Liebe Leser,
nun mische ich mich doch mal ein in die Diskusssion um Prußen und Kolonisten, denn mir scheint, dass da einige Fehldeutungen und Missverständnisse hineingemengt werden.
1. Das sogn. Heilige Römische Reich dt. Nationen und der Kaiser hatte mit dem Ordensland Preußen nicht das geringste zu tun (obwohl sich der erste Hochmeister von Kaiser Friedrich II. die Hoheit über das eroberte Land bestätigen ließ). Das Ordensland war ein politisch eigenständiges Territorium, welches nicht der Hoheit eines Kaisers oder eines anderen weltlichen Herrschers unterstand (erst ab 1466 ändern sich die Verhältnisse).
2. Die Ordensritter stammten vielleicht überwiegend aus 'deutschen Landen', konnten aber auch aus Adelsfamilien in Burgund, Böhmen, Mähren, Holland, Norditalien oder der Schweiz kommen. Eine Mitgliedschaft im Orden galt als standesgemäße Versorgung für nicht erbende Adelssöhne. Bedingung war, mindestens 16, später mindestens 32 adelige Vorfahren nachweisen zu können. Es gab keine nationalen oder sonstigen Beschränkungen, nur der Adel war ausschlaggebend.
3. Während des sogn. Hundertjährigen Krieges pilgerten in den Kampfpausen immer wieder französische oder englische Ritter nach Preußen, um dort im Kampf gegen die Heiden ihre Sünden loszuwerden, die sie sich im Kampf gegen ihresgleichen zugezogen hatten, was nach damaliger Auffassung zumindest Fegefeuer, wenn nicht gar ewiges Leiden in der Hölle zwangsläufig zur Folge hatte. Der Papst hatte das Ordensland sozusagen als Ersatz für das verloren gegangene Heilige Land als Kreuzfahrtziel deklariert. Jeder, der sich dahin aufmachte, wurde von allen Sünden gegenwärtiger und zukünftiger(!) Art befreit. Der Eintritt in die ewige Seeligkeit des Himmels war garantiert.
4. Bei der Eroberung des Ordenslandes wurde verschieden vorgegangen, je nach Widerstand der Urbevölkerung. Es gab keine ethnischen Säuberungen oder etwas derartiges, wenn auch die Kämpfe nach damaligen Gepflogenheiten sehr hart waren. Der Orden wollte das Land nicht entvölkern, sondern unter seine Kontrolle bringen. Die Bevölkerung wurde gebraucht, um das Land zu bewirtschaften. Es ist historisch strittig und nicht mehr genau zu klären, ob die großen Gebiete im Norden und Osten des Landes immer schon gering bevölkert waren oder durch die Kriegsfolgen entvölkert wurden oder ob Stämme sich in lithauisches Gebiet zurückzogen, um einer Unterwerfung zu entgehen.
5. Das Samland nimmt eine Sonderstellung ein. Die dort lebenden Prußenstämme hatten durch die Bernsteinvorkommen immer schon Kontakt zu Fremden und waren es gewohnt, durch geschickte Verhandlungen ihren Vorteil zu finden. Die samländischen Prußen behielten größtenteils ihre angestammten Besitzungen, die vom Ordenstaat durch schriftliche Urkunden bestätigt wurden. In den Präestationstabellen des Samlandes findet man im 18./19. Jh. sehr zahlreich Güter, die ursprünglich zu prußischen Rechten ausgegeben waren. Das prußische Recht unterschied sich zwar geringfügig von den üblichen cöllmischen Rechten (keine Erbfolge in weiblicher Linie möglich). Dennoch wurden die prußischen Gutsbesitzer von den übrigen Cöllmern (Kolonisten aus dem Westen) als gleichwertige Heiratspartner anerkannt (zumindest in den Jahrhunderten, die durch Kichenbücher nachvollziehbar sind, also seit ca. 1650). Ich kann unter meinen samländischen Vorfahren etliche eindeutig prußische Linien feststellen. Es scheint so, dass noch bis ca. 1700 unter den alten Prußen die eigene Sprache gesprochen wurde (Nachweis: Kirchenrechnungen, Ausgaben für Tolken) und man ein klares Bewußtsein für die eigenen Wurzeln hatte, aber in der Heiratspolitik der Stand/Besitz das entscheidende Kriterium war. Ab ca. 1700 verschwimmen die Grenzen zwischen Prußen und Kolonisten. In den Kirchenbüchern heisst es dann nicht mehr 'preußischer Frey' zur Unterscheidung von den übrigen Freyen aus dem Westen, sondern die Pfarrer gehen allmählich dazu über, beide schlicht als Cöllmer/Kölmer zu bezeichnen, weil sie wohl keinen Unterschied mehr wahrnehmen konnten.
Ich hoffe, meine hier grob zusammengefassten Hinweise helfen bei der Einschätzung der Verhältnisse Prußen - Kolonisten.
Beste GrüßeViktor Haupt
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