Wolfgang Leistritz
Leipzig
Reise nach Schlesien 17.6. 19.6.2008
Allgemeine Angaben
Grenzkontrollen sind weggefallen, man muß also keine Wartezeit mehr
einplanen, freilich, als Nachteil ist zu vermerken, daß auch Kriminelle die
Freizügigkeit nutzen und der Kfz-Klau in Görlitz, beispielsweise, sich
vervielfacht hat.
Tausch Euro gegen Zloty 1 Euro : 3,31 Zloty, die einzelnen Wechselstuben
(poln. Kantor) unterschieden sich da kaum.
Bleifrei Super (Shell-Tankstelle) 4,65 Zl pro Liter in Waldenburg.
Leipzig A4 bis Görlitz, dann über Lauban, Hirschberg, Waldenburg,
Wüstewaltersdorf (370 km) dafür muß man, je nach Fahrzeug und Tageszeit,
gute 5 Stunden Fahrtzeit rechnen.
Für die Unterkunft in einfacher Pension, Zimmer mit Dusche WC, Auto in
Garage, 2x sehr reichliches Abendessen, 2x ebensolches Frühstück, habe ich
40 Euro bezahlt. Es ist mein Stammquartier in meinem Geburtsort.
Die Autobahn A4 wird jetzt östlich der Neiße weitergebaut.
Aldi gibt es jetzt auch im polnischen Schlesien, Aldi-Nord in Landshut,
direkt neben dem Bahnhof, habe ich besucht, Präsentation und Betrieb zeigen
keinen Unterschied zu Deutschland. Es gab sogar Maternus Bier in
Glasflaschen.
Straßenzustand auf den erstrangigen Straßen ist gut, auf den Nebenstraßen
und den Stadtdurchfahrten (Waldenburg) schlecht bis sehr schlecht.
Hirschberg zeigte sich, wie gewohnt freundlich, mit vielen Touristen, in
Waldenburg ist der Ring sehr schön herausgeputzt, andere Stadtteile sind es
überhaupt nicht.
Schneekoppe, Zobten und Hohe Eule sind immer noch an derselben Stelle und
erfreuen den Besucher. Bei der Hohen Eule ist der Anblick durch einen
riesigen Mobilfunkmast, direkt neben dem Bismarckturm getrübt. Das hätte man
dem Wahrzeichen des Eulengebirges nicht antun sollen, da der Mobilfunkmast
gut doppelt so hoch ist, wie der Turm, der erst sehr aufwendig und
geschmackvoll saniert wurde. Die Kleine Eule (nur wenige Meter niedriger)
hätte sich doch dazu auch angeboten, natürlich hätte man Kabel legen müssen.
Ab diesem Jahr sind selbständige Forschungen im Waldenburger Evangelischen
Kirchenarchiv nur unter Aufsicht möglich (meist hat aber niemand Zeit),
erfreulich, daß die Digitalisierung der Bücher unter Regie unseres früheren
Listenmitgliedes, Andreas Richter, voranschreitet.
Noch eine Information, in Polen wird Deutschunterricht ab der Vorschulklasse
(Klasse 0) erteilt und ist in der Schule dann Pflichtfach. Damit soll ab
nächstem Schuljahr Schluß sein. Wahrscheinlich erliegen auch die Polen der
Allmacht des Englischen. Es kann auch sein, daß man in Polen sagt, die
Deutschen lernen doch auch kein Polnisch. Womit sie ja recht hätten. Es wäre
doch sicher eine Geste der guten Nachbarschaft, wenn wenigstens in den
angrenzenden Bundesländern die Sprache des Nachbarn gelehrt würde. Ich finde
es beschämend, wenn Leute aus den grenznahen Gebieten nicht mal die paar
Worte für den Einkauf beherrschen.
In wenigen Generationen wird ohnehin alles Englisch sprechen, unsere und die
polnische Muttersprache werden dann in Europa die Bedeutung haben, die heute
Friesisch oder Sorbisch bei uns hat.
