei dem die Blätter eine blaue Farbe gaben, zu Wohlstand, ja zu Reichtum gekommen sind.

In Thüringen gab es 300 Waiddörfer, von denen manches in einem Jahre für 12 000 - 16 000 Taler Waid verkaufle.

           Theodor Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der deutschen Landwirtschafl, Stuttgart/Berlin 1902/03, 1. Bd., S. 126/27.

Die guten Verhältnisse der Schebitzer werden dadurch bestätigt, daß sie mit ordent­lichen Geräten ausgerüstet waren. Was Grosser darüber sagt, ist besonders wertvoll, denn leider fehlen uns derartige Angaben aus früheren Zeiten sehr. Da obendrein von den alten Geräten kaum etwas erhalten ist, tappen wir vielfach im Dunkeln, so über die Pflüge des Mittelalters. Womöglich noch stärker trifft das für die Fuhrwerke zu. Der bedeutendste Forscher auf dem Gebiete der Pferdegeschirre und allem Dazugehörigen, der französische Offizier Lefebvre des Noettes, hat seine Erkenntnisse anhand zeitgenössischer Bilder ge­wonnen. Doch war er 1931 noch der Ansicht, daß sich der einzulenkende vierrädrige Wagen erst im sechzehnten Jahrhundert durchgesetzt hätte. Aufschlußreich ist da, was Grosser berichtet.

Dem Pfluge allein widmet er zwei Seiten. Selbstredend war er fast völlig aus Holz, sogar das Streichbrett. Allerdings war es mit Eisen beschlagen, was bereits einen beacht­lichen Vorteil darstellt. Eiserne Streichbretter sind erst eine Errungenschaft des vorigen Jahrhunderts und gelegentlich waren sie noch bis zur letzten Jahrhundertwende aus Holz anzutreffen. Ebenso selbstverständlich war es, daß bei leichten Pflügen der Pflugbaum mit gedrehten Weidenruten auf der Vorderkarre befestigt war. Schon während des Mittelalters hatten die deutschen Bauern Räderpflüge besessen, das heißt Pflüge mit einer Vorderkarre. Derart ließen sie sich weit besser führen als die alten Hakenpflüge, die im Deutschen Arl oder Krieg geheißen hatten. Ja, das bezeichnende Merkmal der alten

Pflüge war oft weniger die einseitige Schar und das bodenwendende Streichbrett gewesen, als vielmehr das Rädergestell der Vorderkarre. Bezeichnenderweise spricht Grosser einige Male vom "Aaren" der Äcker. Es diente zum Vorbereiten, bzw. gar zum Unter­bringen der Saat und erfolgte mit dem Ruhrhaken oder Radlitz (polnisch: radlo), ebenso wie das Ruhren, und geschah quer über die Pflugfurchen. Bequemerweise benutzten die Bauern den Ruhrhaken ebenfalls mit einem Wagen, das heißt einer Vorderkarre.

Die Eggen waren zweiteilig. Und das ist als recht fortschrittlich anzusehen, denn zwei­teilige Eggen sind sonst kaum vor dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts festzustellen. Die zwei Teile (oder Felder) waren mit einem Holz verbunden, das auf nach oben durch­gehende Zinken geschoben war. Freilich einen Eggebalken hatten diese Eggen noch nicht, also kein langes Querholz, an dem die Pferde vorgespannt und die Eggen angehängt waren. Vor jede Egge war einzeln ein Pferd mit dem Ortscheit angespannt und solcherart wurde zweispännig gefahren. Deutlich können wir hier eine anfängliche Stufe des zwei­feldrigen Eggens erkennen.

Am lehrreichsten ist das über die Wagen Angegebene: Grosser beschreibt nämlich die Wagen so, wie sie in Schlesien bis zuletzt üblich waren, als da sind: Kutschwagen, bedeckte Wagen (Planwagen), Marktwagen, Ernte- oder Heuwagen und "gerundte" Wagen. Die letzten sollen nun keineswegs rund sein, sondern hier liegt ein Druck- oder ein Hörfeh­ler vor. Es mußte gerungte oder Rungenwagen heißen. Nach der Beschreibung handelt es sich einwandfrei um blanke Wagengestelle zum Holzfahren, also um Langholzwagen.

