Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.10.2001
Politische B�cher
Mit Hakenkreuzen auf dem R�cken -
Nach der Vertreibung: Die "anerkannten" Deutschen und die "Grenzbev�lkerung"
in Polen
Piotr Madajczyk. Niemcy polscy 1944-1989. Oficyna Naukowa, Warschau,
2001. 371 Seiten, 39,- Zloty
�ber das Schicksal der Deutschen, die nach der Vertreibung - also nach
1947 - in den von Polen �bernommenen Gebieten verblieben, wei� man wenig.
Sie wurden oft erst zur Kenntnis genommen, nachdem sie im Westen
"aufgetaucht" waren. Und sie kamen st�ndig, meistens nach
Liberalisierungssch�ben in Polen - ein bis heute nicht versiegender Strom.
Die offizielle Politik und die Medien der Bundesrepublik ignorierten seit
der neuen Ostpolitik Willy Brandts - getragen vom Vers�hnungswillen
gegen�ber Polen - die Tatsache, dass es sich bei der Volksrepublik Polen bis
1989 um ein repressives, totalit�res Regime handelte, das sich insbesondere
gegen die Deutschen wandte. Der Deutschenhass galt als M�rtel des gesamten
sowjetischen Imperiums - wie der polnische Publizist Adam Krzeminski
schrieb. Nach 1989 �nderte sich wenig im westdeutschen Perzeptionsmodus der
deutschen Bev�lkerung in Polen. Auch die wenigen Publikationen zu diesem
Thema - etwa von Helga Hirsch und von Thomas Urban - fanden kaum Interesse.
Jetzt befassen sich polnische Autoren mit diesem Thema und erf�llen das
Postulat des Vordenkers der deutsch-polnischen Verst�ndigung, des
Publizisten Jan Jozef Lipski: "Wir m�ssen uns alles sagen unter der
Bedingung, dass jeder �ber seine eigene Schuld spricht."
Der Warschauer Politologe Piotr Madajczyk legt nun eine bahnbrechende und
gut lesbare Publikation zum Thema "Niemcy polscy 1944-1989" (Die polnischen
Deutschen) vor, die sich vor allem auf Archivmaterialien der
Woiwodschaftskomitees der Partei und des Innenministeriums st�tzt. Die
Publikation gew�hrt Einblicke in die Funktionen eines menschenverachtenden
Regimes. Madajzcyk befasst sich wenig oder kaum mit der schlimmsten Zeit der
Vertreibung und der Konzentrationslager f�r Deutsche, sondern
charakterisiert die Situation der in Polen 'verbliebenen Deutschen. Deren
Schicksal wird in den Kategorien "anerkannte Deutsche" und die zur
Assimilierung vorgesehene "Grenzbev�lkerung" dargestellt. So nennt der Autor
die Bev�lkerungsgruppe, die im allgemeinen Sprachgebrauch im sozialistischen
Polen als Autochthone bezeichnet wurde und in Ermland und Masuren sowie in
Oberschlesien ans�ssig war und zu einem geringen Teil immer, noch ist.
Um die R�ckkehr auf "urpiastischen Boden" zu begr�nden, wie es im
Nachkriegspolen hie�, berief man sich auf die Existenz dieser
deutsch-slawischen Mischbev�lkerung, die bis 1945 im deutsch-polnischen
Grenzgebiet lebte, also auch zeitweise unter polnischen Einfl�ssen stand.
Das bewies zum Beispiel das Plebiszitergebnis im Jahre 1921 in
Oberschlesien, das zugunsten Deutschlands ausfiel, jedoch den Polen 40
Prozent der W�hlerstimmen einbrachte. Diese Grenzbev�lkerung erkl�rte man
nach der �bernahme der deutschen Gebiete zu germanisierten Polen und begann
sie mit den Methoden des Repressionsregimes einer rigorosen Assimilierung zu
unterwerfen.
Den "anerkannten" Deutschen in Niederschlesien, Pommern und Ostpreu�en
wurden nach der schlimmsten Zeit - als sie wei�e Binden tragen und
mancherorts mit Hakenkreuzen auf dem R�cken Zwangsarbeiten leisten mussten -
einige Freiheiten zugestanden. Sie durften Deutschunterricht abhalten und
die deutschsprachige Zeitung, "Die Arbeiterstimme," lesen. Demgegen�ber
wurde in Gebieten mit zur Zwangsassimilierung vorgesehener Bev�lkerung ein
rigoroses Verbot der deutschen Sprache eingef�hrt. Deutsch wurde in den
Schulen sogar als Fremdsprache nicht unterrichtet, obwohl es andernorts eine
der begehrtesten Fremdsprachen in polnischen Schulen war.
