Hallo Stefan,
es ist zwar richtig, dass beide Quellen (Familienbuch und Kirchenbuch) nicht gleichwertig sind (Familienbuch = Sekundärquelle, Kirchenbuch = Primärquelle), ABER: Oft ist das Kirchenbuch nicht eindeutig, und eine genealogische Arbeit nutzt auch andere Quellen oder zum Teil mühsame Ermittlungen, um Familienzusammenhänge zu rekonstruieren. Ich habe das Beispiel vor Augen (u.a. in der eigenen EMMERICH-Vorfahrenlinie!), wo ein Kirchenbuch bei den Heiraten keine Angaben zur Herkunft der Brautleute macht, weder ihr Alter, noch ihr Geburtsdatum - und -ort, noch ihre Eltern werden erwähnt. Familien werden aufgrund z.B. Patenanalysen erschlossen und im Familienbuch niedergelegt. Dein Beispiel, dass meine Frau mir aufzählt, wann unsere Kinder geboren sind, ist für mich keine Quelle - da kommt in der Tat keine neue Erkenntnis auf, also braucht auch keine Quelle aufgemacht zu werden.
Jede Sekundärquelle ist eine Aufarbeitung inkl. Interpretation und ggfs. Zusammenführung von anderen Quellen. Sie ist somit eine eigene Quelle mit klarer Daseinsberechtigung. Auch eine GEDCOM-Datei ist eine Quelle, daher habe ich die Möglichkeit in meinem Programm, jeden Import pro Datensatz mit einer Quelle "GEDCOM-Datei XYZ.ged" zu versehen. Mache ich natürlich nicht, wenn ich nur einen eigenen Backup wieder reimportiere, also wird diese Quelle immer nur optional eingefügt.
Noch kritischer wird es, wenn - wie auch schon leider häufig genug vorliegend - Forschungen aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg vorliegen, in denen im Krieg vernichtete Kirchenbücher ausgewertet wurden. Hier ist der Verweis auf das Kirchenbuch eine sehr wichtige Aussage in der Sekundärquelle, die aber wegen der inzwischen nicht mehr existierenden ursprünglichen Quelle nicht mehr selbst nachgeprüft werden kann.
Wie bekannt habe ich - im Gegensatz zu einigen anderen Diskussionspartner hier - nicht den Anspruch, nur Quellen zu nennen, die ich selber eingesehen habe. Ein Wissenschaftler baut ja auch auf den Ergebnissen anderer auf, ohne das alles selber zu wiederholen / nachzuvollziehen. Sonst wäre die Naturwissenschaft im heutigen Umfang gar nicht möglich - die Experimente der letzten Jahrhunderte können nicht von den heutigen Forschern - jeder für sich selbst - noch einmal alle durchgeführt und interpretiert werden. Ich möchte neue Daten hinzufügen zu dem, was bereits existiert. Das kennzeichnet auch die Arbeitsweise, in dem ein Team sich daran macht, Kirchenbücher, Zivilregister und andere verfügbare Quellen zu bearbeiten und das zusammenzutragen. Ich übernehme auch Forschungsergebnisse inzwischen verstorbener Forscher, ohne jede Einzelheit nachzuprüfen - das kann dann derjenige machen, dem das wichtig ist.
Wer für sich selbst die Anforderung stellt, jede Quelle selber eingesehen zu haben, der kann das ja gerne tun. Dann ist es für ihn aber auch ziemlich irrelevant, ob ein Hinweis auf eine Quelle von einem Forscher A gegeben wurde und über den Forscher B ungeprüft zu ihm kam oder ob es Forscher B direkt war, der die Quelle eingesehen hatte und ihm nun das Ergebnis übermittelt. Er will ja in jedem Fall jedes Quellenzitat selber sich noch einmal durcharbeiten und dazu vorher in eine NOTE verwandeln. Also ist es gleichgültig, ob nur die Quellen von B oder auch die von A als Quelle verschlüsselt sind, er muss alle entfernen und neu aufbauen. Und wichtig ist: Das muss immer der Empfänger der Daten machen - der entscheidet, ob er vorhandene Quellenzitate selber weiternutzen will oder erst selber alles überprüft.