Reiseerlebnisse und Eindrücke
Da nun aus der Archivarbeit nichts wurde wendete ich mich dem zweiten
Vorhaben meiner Reise zu, den Friedhöfen unseres Wüstewaltersdorfer
Kirchspiels (Wüstewaltersdorf Kreis Waldenburg). Ich hatte dazu schon bei
vergangenen Reisen Fotos und andere Informationen zusammengetragen. Diese
Arbeit wollte ich fortsetzen, solange überhaupt noch etwas vorhanden ist
Unser polnischer Freund Lukasz teilt mein Interesse und so gingen wir
gemeinsam auf Erkundung. Übrigens ist er auch in Wüstewaltersdorf, das in
seiner Sprache Walim heißt, geboren, allerdings 41 Jahre nach mir (1938 und
1979). Die Großväter- und Enkelgeneration unternehmen etwas gemeinsam.
Ein Merkmal der oft kleinen Bergfriedhöfe war die Umrahmung mit Buchen, die
unsere Vorfahren pflanzten und inzwischen riesige, engstehende Baumvierecke
bilden.
Heute, im Zeitalter der Zentralisierung, ist es zunächst nicht ganz zu
verstehen, warum sich die kleinsten Nester des Kirchspiels einen eigenen
Friedhof leisteten. Wenn man aber die Beerdigungsrituale von früher
betrachtet, wird manches klarer. Die Toten wurden zuhause aufgebart und von
dort zur Beisetzung auf den Friedhof getragen. Das stelle man sich nur bei
-20 Grad vor. Der Friedhof des Kirchspielhauptortes war, im Extremfalle,
durchaus 10 km entfernt und das im Gebirge.
1. Friedhöfe, von denen nichts mehr geblieben ist
Zedlitzheide und Toschendorf sind durch die Natur zurückgewonnen, nachdem
alle dauerhaften Teile, Grabsteine, Grabeinfassungen und Zäune entfernt
wurden. Sie präsentieren sich heute als Bergwiesen, ohne die typischen
Buchen.
Schmerzhaft für mich, da auf dem Zedlitzheider Friedhof meine Urgroßeltern,
Gottlieb und Luise Leistritz beigesetzt wurden. Wenigstens ist kein
Fußballplatz an dieser Stelle entstanden, was ja in Schlesien auch möglich
ist.
2. Friedhöfe, die als solche noch erkennbar sind
Alle Friedhöfe und Einzelgrabstätten, die hier aufgeführt sind, wurden
ausnahmslos von Vandalen, Friedhofsmaterialverwertern und Grabräuber,
heimgesucht und werden es noch, inzwischen mit Metallspürgeräten (Sonden),
um den Schmuck und die Goldzähne gezielt aufzuspüren. Oft sind auch die
Marmortafeln mit den Inschriften zur Wiederaufarbeitung demontiert worden.
Die Freude an der Zerstörung (Vandalismus) aber ist ein internationales
Problem, das vielleicht etwas mit der Erziehung der Jugend zu tun hat. Man
sehe sich nur leerstehende Gebäude bei uns an.
Neugericht
Der Friedhof liegt genau gegenüber der ehemaligen Kleinbahnstation
Neugericht am Berghang der anderen Straßen- und Bachseite und gut an der
Buchenumrahmung zu erkennen. Einen Weg dahin gibt es nicht mehr, man muß
sich den Zugang durch buchstäblich meterhohe Vegetation bahnen. Die einzigen
lesbaren Elemente (wie sie Lukasz nennt) waren keramische Tafeln zur
Friedhofseinteilung, mit Nummern Es gibt keine genealogisch verwertbaren
Inschriften mehr.
Heinrichau
Der zuletzt in deutscher Zeit benutzte Friedhof ist nicht an der Kirche,
sondern gegenüber der ehemaligen Schule. Vom alten Friedhof an der Kirche
gibt es noch einen Grabstein:
Hier ruht unser guter Gatte und Vater, Stellenbesitzer August Hoffmann
*1847 +1927.
Hier hatten die Grabräuber erst kürzlich gearbeitet, denn zahlreiche Gräber
wiesen frischen Erdaushub auf.
