Reisebericht

Hallo Freunde,
ich bin von meiner Schlesien-Reise zurueck. Hier ist mein Bericht:

Reisenbericht nach Friedland, Kreis Waldenburg, im Juli 2001
Erlebnisse und Gedanken

Es war meine erste Reise nach 53 Jahren, eine Gesellschaftsreise mit der
Friedlaender Heimatgruppe ab Bielefeld und Rinteln. Die Gruppe bestand
aus 50 Personen, darunter fuenf Boehm: mein zehn Jahre aelterer Bruder
mit seiner Frau (dritte Reise), meine mexikanische Frau, unser 35 Jahre
alter in Deutschland lebender Sohn und ich (Jahrgang 1939). Vier weitere
Personen fuhren mit eigenem Pkw nach Waldenburg und schlossen sich dort
der Reisegruppe an. Die Fahrt organisierte Heinrich Tilch, Jahrgang
1920. Trotz seiner 80 Jahre und seiner Kriegsverletzung (steifes Bein
und kuenstliche Huefte) war es seine zehnte Fahrt, die er seit 1980
fuer die Friedlaender durchfuehrt. Von 1967 bis 1997, also 30 Jahre,
organisierte Heinrich Tilch die Friedlaender Treffen in
Hessich-Oldendorf. Heinrich Tilch kann man nur bewundern.

Fahrt ueber Goerlitz, Lauban, Hirschberg. Hier besuchten wir den Ring
und die evangelische Gnadenkirche. Danach Weiterfahrt nach Waldenburg.
Ankunft am Sonnabend, dem 21.Juli 2001.

Am Sonntag (22.Juli 2001) war offizieller Empfang in Friedland, eingeleitet durch den
jungen polnischen katholischen Pfarrer vor der katholischen Kirche. Die
evangelische Kirche im gotischen Stil wurde vor ein paar Jahren wegen
Baufaelligkeit abgerissen und auf der Grundflaeche ein Parkplatz
errichtet. Einst standen die Kirchen beider Konfessionen friedlich
nebeneinander. In der Kirche waren einige Sitzreihen fuer unsere
Reisegruppe reserviert. Wir persoenlich bevorzugten es jedoch, uns unter
die Einheimischen in den hinteren Reihen zu mischen. Ein vom
katholischen Ortspfarrer eingeladener Geistlicher hielt in der
ueberfuellten Kirche die Messe, in der verkuendet wurde, dass ehemalige
Einwohner aus der deutschen Zeit unter ihnen weilten und forderte mit
versoehnenden Worten die Gemeinde auf, man sollte sich doch ohne Groll
begegnen. An anderer Stelle warnte er vor den Woelfen in Schaffellen,
denn er bat die richtigen Vertreter (Kommunalwahlen?) zu waehlen. Hier
sieht man die wichtige Stellung der katholischen Kirche in Polen. Ein
gemeinsames "Vater unser" beendete die Messe. Ich konnte einige Traenen
vor allem bei aelteren polnischen Frauen, aber auch bei uns Deutschen,
die ja mehrheitlich evangelisch sind, entdecken. Ich muss gestehen, auch
bei mir als freidenkender Christ rollten einige Traenen die Wangen
herunter.

Anschliessend gingen wir zum Rathaus am Ring, wo wir vom Buergermeister
und dem Stadtrat (alle juengeren Jahrgangs) im Rathaussaal bei Kaffee
und Kuchen herzlich empfangen wurden. Als wir die Freitreppe zum Rathaus
hochgingen, blitzten bei mir wieder die Erinnerungen auf, wie wir am
heiligem Abend 1946 gerade hier behandelt und mein Vater abgefuehrt
wurde (Siehe auch meine 'Erlebte Heimatgeschichte' in
boehm-chronik.com). Zwoelf bestellte Friedland-Chroniken (1883 von
August Werner, 633 Seiten fuer DM 100) in Fotokopien, schoen gebunden,
wurden uebergeben und vier weitere neu in Auftrag gegeben.

Ich moechte nicht versaeumen, mein herzlichstes Dankeschoen an Andreas
Suleja, Vorsitzender des Bundes der Jugend der deutschen Minderheit von
Waldenburg, auszudruecken, der an den Vorbereitungen dieser aeusserst
wichtigen und zukunftweisenden offiziellen Treffen an entscheidender
Stelle mitgewirkt hat. Ich hatte das Gefuehl, dass er leider von unserer
zwar kompetenten, etwas aelteren polnischen Reisefuehrerin, die jedoch
mit ihrem etwas herrschsuechtigem Ton und ihrem Wortschatz an die
vergangenen Zeiten des Kommunismus erinnerte, weggedrueckt wurde.
Sicherlich waere es fuer die Zukunft vorteilhaft, junge aktive Polen in
solche Zusammenkuenfte mit einzubeziehen.

