Uni De-En-Fr - und Griechisch 1930

Ich versuche, den Lebenslauf der Kusine meines Vaters zu verstehen
Sie wurde 1909 in Norburg/Amt Sonderburg geboren und zog nach 1920 mit Eltern und Geschwistern nach Itzehoe

1929 legte sie dort das Abitur ab. Sie ließ sich in Göttingen immatrikulieren, wollte Deutsch, Englisch (Hauptfächer) und Französisch (Nebenfach) studieren.
1930 legt sie ein Examen in Griechisch ab.

Meine Frage ist: warum, wozu wurde im Zusammenhang mit den drei modernen Sprachen auch das Fach Griechisch belegt?

Was mich außerdem beeindruckt, ist, wie lang der Anlauf zu einer festen Stellung war: 1935 ist Studienabschluss in Göttingen; 1935-1937 verschiedene Anstellungen und abschließend die praktische Prüfung: kann sie überhaupt unterrichten. Ergebnis: Genügend.

Dann folgt – für mich – eine lange Durststrecke:
Studienassessorin in Itzehoe 1939, dann nach Aurich, 1941 nach Bübingen, Nennig bei Trier; Sept. 1944 wird dort die Schule gesprengt, weiter nach Havelberg, von wo sie im Nov. 1945 in die Heimat flieht.

Nach dem Krieg geht es wohl ordnungsmäßig weiter: erst ein Kampf um das Heimatrecht in Schleswig-Holstein nach den vielen Jahren außerhalb des Landesteils, dann die Anstellung in Bad Oldesloe, später die Übernahme in das Beamtenverhältnis und zuletzt die Ernennung zur Oberstudienrätin – alles in Bad Oldesloe

Aber wozu das Examen in Griechisch? Ich habe für das Nebenfach Religionswissenschaften Griechisch gelernt, aber nicht um Germanistik zu studieren

Inger Buchard
Dänemark

Hallo Inger!

Hallo,

ein Studienabschluss an einer deutschen Universität hat bis etwa 1900 sowohl Latinum als auch Graecum vorausgesetzt. Diese Voraussetzung wurde in der Folge aufgeweicht, unter anderem weil Kaiser Wilhelm II. alte Sprachen hasste. Deutsche Universitäten regeln aber die Voraussetzungen für Studienabschlüsse durch Satzung selbst, jedenfalls außerhalb der Staatsexamen.

Eine elitäre Traditionsuniversität wie die Georgia Augusta zu Göttingen, die durch viele Nobelpreisträger und als einzige Universität der Provinz Hannover regen Zulauf hatte, wird aber wohl keinen Grund gesehen haben, frühzeitig harte Bedingungen abzuändern. So ließen sich auch Abiturienten aus liberalen und Reformanstalten, z. B. neusprachliche Gymnasien, weitgehend abschrecken. Diese konnten dann ja ohne Kenntnis klassischer Sprachen an Lehrerseminare, später pädagogische Hochschulen, gehen, wenn sie keine Griechischkenntnisse nachweisen wollten.

Ansonsten erscheint der Lebenslauf nicht ungewöhnlich. An das Studium scheint sich ein Referendariat angeschlossen zu haben (im Beamtenstatus auf Widerruf), vier Jahre waren seinerzeit nicht besonders lang. Da das Examen nicht besonders gut war, gestaltete sich die Stellensuche offenbar schwierig. Es wird sich im Kriegsrahmen um Vertretungsstellen für Lehrer im Fronteinsatz gehandelt haben, die nicht in eine Daueranstellung münden konnten.

Hinzu kommt, dass der Nationalsozialismus sowieso keine berufstätigen Frauen haben wollte, und seit 1937 bei Einstellungen die ersten Jahrgänge Nazilehrer aus der NAPOLA versorgt werden müssen.

Insoweit durch persönliche Voraussetzungen, Frauenpolitik, Nazifizierung und dann wieder Entnazifizierung der Schulen viele Gründe, von Männern, Nazis und besser Qualifizierte überholt zu werden.

Mit Heimatrecht sehe ich eher keine Probleme, da sich das gesamte Leben im Königreich/Freistaat Preußen abgespielt hat. Stichwort wäre wohl eher Wohnraumbewirtschaftung und Versetzungsgelegenheit. Als ledige Frau musste man sich gegenüber männlichen und verheirateten Kollegen bei Versetzungsgesuchen hinten anstellen. Preußen war auch bereits 1935 Arbeitgeber, wenn auch nach dem Referendariat nicht im Beamtenverhältnis.

Gruß

Arne Nilsson

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Lieber Arne Nilsson

Genau das Wissen habe ich vermisst - vielen Dank!!

Inger Buchard
-----Oprindelig meddelelse-----

Liebe Jutta

Es stimmt: sie zielte auf den Oberstufenunterricht, und dass das Universit�tsstudium moderner Fremdsprachen eine alte Sprache verlangt, galt auch 1967 in Aarhus. Nur: warum sie Griechisch w�hlte, darauf hat Arne Nilsson eine plausible Antwort gegeben.

Ich bin jedenfalls viel kl�ger geworden und danke dir f�r die Antwort

Inger Buchard

-----Oprindelig meddelelse-----

Hallo Inger Buchard,

eine kleine Ergänzung kann ich noch beitragen: 1950 bestand die
Theodor-Mommsen-Schule in Bad Oldesloe genau 75 Jahre. In diesem
Jubiläumsjahr gab es dazu eine Festschrift. Als ehemaliger Schüler
erhielt ich seinerzeit auch ein Exemplar davon.

In dieser Fetsschrift gibt es ein Foto mit dem Lehrerkollegium von 1950.
Sollte Deine Cousine zu diesem Zeitpunkt schon an dieser Oberschule
unterrichtet haben, könnte ich ggf. einen scan vom Lehrerkollegium an
Dich schicken. Bitte melde Dich deswegen einmal bei mir privat.

Freundliche Forschergrüße sendet Erich (Nuppenau)