Roman von 13.12.1835

Diese Geschichte habe ich zufällig gefunden. Erschienen Lingensches Wochenblatt vom 13.12.1835....viele Grüße und viel Spaß beim Lesen. Gab es zu der Zeit wirkluch Cholera in Schlesien ? Heike

Rache und Edelmuth
(Eine wahre Begebenheit)

Das vielköpige Ungeheuer, die Cholera, hatte die westlichen Grenzen von Schlesien erreicht. Verheerung, Schrecken und Verwirrung wälzten sich in ihrem Gefolge. Es war im Spätherbst des Jahres 1831, als die Nachricht zu dem einsamen Forsthause im Kohlwalde gelangte, das diese epidemische Krankheit bereits in dem zwei Stunden entfernten Dorfe G. ausgebrochen sei.Der Bezirksjäger Anton w. saß eines Abends mit seiner jungen Gattin im erwärmten Kämmerlein und Beide besprachen sich über die Vorkehrungen, welche sie treffen wollten, um diesen gemeinsamen Fein von ihrem stillen Wohnhause abzuhalten. Zwei blühende Knaben von zwei bis vier Jahren, hold wie engel, schlummerten bereits in ihrem Bettchen. Plötzlich schlugen die Jagdhunde an und der Jägerjunge meldete, das der Bergmüller vom dorfe G. vor der Thüre stehe und um Einlaß bitte, indem er in dieser abgesonderten Waldhütte Schutz vor der Cholera suche.

Der Bergmüller !<< rief der Jäger verwundert aus, >> unswer Todfeind wagt es, Schutz unter diesem Dache zu suchen, auf welches er seinen Fluch ausgesprochen, seit ich Dich als liebendes Weib heimgeführt? Doch wir waren nie feindselig genen ihn gesinnt, und wenn er unser Haus als ein Asyl betrachtet, so hat er seinen Fluch gewiß wieder zurück genommen. Wir wollen dieses als ein Zeichen seiner Versöhnung betrachten, und ihm Einlaß und Schutz gewähren<<

Der Bergmüller tritt in die Stubemit wankendem Tritten und bleichem zerstörtem Gesicht. Er bat mit reumüthigem Tone beide Gatten um Vergebung seines lang genährten Hasses wegen, der seinen andern Grund hatte, als die Liebe zu Marie, der jetzigen Frau des Jägers. Er reichte ihnen die Hand zur Versöhnung und wiederholte sein Ansuchen, so lange im forsthause verweilen zu dürfen, bis die Wuth der Seuche im dorfe nachgelassen habe. Der Jäger und seine Frau behandelten ihren Gast als einen lang entbehrten Freund, und boten allesauf, ihm Beweise von ihren guten Gesinnungen zu geben. Nach der Bewirthung bereiten sie ihm eine Lagerstätte, und wünschten ihm eine angenehme Ruhe. Nach einigen Stunden weckte der Waidjunge den Jäger vom Schlafe, und sagte, das der Müller durch bedenkliches Überbefinden alle Symptome der Cholera äußere. Der Jäger springt aus dem Bette, um sich von der Wahrheit dieser Nachricht selbst zu überzeugen.Bald gaben ihm seine Beobachtungen die gräßliche Gewißheit, daß beim Müller die Cholera in voller Macht ausgebrochen sei. Die Waid Jungen machten sich anheischig, den Erkrankten auf einer Tragbahre in das Dorf hinab zu bringen, damit der Ansteckungsstoff im Hause seine nachheiligen Folgen erzeugen könne. Der Jäger ließ diesen vorschlag nicht zur Ausführung kommen, das Recht der Gastfreundschaft, die Pflicht, Unglücklichen zu Helfen, erhielt die Oberhand.
Er befahl seiner Frau, sich mit den beiden Kindern, der größeren Sicherheit wegen, in das obere Stockwerk zu begeben und nachdem er seine Hausapotheke herbeigeholt, brachte er die möglichsten Heilmittel in Anwendung, welche in dieser furchtbaren Krankheit von Russischen Ärzten vorgeschrieben wurden. Selbst die Frau, nachdem sie die schlummernden Kleinen in die obere Stube getragen, leistete ihrem Manne bei diesem ärztlichen Geschäfte aufopfernden Beistand. die Krankheit hatte ihren Eulminationspunkt erreicht. Das Gefühl einesnahen Todes befiel den Unglücklichen; er raffte all seine Kräfte zusammen und sprach : >> zerschmettere mich oh Himmel ! mit deinem Blitzstrahl, und strafe mich mit allem Zorne für meine unmenschlichem Verbrechen ! Töted mich ! der Tod ist mir jetzt mehr Wohltat, als Eure Menschenfreundlichkeit. Ich habe schrecklich an Euch gesündigt. Wisset, das ich den Keim der Cholera in mir fühlte, und daß in diesem augenblicke der Gedanke zur Rache in mir erwachte. Mit deisem Giftstoffe schleppte ich mich in Eure friedliche Hütte, mit dem teuflischen Bewußtsein, Euch beide durch Ansteckung zu morden, und mit mir in die Grube hinabzuziehen. Ich habe dieses Ziel erreicht,nun aber am Rande des Grabes erfaßt mich die Reue mit Tigerklauen, und läßt mich nicht sterben bis ihr mich hinausschleppt in den Wald, mich Ungeheru, den Wölfen zum Fraße.Euch mein Wohlthäter ! Euch wollte ich morden o ! Gebt mir den Todesstoß. <<
Auf diese Weise flossen seine Klagen, bis er ermattet und bewußtlos in sich zusammenfiel, während den beiden Gatten vor Entsetzen ob des Gehörten, kalte Schauer die die Glieder rieselten.

Werfen wir den Hund hinaus, den Wölfen zum Fraße ! << riefen die Waid Jungen, >> oder hängen wir ihn an einen Baum, daß die Raben sein vergiftetes Herz aushacken. <<
Das Unglück, die Verwirrung, die sünde gibt kein Recht, den Weg der Sünde zu betreten, << sprach der Jäger; >>es ist ein Mensch, der hier unsere Hülfe erheischt, und dem Todfeinde Gutes thun, ist eine Tugend göttlichen Ursprungs. <<

Beide verdoppelten nun ihre Bemühungen an dem Kranken, und sie genossen die Freude, ihre Heilmittel nicht ohne Erfolg verwendet zu haben. Der Müller wurde vollkommen hergestellt. Der Dank dieses Reumütigen übertrifft jede Beschreibung. Er erhielt in dem Hause das Leben, wohin er Tod bringen wollte. Der Himmel aber breitete seinen schützenden Fittig über das edle ehepaar, das mit aufopferung des eigenen Lebens, das Leben des Todfeindes gerettet, und ließ das Ungeheur der Epidemie vor diesem Hause schweigend vorübergehen. Nach einigen Wochen wurde ein eigenes Fest der Rettung und Versöhnung in dem forsthause gefeiert, und die Geschichte der Rache und des Edelmuthes ward von Mund zu Mund getragen.