Da aber der GEDCOM Standard nicht zulässt, dass eine Quelle eine andere zitiert, gibt es keine saubere Struktur in der GEDCOM-Übermittlung, die angibt, welche Aussage auf Basis welcher anderen Quellen erarbeitet wurde. Wenn ich also durch Zusammenführen der Informationen aus zwei oder mehr Fundstellen in den benutzten Quellen eine neue Information erschließe, dann kann ich nur alle drei oder mehr Zitate nebeneinander stellen: die benutzten Quellen und meine eigene Arbeit. Später kann der Empfänger nicht mehr sehen, wer in welcher Reihenfolge was erarbeitet hat. Das Nachvollziehen wird schwieriger - was aber nur diejenigen trifft, die nicht alles ohnehin noch mal neu erforschen wollen.
Es gibt Notlösungen innerhalb des bestehenden GEDCOM-Standards, um den Ablauf bzw. die Logik der auf einander aufbauenden Zitate besser zu dokumentieren: Ich kann in SOUR.NOTE per Klartext einen Hinweis anbringen, wo die Daten herkamen. Ich kann also bei einem aus einer GEDCOM Datei importierten Quellen-Zitat folgendes machen:
1 SOUR @S1@
2 PAGE <Fundstelle in S1>
2 DATA
3 TEXT <Originaltext aus Quelle S1>
2 NOTE importiert aus der GEDCOM-Datei XYZ.ged von ABC am <Importdatum>
Solche Verweise bauen manchmal die Lieferanten von Daten in Online-Datenbanken von sich aus ein (dann natürlich ohne Importdatum, ggfs aber mit ihrem Exportdatum). Alternativ (damit sie wegen der Programme, die SOUR.NOTE einfach ignorieren) finde ich auch direkt in den Personendatensätzen:
1 NOTE importiert aus der GEDCOM-Datei XYZ.ged von ABC
Hier wird schon eine NOTE als Klartext-Quellenzitat missbraucht. Da ich so etwas in NOTE nicht stehen haben will, kann ich es mit einem Editor auch vor Import der Datei anpassen (entweder in eine SOUR verwandeln oder ganz löschen).
Die Notlösung kann auch anders herum in einem Zitat auf ein Kirchenbuch (@S1@) in einer Sekundarquelle @S2@ wie folgt aufgebaut werden:
1 SOUR @S2@
2 PAGE <Fundstelle in S2>
2 DATA
3 TEXT <Originaltext aus Quelle S2>
2 NOTE zitiert das Kirchenbuch DEF, <Fundstelle in S1>
1 SOUR @S1@
2 PAGE <Fundstelle in S1>
2 DATA
3 TEXT <Originaltext aus Quelle S1>
In diesem Fall ist es aus meiner Sicht wichtig, dass das Zitat zu S1 (Kirchenbuch) mit erscheint, da dort die Transkription des Eintrags (der "Originaltext") verschlüsselt wird. Dieser Text sollte unbedingt mitgeliefert werden, damit man bei Nachprüfungen nachvollziehen kann, ob man zu abweichenden Originaltexten ("Lesefehler") oder zu abweichenden Interpretationen kommt.
Viel sauberer in der Logik wäre die Dokumentation in einer Struktur:
1 SOUR @S2@
2 PAGE <Fundstelle in S2>
2 DATA
3 TEXT <Originaltext aus Quelle S2>
2 SOUR @S1@
3 PAGE <Fundstelle in S1>
1 SOUR @S1@
2 PAGE <Fundstelle in S1>
2 DATA
3 TEXT <Originaltext aus Quelle S1>
Aber das hier eingesetzte 2 SOUR @S1@ erlaubt der Standard leider nicht.
Weiter gibt es die Möglichkeit:
1 SOUR @S1@
2 PAGE <Fundstelle in S1>
2 DATA
3 TEXT <Originaltext aus Quelle S1>
2 NOTE eingesehen von <Name des Forschers> am <Datum>
Das habe ich auch schon angeliefert bekommen!
Auch hier erlaubt der GEDCOM-Standard es leider nicht, das strukturiert zu übermitteln. Dabei wäre es ganz einfach:
1 SOUR @S1@
2 PAGE <Fundstelle in S1>
2 DATA
3 TEXT <Originaltext aus Quelle S1>
2 SUBM @SUBM1@
3 CHAN
4 DATE <Datum>
Das hätte den Vorteil, dass im SUBM Datensatz auch die Kontaktdaten des Bearbeiters noch zugeordnet wären. Und bei einer Teamarbeit der konkrete Bearbeiter dokumentiert wäre. Das aber lag alles außerhalb des Horizonts der damaligen GEDCOM-Macher...
Viele Grüße
Albert (Emmerich)