Hallo Markus,
es gibt keine feste, allgemeingültige Definition für "Quelle". U.a. hängt der Begriff der Quelle auch davon ab, was erforscht werden soll,
vergl. Quelle (Geschichtswissenschaft) – Wikipedia.
Eine allgemeine Definition für Quelle ist da zu finden: "alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann“.
Wesentlich enger fasst das Renate Ell in ihrem Artikel "Woher weiß ich das?" in der Computergenealogie 4/2016, S. 6:
"Die Quelle einer Information ist die Stelle, an der man die Information selbst (!) gefunden hat".
Alleine, wenn man diese beiden Definitionen vergleicht, fallen einem die gravierenden Unterschiede auf: Die allgemeinere Definition abstrahiert von meinem eigenen Schaffen, in der Quelle *kann* Kenntnis gewonnen werden, unabhängig davon, ob ich es bereits getan habe. Renate Ell dagegen engt das ein auf die Stellen, wo man selber etwas gefunden hat. Und genau daraus entspringen die beiden grundverschiedenen Ansätze, die hier diskutiert werden.
Die einen sehen Quellen als etwas absolutes, vom konkreten Tun des Forschers unabhängiges: Der Kirchenbucheintrag ist da - man *kann* da Kenntnisse über die Vergangenheit finden. Es ist also eine Quelle, und sie wird angegeben, damit eine erarbeitete Information nachprüfbar wird. Die anderen akzeptieren das nicht als Quelle, wenn sie es nicht persönlich selbst gesehen haben - für die ist es nur ein Hinweis, aber keine Quelle. Solange, bis sie es selber gesehen haben. Für sie ist die GEDCOM-Datei eine Quelle - die "sehen" sie ja selber. Für die ersteren ist dagegen die GEDCOM-Datei im Wesentlichen das Transportvehikel, mit dem die Daten inkl. der Quellen von A nach B gebracht werden.
Diesen Widerspruch werden wir hier nicht auflösen können. Und ich glaube auch nicht, dass die Diskussion hier jemanden aus dem einen Lager in das andere Lager holen kann. Es hängt auch davon ab, wie ich selber die Forschung ausrichte: Konzentriere ich mich darauf, einen kleineren Umfang (z.B. die eigene Familiengeschichte) zu erforschen, werde ich alles selber sehen wollen. Arbeite ich in einem Team oder an einem großen Projekt mit, könnte dieser Anspruch überhaupt nicht erfüllt werden - da fügen die einzelnen Forscher zu einem großen Ganzen ihren Teil hinzu, ohne dass sie selber die Arbeit aller anderen nachvollziehen.
Beides hat seine gute Berechtigung. Es führt aber zu ziemlich unterschiedlichen Vorgehensweisen und somit auch zu den hier diskutierten unterschiedlichen Darstellungen über das, was als "Quelle" betrachtet wird.
Und damit haben wir auch die unterschiedlichen Anforderungen, die an ein Genealogie-Programm gestellt werden. Wenn wir nämlich bei einem Datentransfer von einem zum anderen Forscher der Linie folgen, dass die Quellen etwas absolutes, vom konkreten Schaffen des einzelnen Unabhängiges sind, dürfen die Quellenangaben nicht verändert werden (höchstens ergänzt werden um die Aussage, wer sie wo zur Verfügung gestellt hat). Wenn wir als Quelle aber nur das akzeptieren, was wir selber gesehen haben, muss mit dem Transfer von Forscher A zu Forscher B die Darstellung der Quellen geändert werden: Sie müssen auf Hinweise abgestuft werden, die erst noch alle persönlich nachgearbeitet werden sollen, um wieder Quellen zu werden.
Ob wir es schaffen, einen Datentransfer zwischen den Programmen zu definieren und zu vereinbaren, der nach dem Transfer dem Forscher noch die Wahl lässt, nach welcher Grundausrichtung er weiter arbeiten möchte, ohne dass er alles manuell wieder überarbeiten muss, werden wir sehen. Und auch die Antwort auf die Frage, ob sich der Aufwand lohnt, das dann in die Programme einzubauen , wird wohl programm-spezifisch unterschiedlich ausfallen. Nach meiner Kenntnis ändern die Programme beim Datentransfer (Export oder Import) den Status der Quellen bislang nicht. Daher wohl auch die Unzufriedenheit derjenigen, die die Abstufung der Quellen auf Hinweise bei der Datenübernahme umgesetzt haben wollen.
Viele Grüße
Albert (Emmerich)