Im Rathaussaal hingen die Stadtwappen saemtlicher Staedte, die jetzt
oder einst Friedland hiessen. Der Buergermeister strebt eine
Zusammenarbeit, ja vielleicht sogar ein Treffen saemtlicher Friedlaender
an.

Anschliessend zeigte uns der Buergermeister die neue Klaeranlage in
Goehlenau, die mit Hilfe der Weltbank errichtet wurde. Danach fuhren wir
zu einem offiziellen Mittagessen in ein schoenes Restaurant in den
naheliegende Luftkurort Goerbersdorf. Unser Hochbus konnte jedoch zwei
Kilometer vor Goerbersdorf nicht durch die Eisenbahnunterfuehrung
(Problem fuer den angestrebten Tourismus).
Mittels Handy (cellular phone) beschaffte der Friedlaender
Buergermeister kurzfristig einen Schulbus (es war Sonntag).

Am Abend traf ich mich im Hotel Sudety mit dem in Waldenburg lebenden
Andreas Richter (39 Jahre) und seiner polnischen Frau. Andreas ist auch
ein Mitglied unserer Schlesien-Mailing-Liste.

Am Montag (23.Juli 2001), zum Abschluss des offiziellen Teils, besichtigten wir in
Neudorf ein neues Kinderheim fuer verwarloste Kinder. Dieses Objekt
wurde von einem hollaendischen Philantropen gestiftet.

In Friedland schlenderten die fuenf Boehm durch Strassen und Gassen,
durch die Liebichstrasse - mein Geburtshaus - , stark vernachlaessigt,
zum Geburtshaus meines Bruders, am Malzhaus, an der Steine. Wir
besuchten eine Heimatverbliebene. Um 14 Uhr waren wir privat bei der
Frau eines Stadtrates und stellvertretenen Buergermeisters zum Kaffee
eingeladen. Wie es im Leben manchmal so ist, sie wohnte dort wo wir in
unserer Polenzeit (1946-1948) wohnten, allerdings in einem nach 1948
errichteten Wohnblock. Beim Blick durch das Fenster entdeckte ich
unseren Hof, in dem heute polnische Kinder genauso unbefangen spielten
wie einst wir es taten.

Anschliessend trafen wir uns mit unserer Reisegruppe in der katholischen
Kirche, wo die heimatverbliebene Buergel Lotte ein Orgelkonzert gab.
Nach einer Fuehrung mit dem Buergermeister durch die Sakristei sahen wir
eine Ausstellung junger Kuenstler aus der Umgebung.

Am Abend im Hotel Sudety in Waldenburg ein freudiges Treffen mit
Karl-Heinz Tschirner (Schlesien- Mailing-Liste).

Am Dienstag (24.Juli 2001) Besichtigungsfahrt nach dem schoenen Breslau mit vorherigem
Besuch der evangelischen Friedenskirche in Schweidnitz.

Am Mittwoch (25.Juli 2001) private Rundreise im engeren Kreis (meine Frau, unser Sohn
und ich) in die Vergangenheit. Es fuehrte uns der sehr hilfsbereite
deutschsprechende Schwiegervater von Andreas Richter. Die Reisegruppe
fuhr ins Braunauer Laendchen in Tschechien. Wir fuhren zum Schloss
Fuerstenstein, dann ueber Bad Salzbrunn, Weissstein hinunter nach
Hermsdorf. Dort fanden wir die Boehm-Strasse (jetzt Kresowa) sowie die
Boehm-Lehne. Die 800 Jahre alte Eibe, trotzdem sie im jetzigen Stadtplan
als Baum unter Denkmalschutz eingezeichnet ist, fanden wir leider nicht.
Das war das Gebiet, wo meine Vorfahren im 18. und 19.Jhd. ihr Bauerngut
hatten und wo noch mein Grossvater 1868 geboren wurde. Fuer uns
jedenfalls ein schoenes Gefuehl.