Der Friedhof hatte 2 x 2 Reihen Gräber, fast ausschließlich mit
Grabeinfassung. Entziffern konnten wir noch folgende 2 Inschriften.
Erwin Gemsjäger
17. Apr. 1910
18. Aug. 1912
Carl Friedrich Guhr
Joh. Karoline geb. Seiler
Erhalten ist auch noch ein ca. 3 m hohes Kreuz von 1862, wofür sich lt.
Lukasz schon die katholische polnische Kirche interessierte.
Die Schule dient jetzt als Wohnhaus für eine Bauernfamilie. Die Pausenglocke
über der Tür ist noch im Original erhalten.
Grund
Der Friedhof ist als solcher erkennbar, die Grabreihen zeichnen sich noch
deutlich ab. Es gibt aber nur ein einziges Element:
Johanna Karoline Klingberg
geb. Häntschel
23. Nov. 1818
4 Februar 1886
Der Friedhof Grund liegt von meinem Quartier im Ortsteil Friedrichsberg
(Kolonia Górna) 5 Minuten entfernt.
Bärsdorf
Den Friedhof hatte ich im Jahre 2006 besucht, hier noch einmal meine
damalige Beschreibung:
.besuchen wir einen Ort, in dem einige meiner Leistritz-Vorfahren
urkundlich nachzuweisen sind: Bärsdorf Kreis Waldenburg (polnisch
Niedzwiedzice), wir gehen auf den Friedhof. Für die lobenswerte Initiative:
Schlesische Friedhöfe, hier die genauen Angaben: Der alte Friedhof ist auch
der jetzt genutzte. An noch vorhandenen Überresten aus deutscher Zeit haben
wir gefunden, eine geplünderte Gruft (ohne Namen), die Ruine der
Leichenhalle und zwei Grabsteine:
Hier ruhen vereint unsere inniggeliebten Kinder
Richard SCHUBERT
*25. Juli 1902 + 1. Juni 1908
Elfriede SCHUBERT
*17. Juli 1904 +6. Febr. 1910
Hulda SCHUBERT
* 6. Dez. 1905 + 14. Febr. 1912
und:
Hier schläft friedlich unser liebes Töchterchen und Schwesterchen
Gretel KLEINER
*3.11.1922 +11.10.1929.
Rudolfswaldau
Der Ort gehört nicht zum Kirchspiel Wüstewaltersdorf, liegt aber in
unmittelbarer Nachbarschaft und Vorfahren von mir haben dort gelebt.
Der evangelische Friedhof befindet sich schräg gegenüber der kleinen, jetzt
katholischen Schrotholzkirche mit gemauertem Turm, um die auch der neue
polnische Friedhof angelegt ist. Auf diesem sind sehr alte Grabplatten aus
deutscher Zeit noch vorhanden. Die Lesbarkeit ist auch eine Funktion des
Alters der Grabplatten, aber,
hier in Rudolfswalde geboren 1659(!)
..
konnte man noch gut entziffern.
Auf dem evangelischen Friedhof war noch lesbar:
Hermann Wittwer *1841 +1919
Maurerpolier Ernst Hartwig *1840 +1919
Ernst Gottfried Pohl *1811 +1879
Willi Tschirner *1906 +1918 (aus einer Seitenlinie meiner Seidel-Vorfahren)
Ernst Köhler * 1857 +18..
Gottlieb Scholz *1799 +1867
Dorfbach
Der Friedhof befindet sich, von Wüstewaltersdorf kommend, auf der linken
Seite, etwa in Dorfmitte. Es ist keine Inschrift mehr zweifelsfrei zusammen
zu bekommen.
