Liebe Kollegen,
mitunter suchen wir ja Geburten und Trauungen in den eigentlich naheliegenden Orten vergeblich. Manchmal liegt der Grund für das Fehlen der Einträge darin, dass zur Verschleierung vorehelicher Sexualität oder illegitimer Geburt die Frauen bzw. Paare bewusst in andere Gemeinden gegangen sind, um dort die kirchlichen Handlungen vornehmen zu lassen. Einige Fälle aus der eigenen Vorfahrenschaft habe ich durch Zufall oder sehr beharrliches Suchen entdecken können.
Ein besonders "schöner" Fall aus dem Jahr 1740 ist meinem Cousin nun im KB Gorsleben bei Heldrungen untergekommen. Der Pfarrer hat sehr ausführlich berichtet, ich teile den Eintrag deshalb im vollen Wortlaut mit:
"d. 30. Januarij, Sonnabends vor den IVten Sonntag post Epiphanias, vormittags um 10 Uhr, langten drey unbekandte, dem Ansehen und Kleidung nach vornehme Weibes-Personen, in einer Kutschen allhier an, welchen noch selbigen Tages, gegen die Nacht auch eine Manns-Person gleichen Standes zu Pferde folgete. Die Frauenzimmer waren kaum ausgestiegen und in der Schencke eingekehrt, als man sofort nach hiesiger Wehmutter sendete. Nach Ankunfft derselbigen genaß die eine von besagten Personen einer jungen Tochter. Hiervon wurde sofort Bericht an den Herren Superintendenten als auch an das Hochfürstl. Ambt zu Sachsenburg erstattet.
Den 1. Februarij wurde das Kind, auff Befehl des Herrn Ephori, öffentlich, mit Zuziehung gewöhnlicher Tauffzeugen allhier getaufft und Wilhelmina Christina genennet. Die darzu erbetenen Tauff-Pathen waren 1) Ehrn George Andreas Probst, Schenck- und Gastwirth allhier, 2) Frau Martha Elisabeth, gebohrene Ilßmannin, jetztgedachten Schenckwirths ehel. Haußfrau, 3) Frau Martha Elisabeth, gebohrne Franckin, Mstr. Christoph Lorentz Unreinens des Huffschmidts allhier ehel. Haußfrau.
Diese Niederkunft wurde obgedachten 30sten Jan. Nachmittag durch eine ebenmäßig unbekandte Manns-Person auff der Pfarre allhier angemeldet. Dem Vorgeben nach war es der Kutscher der angekommenen Familie, welcher sich George Schade nennete. Sein Anbringen bestunde darinnen: Es wäre die Frau von Köhlerin, des Herrn von Köhlers (Landgräffl. Heßen-Casselischen Fähndrichs bey den löblichen Regimente der Guarde zu Fuße, in specie der Leib-Compagnie Herrn Capitain von Wallenfelß, welcher zu Heßen-Caßel in Guarnison stehe) Frau Gemahlin, nebst Ihrer Frau Mama und Fräulein Basen, in den hiesigen Wirths-Hause eingekehret, daselbst Mittag zu halten und füttern zu laßen; Sodann aber Ihre Reise hier weiter über Langensaltza, Mühlhausen, Eschewege p. auff Caßel fortzusetzen, und sich also zu Ihren Herrn Gemahl, welcher zum Regimente gemußt, zu begeben. Bald aber, nachdem sie abgestiegen, wäre Sie von Ihren Weiblichen Geburts-Schmertzen überfallen worden. Sie habe hierauff die Wehmutter herbey holen laßen, und habe er von selbiger gehöret, daß Seines Herren Gemahlin eine junge Fräulein Tochter zur Welt gebracht habe. Der Frau Kindbetterin Mama laße mich, den Pastorem, dienstl. ersuchen, den nächst instehenden Montag dem Kindlein in unsern Gottes Hause die heil. Tauffe wiederfahren zu laßen.
Daß aber die, bey dieser Niederkunfft angegebenen Umstände falsch, und der Wahrheit nicht gemäß, erhellet daraus, weil 1) der Vater des Kindes in Caßel seyn sollte, und gleichwohl wenige Stunden nach der Wöchnerinnen Ankunfft, sich auch allhier in der Schencke einfand. 2) daß die Kindbetterin von Weimar komme, und gleichwohl Ihren Weg nach Caßel über Querfurth, Ziegelrode, Schönewerda, Gehofen, Heldrungen und Gorßleben genommen. 3) daß dieselbige sich hier vernehmen laßen, Sie wäre copuliret, da doch der Querf. Bothe, welcher unterwegs hinten auff der Kutschen geseßen, ausdrücklich gehöret, daß sie sich erst noch wolten copuliren laßen. 4) daß sie vorgegeben: Sie wäre eine Officirs-Frau und adel. Standes; da Sie doch nicht mehr als 3 Gevattern, und zwar keine adelichen, sondern nur gemeine Leute, bürgerl. Standes erbethen. 5) daß Sie aus Heßen, und doch die Kutsche noch selbigen Tages mit Ihrer Mama wieder zurück nach Arthern gegangen etc.
Nach der Zeit ist so viel Wahrhafftiges ruchtbar worden, daß der Vater des Kindes Herr Johann Gottfried Gottschalck, Capitain bey den Landgräffl. Heßischen Regimente der Guarde zu Fuß, welcher nebst seinen Herrn Bruder den Herrn Obrist-Lieutenant Gottschalck die Königl. Güter in Arthern, Vorwerg, Mühle, Länderey und insonderheit das Vorwerck Cahstedt bey Arthern auff 12 Jahre Pachts-weise besitzet. Die Person aber, welche er bey sich gehabt, und allhier einer jungen Tochter genesen, ist Ihm noch nicht angetrauet gewesen. Man sagt, sie sey von Eißfeld gebürtig, eigentlich eine Bodensteinin, und eines Predigers Tochter. Sie wurden ad Mandatum speciale Serenissimi absolviret, und nach einigen an die weltliche Obrigkeit entrichteten Unkosten, nebst Ihren Effecten und bey sich habenden Meubeln dimittiret und ihres Arrests entlaßen. Und haben sich hierauff von hier nacher Mühlhausen gewendet; die Sechs Wochen allda auszuhalten; vermuthl. auch daselbst sich copuliren zu laßen. Wo die Blutfreundschafft solches nicht verhindern wird, denn wie, nach der Zeit, der allgemeine Rumor erschollen, so soll gedachte Bodensteinin, nicht Sodensteinin, wie sie sich gegen den Sachsenburgischen Herren Ambts-Actuarium genennet und sich vor eine Pommerische von Adel ausgegeben, seiner, des Herrn Capitain Gottschalcks, leiblichen Schwester Tochter seyn. In den Thore zu Mühlhausen bey den Einlaß hat Er sich vor einen Kauffmann von Eschewege ausgegeben."
Da die genannten Personen nicht zu meiner Vorfahrenschaft gehören, habe ich die Geschichte nicht weiter verfolgt, kann auch nicht sagen, ob sich in Mühlhausen oder Kassel weitere Nachweise finden und was aus dem in Gorsleben getauften Kind geworden ist. Lediglich die Proklamation des im Text genannten Bruders des Kindsvaters habe ich in Artern 1745 (als "Obrist-Lieutenant Diedrich Christoph von Gottschall") gesehen. Vielleicht ist es ja - abseits der Kuriosität - für irgendjemanden hilfreich.
Viele Grüße und einen schönen ersten Advent wünscht Christian (Schmidt)