Liebe Anita Rogge-Baum,
da Ihnen auf Ihre Frage nach der Religionsfreiheit bisher leider, so wie ich
gesehen habe, noch keiner geantwortet hat, will ich mich mal an einer
Antwort versuchen, und bitte die Listenteilnehmer, mich zu erg�nzen oder zu
korrigieren.
Im Gegensatz zu Trachenberg geh�rte ja Rawitsch noch bis 1793 zu Polen und
kam erst dann an Preu�en. Daher geht es hier um die in Polen am 5.3.1768
eingef�hrte und in der Grenzregion zu Militsch 1776 durchgesetzte
Religionsfreiheit. Dabei ist zu bedenken, dass Sarne eine Ortschaft ist, die
von protestantischen Einwanderern gegr�ndet wurde, die sich selbst als
Exulanten bezeichneten, obwohl sie nicht zu den Religionsfl�chtlingen aus
Salzburg geh�rten. Werner Zimmermann stellt in Ostdeutsche Familienkunde
Band 4, 1965, S. 65 ff. ("Exulantenschicksale im 18. und 19. Jahrhundert")
die interessante Vermutung an, die Ortschaft Sarne sei von protestantischen
Einwanderern aus dem S�dtiroler Sarntal gegr�ndet worden.
Im Jahr 1596 begann in Polen die Gegenreformation, im Gegensatz zu anderen
L�ndern war sie in Polen ein von vielen Gegens�tzlichkeiten begleiteter
Proze�. Nachdem im Drei�igj�hrigen Krieg sogar polnische Bisch�fe
protestantische deutsche Fl�chtlinge in ihren Bist�mern angesiedelt hatten,
kam die Gegenreformation 1658 mit der Vertreibung vieler Protestanten zu
einem H�hepunkt, dessen Ursache im Krieg gegen das lutheranische Schweden
1655-1660 zu suchen ist. Protestanten wurden grunds�tzlich als Feinde des
Vaterlandes angesehen (die Vertreibung betraf in erster Linie die
Sozinianer). Danach gab es nur noch ganz wenige evangelische Gemeinden, mir
ist sogar nur die in Rawitsch bekannt (Zduny gab es glaube ich auch noch ?).
Die Protestanten wurden zur Teilnahme an den katholischen Gottesdiensten
gezwungen, anderenfalls verloren sie das B�rgerrecht und wurden von Z�nften
und �mtern ausgeschlossen. Sarne bildete keine eigene evangelische Gemeinde,
die Einwohner mussten wohl auch hier zun�chst zur katholischen Kirche gehen.
Seit 1764 wurde Polen von Stanislaus II. Poniatowski, einem G�nstling
Katharinas der Gro�en, regiert. Katharina die Gro�e stellte 1767 alle
Nichtkatholiken (die sogenannten Dissidenten) sowie die polnische Opposition
unter ihren Schutz, wobei ihr nicht der Schutz der Protestanten am Herzen
lag, sondern sie nach dem Motto: Teile und herrsche ihren Einflu� in Polen
vergr��ern wollte. Au�erdem bildeten die zahlenm��ig st�rkste Gruppe der
Nichtkatholiken die Orthodoxen, an deren Schutz die Russisch-Orthodoxe
Kirche interessiert war. Die Dissidenten und die Opposition schlossen sich
in den Konf�derationen von Thorn und Sluzk unter dem Schutz des russischen
Gesandten Repnin zusammen und verlangten unter anderem Religionsfreiheit.
(Dazu ein kurzes Beispiel aus Arthur Rhode, Geschichte der evangelischen
Kirche im Posener Lande: 1764 sollte den Protestanten auch die Kirche in
Krantz genommen werden. "Ja, das Tribunal in Petrikau hatte sogar verf�gt,
dass der Patron den Katholiken die Eink�nfte der Kirche seit 200 Jahren
ersetzen solle. [...] Der preu�ische Gesandte Benoit drohte daraufhin in
Warschau mit Wegnahme der katholischen Kirche in Heiligen-Linde; [...] Das
Urteil von Petrikau wurde zwar nicht aufgehoben, blieb aber unausgef�hrt.")