Grosser kennt eisenbereifte Räder, die vielfach noch nicht im Gebrauch waren. Un­bekannt ist ihm nur der Ausdruck "Wagenreifen". Stattdessen spricht er von "Rade­schienen", was wohl zu dem Schluß berechtigt, daß es sich uni eine noch seltene Sache handelt. Um so erstaunlicher ist es, daß er das eiserne Gelenkstiück zwischen dem Langwagen und dem Vorderwagen beschreibt und zwar unter dem Namen "Scheler"

Im Westteil der früheren Prov. Posen, war dieses Zwischenstück unter dem Namen "Kuckuck" bekannt, aber keineswegs selbstverständlich, sondern galt noch zwischen den beiden letzten Kriegen als eine fortschrittliche Einrichtung

Ebenso waren die Ernte- oder Leiterwagen mit "Leisten" versehen, die anderwärts Leiterstützen, Leichsen oder Lienstäbe heißen.

Grosser spricht außerdem von "geleusten Wagen", womit er solche meint, die mit Leisten = Leiterstützen versehen sind, die die Schebitzer nicht nur an Leiterwagen verwendeten, sondern auch an kurzen Wagen, "wenn man etwan schwer laden will".

Indessen sind sie in großen Gebieten Westdeutschlands unbekannt.

Jedoch in einer Beziehung weichen die Schebitzer Wagen von den heutigen ab, was Grosser zwar nicht angibt, was aber aus seinen Ausführungen hervorgeht: Die Wagenachsen waren aus Holz (auf die Achsen . . . wird angenagelt). Indessen, das war selbstverständ­lich. Eiserne Achsen waren sehr lange teuer und blieben daher selten, weshalb sich hölzerne bis in unsere Tage gehalten haben. Noch um 1920 bauten holländische Stellmacher in Utrecht sie ein. Und in den Freiheitskriegen gegen Napoleon 1. hatten die preußischen Truppen viele Brüche an den Holzachsen ihrer Fahrzeuge, so besonders 1813 nach der Schlacht bei Dresden auf dem Rückzuge durch das Erzgebirge und 1814 beim Vormarsch durch die Eifel und den Hunsrück.

Danach beschreibt Grosser eine Holzlade, die er schlicht "Lade« nennt. Sie entspricht genau denen, die unsere Fuhrleute zum Aufladen von Langholz verwendeten. Außerdem kennt er "Winder", nämlich starke Schrauben aus Holz, die zum Anheben der Wagen dienten.

Johann Coler, Oeconomia ruralis et domestica, Mainz 1593, S. 145 bringt ebenfalls Beschrei­bungen des Pfluges, der Eggen, der Ackerwagen, ja der Holzlade und der Winden, die mit denen Grossers stark übereinstimmen. So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er Grosser weitgehend benutzt hat. Coler ist gleichfalls Schlesier und wurde 1566 in Adelsdorf bei Goldberg geboren.

Derartige hölzerne Winden benutzten in unserer Zeit noch die Zimmerleute.

Richtig wird es einem erst klar, wie entwickelt diese schlesischen Wagen bereits im sechzehnten Jahrhundert waren, wenn man sie mit den Fahrzeugen anderer Gebiete ver­gleicht. In ganz Westeuropa herrschte bis in unsere Tage die zweirädrige Karre mit der Gabeldeichsel vor. Unhandlich und nur zu einem vorsichtigen Fahren geeignet sind die westfälischen Leiterwagen. In Niedersachsen haben sich die Leiterstützen erst in den letz­ten Jahrzehnten durchgesetzt und zwar vom Osten kommend. Und recht altertümliche Gefährte gab es bis in die Gegenwart in den Niederlanden und in den skandinavischen Ländern

Diese Umstände geben einige Rätsel auf, scheinen aber die Vermutung zu bestätigen, dass die lenkbaren vierrädrigen Wagen in hohem Maße vom Osten her beeinflusst worden sind. Dabei drängt sich einem die Frage auf: Wenn vor fast vierhundert Jahren

die schle­sischen Wagen denen unserer Zeit in so starkem Umfange glichen, wie mögen sie vier­hundert Jahre vordem ausgesehen haben, als die Deutschen im Zuge der mittelalterlichen Besiedlung ins Land gekommen sind?