Re: Schlesien-L digest, Vol 1 #597 - 20 msgs / vertrieb. Ostpolen

Hallo Uwe,
bei allem Mitleid, Verständnis und Menschlichkeit, die aus Deinen
Reise-berichten und den Reaktionen darauf in der Liste zu lesen sind, sollte
man wieder einmal auf den etwas komplizierten Hintergrund verweisen, den von
den Jüngeren kaum jemand kennt.
Im Polnisch-Russischen Krieg 1920, den die Polen zu einem Zeitpunkt
an-zettelt hatten, als Russland noch nicht die starke, erwachende Sowjetunion
war, sondern ein armer, schwacher vom WW1 gebeutelter Nachbar im Osten, hat
das damalige Polen diese weissrussich - ukrainischen Gebiete für sich
annektiert. Das ging auch nicht einfach so, sondern war mit fürchterlich
brutalen Begleitumständen verbunden.
Im Zuge der stalinistischen Neuordnung Ost-Mitteleuropas, machte Stalin
selbst schon während des WW2 unmissverständlich klar, dass diese Gebiete
russisch waren und die Wiedergabe 1945 geregelt werden müsste,
durch den Austausch mit den freiwerdenden ostdeutschen Gebieten.
Die Vertriebenen mit allen völkerrechtswidrigen Begleitumständen sind die
Ostdeutschen, die Ostpolen sind durch eigene politisch herbeigeführte
Umstände "umgesiedelte" Menschen. Sie kamen aus sehr unterschiedlichen
sozialen Schichten, was man heute teilweise am Erhaltungszustand der Dörfer
in die Sie kamen ablesen kann.

Das angesprochene Einebnen von deutschen Friedhöfen hat 2 Gründe.
Einmal gab es eine (nicht offizielle) Empfehlung solche Zeugen, besonders mit
alten Grabsteinen und Grüften platt zu machen.
Zum anderen zogen gewiefte Burschen von Dorf zu Dorf , holten sich nach und
nach die ganz normalen, polierten Grabsteine, schliffen sie ab und verkauften
sie an den so florierenden, neuen Grabsteinhandel.
Eisenteile oder Figurenschmuck verschwanden auf den Flohmärkten.
Auf dem Friedhof meines Heimatdorfes, steht noch ein einziger , weil viel zu
schwerer Grabstein (derer von Prittwitz) in Form eines Obelisken, aus
Sandstein, den man schlecht in die richtige Form schleifen kann.
Der Rest dieses einst mit alten Eichen bestandenen Ortes, wird als
Abstell-platz für veraltete, rostende Landmaschinen genutzt.

Ueber die Umsiedlungsaktionen der Ostpolen gibt es
Wochenschau-Dokumentarfilmaterial. Die wurden auch nicht mit vorgehaltener
Maschinenpistole "umgesiedelt" , man hatte ihnen doch den "goldenen Westen"
mit richtigen Haeusern und intakter durch den Krieg leicht beschaedigter
Infrastruktur versprochen.
Meine Heimatstadt Namslau, in der zur Verteidigung nur 3 Schüsse fielen,
wude aus Jux und Tollerei zu 50-60% durch Freudenfeuer zerstoert.
Warum die Russen und herumvagabundierende Banden aus welchen Gruenden auch
immer, viel mehr als notwendig in einer wahren Zerstoerungsorgie von der
Ostsee bis zum Riesengebirge kaputt machten, hat wohl noch niemand untersucht.
MFG J.Kirsch

ISATTEAM@aol.com wrote:

bei allem Mitleid, Verst�ndnis und Menschlichkeit, die aus Deinen
Reise-berichten und den Reaktionen darauf in der Liste zu lesen sind, sollte
man wieder einmal auf den etwas komplizierten Hintergrund verweisen, den von
den J�ngeren kaum jemand kennt....

Lieber Herr Kirsch,
ich fuehle mich hier mit angesprochen, da ich ja auf den Bericht von Uwe
reagierte.

Sie haben ja vollkommen recht. Auch ich wurde 1947 als Achtjaehriger zusammen mit
einer kleinen Gruppe deutscher Kinder und einem alten Lehrer - seine Frau war
gelaemt und bettlaegerig, deshalb waren sie noch im Staedtchen - von der
polnischen Miliz mit vorgehaltener Maschinenpistole abgefuehrt, nur weil wir
heimlich und fuer deutsche Kinder verboten, das ABC gelernt haben. So etwas
vergisst man nicht. Siehe auch:
http://www.boehm-chronik.com/geschichte/lernenverboten.htm

Das heisst aber nicht, dass man jetzt die Schandtaten aufrechnen soll und beweisen
will, wer war nun grausamer. Das war auch sicherlich nicht Ihr Ziel.

Mir geht es darum, Erlebnissberichte von vertriebenen Ostpolen zu bekommen, die
dann in unsere Heimat kamen. Natuerlich gab es rachsuechtige darunter; viele
sogar. Aber man soll auch nicht den gutmuetigen Menschen der jeweils anderen Seite
vergessen. Diese gab es auch. Nur, darueber "darf" nicht gesprochen werden. Warum
eigentlich?

Herzliche Gruesse aus Upstate New York,
Guenter