Schoenen guten Abend,
Hallo Herr Marnitz, Herr Naujocks,
Eintrag im Paß: "Staatsangehörigkeit: Freie Stadt Danzig "
Der Paß ist am 16.3.1939 ausgestellt
Was hat man denn noch von dem Ausweis ? Mein Vater ist noch 1938 in Danig
geboren - ich bin also "Halbflüchtlingskind"
ja, eine interessante Frage... - was hat man denn noch von so einem Ausweis? Manche haben gar nichts davon, was sich z.B. bei Ebay zeigt, wo Anbieter die Reisepaesse ihrer Grosseltern fuer ein paar Euro verramschen. Gut, Papier ist immer Papier und ein Stempel ist an und fuer sich auch nichts besonderes.
Aber es gab nun einmal einen Freistaat Danzig, dessen Einwohner teils schon ueber Jahrhunderte in vielen Generationen mit dem Land, mit dem Boden verbunden waren und die dieses Land an der Kueste liebten. Kultur und Geschichte sind zwar nicht untergegangen, teils blieb sie erhalten, teils wird sie fortgeschrieben, teils wirer auch vollkommen umgeschrieben. Was waere, wenn es solche Dokumente wie die Ausweise nicht gaebe? Was waeren die Archive ohne papierne Dokumente?
Meine Grosseltern und Eltern hatten kein einziges Foto mehr, keine Ausweise, als sie Danzig "verliessen". Sie sprachen zu uns Kindern auch nicht mehr ueber ihre Heimat. Zu viel hatten sie gesehen, erlitten. Ich wuchs ohne Heimat auf. Aber Danzig war in mir. Vor fuenfzehn Jahren fand ich in Danzig Verwandte meines Vaters von deren Tod alle ueberzeugt gewesen waren. Als ich das erste Mal in Danzig war, im Werder, spuerte ich erstmals was Heimat ist, empfand das als Offenbarung.
Heute bin ich mit einer polnischen Danzigerin verheiratet, bin mit einem Fuss noch in Deutschland, mit dem anderen jedoch bereits in Danzig. Der Fahrplan fuer meinen endgueltigen Umzug steht bereits fest.
Aber zurueck zur Frage was man denn noch von so einem Ausweis hat: ICH habe keinen meiner Eltern und Grosseltern. Besaesse ich einen, waere er etwas ganz, ganz besonderes fuer mich. Ein solcher Ausweis zeigt nicht nur Historie auf, er dokumentiert auch ein Stueck Familiengeschichte, und er waere ein absolutes Highlight unter den Familiendokumenten die ich besitze. Ein solcher Ausweis kann auch -wenn man einen Bezug dazu hat- ein Stueck persoenlicher Identitaet sein.
Wer koennte Fragen ob man Halb-/Fluechtlingskind ist besser beantworten als Betroffene? Jeder muss das fuer sich beantworten. Ich wuchs als Fluechtlingskind in einer mitunter sehr unfreundlichen und kalten Umwelt auf. Ich wurde zum Fluechtlingskind gestempelt, als solches noch in der Schule bezeichnet. Heute fuehle ich mich selbstverstaendlich nicht mehr als solches, es liegt ja auch schon Jahrzehnte zurueck. Aber es gehoert zu meiner Geschichte als Fluechtlingskind aufgewachsen zu sein.
Ein Danziger Ausweis, ob eigener Kinderausweis oder Reisepass, aber auch ein solches Dokument der naechsten Angehoerigen ist immer etwas Besonderes. Es ist Erinnerung, Geschichte. Und trotzdem: Wenn ich eines der wenigen originalen Familiendokumente die ich besitze in den Haenden halte, ist das nicht nur Papier - ich schlage eine Bruecke zu den alten Besitzern, zu meinen Vorfahren und weiss , dass ich ihnen in diesen Augenblicken nahe bin.
Viele Gruesse
Wolfgang Naujocks