Auf dem Rathaus in Radom, vor dem die russischen Kanonen aufgefahren waren,
beschlo� eine Generalkonf�deration die Gleichberechtigung der Dissidenten
und der Nichtunierten und auch die Verb�rgung der polnischen
Staatsverfassung durch Russland. In einem "stummen" Reichstag (da wegen des
Zwangs eine Debatte unsinnig schien) wurde am 5.3.1768 das Warschauer
Traktat beschlossen, das den Beschl�ssen der Konf�deration von Radom
entsprach und somit Religionsfreiheit gew�hrte. Jedoch war dagegen bereits
am 29.2.1768 die Gegenkonf�deration von Bar geschlossen worden, in der sich
die Katholiken unter dem Schutz des Osmanischen Reiches mit dem Ziel der
Beibehaltung der Herrschaft der katholischen Kirche zusammengeschlossen
hatten. Die geforderte Aufhebung der Verfolgungsgesetze von 1717 wurde als
Untergrabung der Grundpfeiler des Katholizismus angesehen. So kam es zu
einem religi�sen, aber auch nationalen B�rgerkrieg in Polen, eigentlich war
es mehr ein Aufstand gegen die russische Vorherrschaft, der sich seinerseits
auf die Unterst�tzung durch das Osmanische Reich gr�ndete. Da es nun an der
preu�ischen Grenze zu einer Anarchie kam, bei der die einzelnen Heerhaufen
von R�uberbanden kaum zu unterscheiden waren und Folterungen und
Hinrichtungen zur Flucht und Vertreibung vieler B�rger nach Pommern,
Schlesien und Brandenburg f�hrten, "r�ckten preu�ische Soldaten tief ins
Land hinein, um die Auswandernden sicher zu geleiten". Als die Pest
ausbrach, zog General Belling einen Pestkordon, hinter den er die
B�rgerkriegsparteien zur�ckdr�ngte, und drang am 15.11.1771 sogar in Posen
ein.
Ru�land besetzte nun die Schwarzmeerk�ste, die bis dahin t�rkisch gewesen
war, sowie die osmanischen Vasallenf�rstent�mer Moldau und Walachei, so dass
die Verbindung zwischen dem t�rkischen Osmanischen Reich und Polen
abgeschnitten wurde. Mit Hilfe britischer Seeleute siegte die russische
Ostseeflotte 1770 bei Tschesme �ber die t�rkische Flotte. Die russische
Machtausweitung direkt an der ungarischen Grenze veranla�te nun wiederum
Maria Theresia zu einem B�ndnis mit dem Osmanischen Reich. Zur Verhinderung
eines russisch-�sterreichischen Krieges schlug Friedrich der Gro�e 1772 die
erste polnische Teilung vor. Schlie�lich (um das jetzt mal abzuk�rzen) wurde
der Aufstand der Konf�deration von Bar niedergeschlagen und Ru�land wurde im
Frieden von K�tsch�k-Kainardschi 1774 auch Schutzmacht der orthodoxen
Balkanchristen und gewann mit Asow einen Zugang zum Schwarzen Meer.
Preu�en hatte 1772 nur Pommerellen erhalten, so da� Gro�polen noch bis 1793
polnisch blieb. Die Durchsetzung des Warschauer Traktats erfolgte erst
allm�hlich. Erst 1776 konnte das Lissaer Konsistorium einen allgemeinen
Dankgottesdienst f�r die Erlangung der Religionsfreiheit anordnen. Die
Bewohner von Sarne gingen dann nur kurze Zeit zur evangelischen Kirche in
Rawitsch und gr�ndeten bald eine eigene Gemeinde.
Viele Gr��e von Peter Ebenfeld