Wir fuhren weiter ueber Alt-Laessig, Fellhammer - Geburtsort meiner
Mutter - nach Langwaltersdorf, dem Geburtsort meines Vaters. Das 140
Jahre alte Geburtshaus, vormals Gasthof "Zur Stadt Wien", einst im
Besitz meiner Urgrosseltern, steht noch. Der Tanzsaal ist heute ein
Lagerraum. Die Pferdestaelle wurden als Wohnhaus umgebaut. Hier lebten
meine direkten Urgrosseltern und meine Grosseltern von 1870 bis 1902.
(Siehe auch Boehm-Chronik -- Quellensammlung zur Familiengeschichtsforschung)

Das gegenueberliegende Bauerngut meiner anderen Urgrosseltern Martin
(grossmuetterlicherseits) existiert nicht mehr. Auf dem Gelaende wurden
in der Polenzeit zwei schoene Wohnhaeuser errichtet

Die evangelische Kirche in Langwaltersdorf, in der mein Vater getauft
wurde und wo George Schael (1690-1753), aus der Schael-Linie meiner
Mutter, eine Glocke gestiftet hatte, ist baufaellig: eine Ruine.

Inzwischen hatten wolkenbruchaehnliche Regenguesse angefangen. Wir
fuhren ueber Reimswaldau und Wuestegiersdorf nach Tannhausen. Nur mit
Muehe kamen wir durch das Blaetterdach, den schmalen Anfahrtsweg hinauf
zum Rittergut und Schloss. Das misserable Wetter machte den Anblick noch
schlimmer. Es war schon schlimm genug. Von einem Wirtschaftsgebaeude war
das Dach eingefallen. Das Aussenansicht des Schlosses ist in einem
erbaermlichen Zustand. Der Eingang mit einer Eisenkette und grossem
Vorhaengeschloss abgeschlossen. Von einem bewohnten Wirtschaftgebaeude
schaute uns ein aelterer Mann vom Fenster aus zu. Als wir wegfahren
wollten, stand er an der Haustuer. Ein Zeichen der Gespraechswilligkeit.
Inzwischen regnete es in Stroemen. Die Video-Kamara war schon zu feucht.
Ludwig, unser polnischer Reisefuehrer und ich stiegen aus und wir kamen
ins Gespaech mit dem alten Mann. Als er hoerte, dass das Anwesen seit
1889 im Besitze meines Urgrossonkels war, erzaehlte er uns, dass der
Privatfriedhof eingeebnet wurde und auch nichts mehr da waere
(Grabsteine?). Ernst Koeppke von unserer Schlesien-Mailing-Liste sandte
mir Fotografien von 1996 eines Wappens, welches an der Aussenwand des
Schlosses angebracht war. Ich habe es vergebens gesucht. Alles
gepluendert? Vielleicht von sogenannten Investoren.

Der Regen wurde immer schlimmer, die Weistritz ueberflutete schon an
einigen Stelle. Wir waren froh, als wir in Waldenburg ankamen. Dort
sahen wir Rettungsdienste, Leute die Sandsaecke fuellten, um tiefer
liegende Haeuser vor den Fluten zu retten. Unsere trotzalledem hoch
interessanten Rundreise beendeten wir mit Kaffee und einem Imbiss auf
der Terrasse des schoenen Haeuschen von Andreas Richter in einem
Neubaugebiet in Bad Salzbrunn.

Am Abend Abschiedsfeier mit Tanz und viel Spass im Hotel Sudety. Der
Buergermeister von Friedland nahm mit daran teil. Karl-Heinz Tschirner
besuchte mich noch an diesem Abend und verabschiedete sich.
Bedauerlicherweise wurde ihm einen Tag vorher in Waldenburg sein Auto
aufgebrochen.

Am Donnerstag (26.Juli 2001) fuhr die Gruppe ins Riesengebirge und ueber Schoemberg und
Friedland zurueck nach Waldenburg. Einige Friedlaender sonderten sich ab
und auch wir fuhren mit dem Linienbus nach Friedland. Dort schlenderte
wir gemuetlich durch die Stadt, kauften fuer 25 Zloty genuegend
Proviant, um drei hungrige zu saettigen, gingen zum Kirchberg, das
Naherholungsgebiet in der deutschen Zeit und machten einen Picknick. Wir
hatten wunderbares Wetter mit Blick zum Heuscheuergebirge und bis hinein
ins 'Biehmsche' (Tschechien). Durch reinen Zufall trafen wir am Ring
unserer Reisebus aus Schoemberg kommend. Per "Anhalter" nahm man uns mit
nach Waldenburg.

Zusammenfassung: Ein voller Erfolg, eine lohnenswerte Reise der ersten
Kontaktaufnahme. Die polnischen Kinder und Jugendlichen unbefangen und
freundlich. Polen mittleren Alters zurueckhaltend, hilfsbereit und
ueberwiegend freundlich. Aeltere Frauen freundlicher als Maenner, diese
vielleicht noch etwas verklemmt oder sogar verbittert .Aber, ist es denn
bei den Deutschen nicht aehnlich?