Nachdem Wladyslaw Gomulka 1956 die Regierung in Polen �bernommen hatte, das
Ende des Stalinismus ausgerufen und Liberalisierung angesagt war, erhielten
alle Minderheiten in Polen (Ukrainer, Wei�russen, Litauer) das Recht auf ein
eigenes Schulwesen und kulturelle Entfaltungsm�glichkeiten. �hnliche Rechte
f�r die Deutschen - man sprach bereits offiziell von einer deutschen
Minderheit wurden intensiv in den Parteigremien und in der Presse erwogen.
Die Bereitschaft, auch dieser Gruppe Rechte einzur�umen, war bei den
Kommunisten gro�. Der masurische Journalist Tadeusz Willan formulierte die
Bed�rfnisse der einheimischen Bev�lkerung, der das Recht auf die deutsche
Sprache in den Schulen und Zugang zu deutschen B�chern und Zeitschriften
gew�hrt werden sollte.
Die Meinungen �nderten sich unter den Protesten polnisch gesinnter
Oberschlesier, die ihren Traum von einem polnischen Schlesien gef�hrdet
sahen. Am sch�rfsten gegen die Rechte f�r Deutsche trat der Publizist
Wilhelm Szewczyk auf, der in einer Sitzung des Woiwodschaftskomitees der
Partei in Kattowitz verlauten lie�, dass alle deutschsprechenden
Oberschlesier Adenauer-Agenten seien; gegen sie solle man einen
"erbarmungslosen Terror" anwenden. Die von Szewczyk geleitete Zeitschrift
"Przemiany" ver�ffentlichte einen scharfen Protest gegen die Zulassung der
deutschen Sprache in den ehemaligen Grenzgebieten.
Auch in Warschau �nderte sich der Kurs. Aleksander Zawadzki, damaliger
Vorsitzender des Staatsrates, sprach sich f�r ein weiterhin national
einheitliches sozialistisches Polen aus. Als Antwort auf die entt�uschten
Hoffnungen und die anhaltenden Repressionen stieg die Anzahl der
Ausreisewilligen sprunghaft an. In den folgenden Jahren siedelten
Hunderttausende Deutsche aus Polen in die Bundesrepublik �ber, obwohl es
nach offiziellen Angaben kaum wenige Tausende im Lande gab. Madajczyk
liefert exaktes Zahlenmaterial. Allerdings waren Akademiker und Fachkr�fte
von der M�glichkeit, legal auszureisen ausgeschlossen.
Der Liberalisierungskurs Gomulkas lie� sich auch in diesem Bereich nicht
halten. Die Ausreisen wurden wieder gestoppt. Die n�chste Ausreisewelle
erfolgte Anfang der siebziger Jahre. Es war wiederum ein Menschenhandel, wie
ihn die Bundesrepublik auch der DDR gegen�ber praktizierte: F�r
Milliardenkredite war das Gierek-Regime bereit, eine gro�e Anzahl Deutscher
aus seinem Staatsbereich zu entlassen.
In den achtziger Jahren wurden mehrmals Versuche gestartet, eine
Organisation der deutschen Minderheit durchzusetzen, doch die f�hrenden,
Personen landeten meistens noch in den Kellern der Sicherheitsbeh�rden. Erst
mit der Erstarkung der Solidarnosc-Bewegung gab es Chancen f�r die
Deutschen, die eigentlich nur noch Bekenntnisdeutsche waren. Ein akzeptables
Deutsch sprachen zumeist nur noch die �lteren.
Madajczyks Darstellung endet mit der Zulassung der "Deutschen
Freundschaftskreise" (DFK)' und der Gleichberechtigung der bisher
Diskriminierten, Bedenken weckt lediglich der Titel des Buches. Als
"polnische Deutsche" bezeichneten sich im Mittelalter diejenigen, die sich
freiwillig unter die Obhut der polnischen Herrscher begeben hatten; sie
waren nicht nur gleichberechtigt, sondern anfangs sogar privilegiert. Die
nach dem Zweiten Weltkrieg im polnischen Herrschaftsbereich Verbliebenen
waren jedoch Opfer eines repressiven Regimes. Sie k�nnen nur als Deutsche in
Polen bezeichnet werden.
RENATA SCHUMANN