An der Ortsgrenze Wüstewaltersdorf Dorfbach steht noch die Gocksch-Gruft,
von der nur das Fragment einer Tafel erhalten ist: (Hein)rich
(Gocks)ch
Juli 1840
Mai 1855
Jauernig (Oberhausdorf)
Der Jauerniger Friedhof befindet sich auf dem Gelände der Gast- und
Landwirtschaft Zur Scholtisei von Karl Jauernick, die Fläche wurde
seinerzeit an die Gemeinde abgetreten. Die Trauergesellschaft mit dem Sarg
mußte seitdem immer durchs Jauernicksche Anwesen ziehen, da der Weg zum
Friedhof durchs Grundstück führte. Von dem imposanten Gebäude des Gasthofes
steht heute nur noch eine Ruine, dicht an der Straße, von Hausdorf kommend
auf der rechten Seite.
Ernst Jauernick
* 3.3.1874
+2.1.1974
Hier wurde der Bruder von Karl Jauernick begraben. Er war bei
Neujahr-Nachfeier in einer Gaststätte plötzlich vom Stuhl gekippt und
gestorben. Seine Verwandten besorgten einen Schlitten und fuhren den Toten
nach Hause. Das hat mir der Neffe, Ernst Jauernick, berichtet.
Ein unvollständiges Porzellanschild:
.gest. d. 9. Juli 1900
Dem Vater und der Mutter mein,
War ich ein liebes Töchterlein,
Gott dem ich lieber war,
Nahm mich zur Engelschaar.
Gew. v. den tieftrauernden Eltern
Reinhold Püschel u. Frau
Auf dem Jauerniger Friedhof fehlte die Zeit, um weiter Elemente zu suchen.
Die Angaben sind deshalb möglicherweise nicht vollständig.
Schlesisch-Falkenberg
Hier gab es auch einen eigenen Friedhof, den wir auch aus Zeitgründen noch
nicht aufsuchen konnten.
Schneider-Gruft
Erbbegräbnis des Bauern Schneider auf seinem Grund und Boden, am Weg nach
Toschendorf, über den Zustand dieser Einzelgrabstellen und deren Schicksal
nach 1945 schweigt des Sängers Höflichkeit besser. Lukasz konnte
Innenaufnahmen machen, schämte sich aber, die zu zeigen.
Wüstewaltersdorf
Hier hatte die Gemeinde seit 1846 ihre Toten bestattet. Nach 1945 wurde auf
der einen Hälfte eine Gedenkstätte für die beim Vorhaben Riese ums Leben
gekommenen KZ-Häftlinge und Kriegsgefangenen eingerichtet, auf der anderen
Hälfte haben die Polen ihre Toten bestattet, bis der neue Friedhof, oberhalb
des Bahnhofs, eingerichtet wurde.
Drei Grabstätten und ein Grabstein aus deutscher Zeit sind erhalten:
Erbbegräbnis der Familie Websky mit dem Spruch
Nun aber bleibet Glaube,
Hoffnung und Liebe,
diese drei, aber die
Liebe ist die größte unter Ihnen.
Gustav Wersig + 1852
Wilhelm Wersig +1863
Grabstein:
Buchhalter
Louis Scholz
5. Juli 1835
+ 25. Febr. 1882
Erstaunlich ist, daß unmittelbar neben der Gedenkstätte die zwei
Wersig-Gräber mit deutlichen Grabräuberspuren seit Jahrzehnten so belassen
wurden.
Im August wird auf diesem Friedhof gemeinsam mit den polnischen Behörden und
den Vertretern der deutschen früheren Einwohner ein Gedenkstein zur
Erinnerung an die Toten von vor 1945 eingeweiht. Das Fundament dafür ist
fertig.
Katholische Kirche Wüstewaltersdorf
Hier gab es einen Friedhof, von dem eine stattliche Familiengruft die Zeit
überdauert hat, leider wurden alle Schrifttafeln entfernt, so daß sie sich
namenlos präsentiert.
Zum Abschluß noch ein Spruch, den ich auf dem Friedhof von Leutmannsdorf
Kreis Schweidnitz vor zwei Jahren gesehen habe und das doch unverkrampfte
Verhältnis unserer Vorfahren zu ihren Toten dokumentiert:
Was ihr seid, das waren wir
Und was wir sind, werdet ihr.
O, so sind wir einander gleich,
hier in diesem Moderreich.