Einige Polen sprechen von der 'deutschen Zeit', da meint man vor 1945.
Ueber den Anfang der deutschen Zeitepoche ist man sich noch
unschluessig. Man tut sich da noch ein bischen schwer, aber ein guter
Anfang. Frueher wurde die 'deutsche Zeit' ja vollkommen ignoriert. Mit
einer Vergangenheitsbewaeltigung tut sich jedes Volk schwer, ganz
gleich ob Polen, Deutsche oder Amerikaner. Dann die jetzige 'polnische
Zeit' und die kommende 'europaeische Zeitepoche'. Sicherlich noch ein
langer und steiniger Weg. Aber der Anfang und der gute Wille hat man
gespuert. Man sollte diese Richtung voll unterstuetzen. Welche andere
Moeglichkeit gibt es denn sonst?

Herzliche Gruesse aus Upstate New York,
Guenter

Hallo G�nter,

vielen Dank f�r Deinen ausf�hrlichen Reisebericht. Ich bin in Gedanken mit-
gefahren bis Hirschberg (meine Geburtsstadt, Jhrg.35). Ich kann Deine
Gef�hle sehr gut verstehen!

Viele Gr�sse Winfried

Hallo Freunde,
ich bin von meiner Schlesien-Reise zurueck. Hier ist mein Bericht:

Ein gemeinsames "Vater unser" beendete die Messe. Ich konnte einige
Traenen vor allem bei aelteren polnischen Frauen, aber auch bei uns
Deutschen, die ja mehrheitlich evangelisch sind, entdecken. Ich muss
gestehen, auch bei mir als freidenkender Christ rollten einige
Traenen die Wangen herunter.

Dann die jetzige 'polnische Zeit' und die kommende 'europaeische
Zeitepoche'. Sicherlich noch ein langer und steiniger Weg. Aber der
Anfang und der gute Wille hat man gespuert. Man sollte diese Richtung
voll unterstuetzen. Welche andere Moeglichkeit gibt es denn sonst?

Herzliche Gruesse aus Upstate New York,
Guenter
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Lieber Herr Boehm,

ich komme erst jetzt dazu, Ihnen zu antworten. Ihr Reisebericht hat
mich pers�nlich auch sehr ergriffen, als ob ich dabei gewesen w�re.
Ihre Tr�nen kann ich ebenfalls nachempfinden, wenn man an den sinn-
losen Krieg und den Verlust der Heimat denkt. Als Deutscher bin ich
ja auch davon betroffen, auch wenn ich nicht im Osten geboren bin.

Gestatten Sie mir aber bitte, da� ich zu den obigen Abschnitten et-
was sage, was mir auf dem Herzen liegt. Ich wei� nicht so recht, ob
"freidenkender Christ" die richtige Bezeichnung ist. Man ist entwe-
der Christ oder man ist keiner. Man sagt, ein halber Christ ist ein
ganzer Unsinn. Christ hat mit Jesus Christus zu tun. Ich mu� bereit
sein, mein Denken, F�hlen und Handeln zu ver�ndern, damit es v�llig
mit dem Geiste Christi �bereinstimmt. Es ist unbedingt erforderlich
dabei, da� ich diese biblischen Wahrheiten pers�nlich anerkenne und
annehme, also wirklich Christ sein will. Ich mu� Jesus Christus auf
jeden Fall so vertrauen, da� ich bereit bin, mein letztes St�ndlein
mit ihm zu verbringen. Mit wem sollte ich es denn sonst tun? Es ist
doch sonst kein vergleichbarer Ersatz vorhanden. Ich habe die Grau-
zone der Unverbindlichkeit vor etlichen Jahren verlassen, wie viele
andere auch, und es noch nie bereut. Ich kenne keine solchen F�lle.

Was die Zukunft der Welt betrifft, kann ich nur immer wieder sagen,
da� es keine andauernde "europ�ische Zeitepoche" geben wird. So et-
was ist v�llig unrealistisch, da es zuerst im Nahen Osten noch mehr
Krieg geben wird, der die ganze Welt ver�ndert. Mein Buch ist gewi�
kein "Science-Fiction-Roman", sondern gr�ndet sich auf geschichtli-
chen und anderen Tatsachen. Jeder kann ja die CD-ROM davon bekommen
und kostenlos erfahren, wie die Zukunft der Welt wirklich aussieht.

Ich hoffe, da� ich mit diesen Gedanken keine Gef�hle verletze, denn
das ist jedenfalls nicht von mir beabsichtigt.

Ganz herzliche Gr��e aus Luxemburg

Gerd M�llenheim