Die folgende E-Mail vom 22. August 2002 spät abends ist vom
tschechischen Archivar Dr. Lubo=B9 Velek, gerichtet an Dr. Robert Luft,
Collegium Carolinum, München. Der Schreiber des Briefes ist derzeit
Tag für Tag mit der Rettung von Archivalien in Prag aus dem Schlamm
beschäftigt. Eckige Klammern sind von mir eingefügt und ersetzen
einen für die Veröffentlichung zu deutlichen Originaltext oder sind
übersetzungen tschechischer Zitate.
Die Sprachform des Briefes (im Original in Deutsch) ist beibehalten.
Hans Lemberg
Sehr geehrter Herr Kollege,
ich danke sehr fuer Ihre Guete zu helfen, aber ich habe Angst,
es ist zu spaet. Tragische Situation herrscht in Militaerarchiv in
Invalidovna, der von der Armee verwaltet ist und da ganz unkompetent.
Es ist 30.000 Kartons vom Wasser vernichtet und bis heute nun etwa
4.000 gefriert, der "Archivdirektor" Oberst Konarik [...] sagte heute
in TV, dass er nur 6000 Kartons (Archiv des Verteidigungsministerium - MNO -
1945-49) retten will, andere werden geopfert werden, weil
es sich nur um "nejake organisace [irgendwelche Organisationen]"
handelt und sie sind fuer ihn ganz uninteressant ("absolutne
mne nezajimaji [interessieren mich absolut nicht]").
[Das ist aber nicht wahr], es handelt sich um teilweise auch um
SS-Papiere ( Zajatci SS ), Vertreibung der Deutschen usw.
Die wertvolle Bibliothek (Militaerschriften seit dem Anfang
des 19. Jhs.) wurden gestern schon scartiert, ohne einen Versuch
sie zu retten. Angeblich fehlt es der Armee an der Finanzen, aber
[das ist nicht wahr], weil eine Frier-Firma ( ?mrazirna ) macht
das fuer Archiven und Bibliotheken kostenlos.
Wir sind ganz machtlos, weil Karlin (Invalidovna) ist ein
geschlossenes Gebiet und die Archivleitung uns ignoriert und
pflegt keine Kommunikation (auch keine mit Staatsarchiv,
der helfen wollte). Die Archivleitung angeblich droht immer
den Kollegen Militaerhistoriker, sie sind meisten Offiziere und
stehen so unter einer Subordination und haben Angst zu den
Medien zu sprechen.
Ich bin daraus sehr deprimiert, unser Kampf die Oeffentlichkeit
zu alarmieren, ist leider fast ergebnislos (nur heute in TV), weil
es sich fuer die Medien nur um ein Archiv handelt, und sie
widmen sich lieber anderen Seiten (Epidemien, "Hochwasser-
Obdachlosen", Konflikten mit Zigeuner in den Evakutionslagern etc)
der heutigen katastrophalen Situation. Es waere wahrscheinlich
noetig die deutschen Medien und moeglich Diplomatie
alarmieren, es handelt sich auch um die wichtigen Quellen
zur Geschichte der Deutschen und Deutschlands.
Meine Information sind leider nur sehr unsicher und "angebliche",
weil ein Informations-Vakuum herrscht.
Ich selbst helfe jetzt im Archiv der Akademie, der sehr beschadigt
wurde, etwa 1000 Kartons unter Wasser, eine riesige
Foto-Sammlung vernichtet, ganze Bibliothek von Zdenek Nejedly
(19.000 Baende) vernichtet, Archiv auch.
Mehrere akademische Institute verloren ihre Bibliotheken
(60.000 in Filosoficky ustav), Bibl. der Jurafakultaet angeblich
total vernichtet (100.000). Jeden Tag stellen wir neue Schaden fest.
In Ivalidovna geht es aber um keine Katastrophe, sonder um ein
Verbrechen. Es ist auch sehr bequem die Archivalien, die fuer
unsere Herren sehr unangenehm sind (Odsun [Vertreibung]),
zu opfern. Verzeihen Sie mir, bitte, mein langes Schreiben,
aber ich bin sehr gereizt und traurig, wie es moeglich ist,
in einem "kulturellen" Land sich so barbarisch verhalten. [...]
Mit Gruss LV
Mit besten Gruessen
A. Henry Zimmermann