Hallo Herr Goltz,
Sie haben völlig recht mit Ihrer Ergänzung zu meinem Punkt 1), ich hatte die Sache wohl zu verkürzt dargestellt. Meine Einschätzung zu Kaiser und Ordensland sollte sich mehr auf die Souveränität der regierenden Hochmeister bis 1466 beziehen und nicht auf die Gründungsphase des Ordensstaates.
-------Ich erlaube mir nachfolgend zusammengefasst für die anderen Kommentatoren meines Beitrages zu antworten:
Im Allgemeinen wäre noch hinzuzufügen, dass die häufig erwähnte Graumsamkeit damals nichts besonderes war, sondern in der Zeit landläufig üblich. Kriege und Überfälle gab es nicht nur gegen 'Ungläubige', sondern gegen jeden, der dazu Gelegenheit bot und evtl. auch über lohnenswerte Güter verfügte. Die Normannen eroberten 1066 bekanntlich Britannien, auch nicht gerade zimperlich im Umgang mit der heimischen Bevölkerung, aber äußerst gewinnbringend. Die Verfolgung und brutale Auslöschung des Templerordens war auch nicht schön, löste aber extrem erfolgreich die Finanzprobleme des französischen Königs. 'Unser' Orden hatte das Problem, dass er nach dem 'Rauswurf' aus dem Heiligen Land noch keinen festen Wohnsitz, sich noch keine eigene Gebietskörperschaft erobert hatte bzw. auf dem Balkan nach fast geleisteter Arbeit schon einmal erfolglos wieder das Feld räumen musste, während andere Orden schon siegreichTerritorien besetzt hatten. Das Prußenland war sozusagen die letzte Chance, noch einmal groß herauszukommen oder in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Vor diesem Hintergrund sehe ich den umsichtigen diplomatischen Einsatz bei Kaiser und Papst, bei den seinerzeit höchsten Autoritäten, um die geplante Eroberung des Prußenlandes auf jeden Fall gründlichst zu legitimieren.
Ich komme noch einmal zurück auf die Sonderstellung des Samlandes. Vielleicht ist es noch nicht jedem bekannt: die teilweise weit über 3000 Jahre alten Bernsteinfunde in Pharaonengräbern und in anderen antiken Fundstätten stammen wissenschaftlich nachgewiesen aus baltischen Lagerstätten. Es gab antike Handelswege für Bernstein, siehe hier:
Ich habe mehrfach die Ausgrabungsstätte Wiskiauten besucht, als dort noch achäologisch aktiv gearbeitet wurde. Der Grabungsleiter Timo Ibsen hat direkt vor Ort in mitreissender Weise von den aktuellen Entdeckungen berichtet. Siehe auch hier: Wiskiauten – Wikipedia
Über Hunderte von Jahren hatten Wikinger und Prußen an diesem Ort in friedlicher Koexistenz zusammengelebt. Die Siedlung verfügte seinerzeit über einen geschützten Ostseehafen.
Vor diesem Hintergrund hatten die samländischen Prußen eine gute Verhandlungsbasis gegenüber dem Orden, die sie zu nutzen wussten. Sie mussten zwar oberflächlich einem neuen Gott huldigen, eine staatliche Zentralmacht akzeptieren und dem eigenständigen Bernsteinhandel entsagen, behielten aber überwiegend ihre angestammten Güter, wenn sie denn über Landbesitz verfügten.
Noch Agnes Miegel verarbeitete eine bemerkenswerte, auf historischen Tatsachen beruhende Geschichte zu einer eindrucksvollen Ballade: wo noch im Jahr 1520 ein prußischer Zauberer auf seine Art die Region um Pobethen im sogn. Reiterkrieg vor einem Überfall geschützt haben will und dafür vom Pfarrer in Pobethen gemeinsam mit seinen Jüngern mit Kirchenstrafen belegt wurde. Das beweist auf eindrucksvolle Art und Weise die noch immer tief verwurzelten Traditionen der prußischen Bevölkerung. Ebenso belegen die Ausgaben für Tolken (Übersetzer der Predigten ins Prußische), wie lange die prußische Sprache noch in Gebrauch war (bis etwa 1700).
Es gab tatsächlich einige prußische Güter im Samland, die seit den Zeiten der Ordenseroberung bis ins 19. Jh. hinein durchgehend im Besitz von altprußischen Familien waren (z.B. die Familie Supplieth auf Suppliethen bei Pobethen). Nach der Preußischen Landreform wird jedoch viel verkauft und die Besitzverhältnisse ändern sich rascher. Bürgerliche können ehemalige Adelsgüter erwerben, ehedem hörige Bauern können freie Gutsbesitzer werden, wenn sie geschickt agieren, aber auch alles verlieren und in den Status von besitzlosen Landarbeitern herabsinken. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es 1945 noch Höfe gab, die seit mittelalterlichen Zeiten durchgängig im Besitz von altprußischen Familien standen. Außerdem standen hinter den zahlreichen nachweislich altprußischen Namen natürlich keine 'reinrassigen' alten Prußen mehr nach Jahrhunderten der Koexistenz mit Nachbarn anderer Provenienz (deutsche Länder, Schweiz, Frankreich, England, Schottland, salzburger Land, Baltikum, Polen, Skandinavien usw.). Zu dem Thema alte Höfe hatte ich mal einen Zeitungsbericht von 1937 gefunden - siehe hier:
http://genealogischenotizen.blogspot.com/2012/03/die-altesten-samlandischen.html
Genetisch ist bei mir der baltische Anteil erstaunlich klein, angeblich nur 1,7% (ansonsten 57% Osteuropäer, 27% Skandinavier, 8% Kelte und noch ein bißchen Balkan). Bei dem Bruder meiner Mutter dagegen liegt der Anteil bei 22% Balte. Aber die Auswertung nach ethnischen Anteilen ist bei gewissen Anbietern von DNA-Analysen mangels diffenziertem Vergleichsmaterial recht oberflächlich und darf nicht zu ernst genommen werden, vor allem, wenn es um so heikel abzugrenzende Einteilungen wie Balte/Osteuropäer geht.
Beste GrüßeViktor Haupt
-----Ursprüngliche Mitteilung-----