Ostpreußische Moore

Hallo Listies,

habe auf einem Flohmarkt das Buch“ Land und Leute – Monographien zur
Erdkunde -
Die Norddeutschen Moore von Bruno Tacke und Bernhard Lehmann „
von 1912 , erschienen im Verlag von Velhagen & Klasing, erworben, aus der
ich das nachfolgende abgeschrieben habe.
Die angeführten Bilder werde ich später noch einscannen. Falls der Wunsch
besteht, diese zu erhalten, bitte an mich direkt per Mail.

Auszüge aus „Die Norddeutschen Moore“ von Bruno Tacke und Bernhard Lehmann,
1912 Bielefeld und Leipzig, Verlag Velhagen & Klasing

8. In Ostpreußens Mooren
Die wenigen die in das Ostland reisen, sehen sicher die Marienburg, das
imponierende Denkmal deutscher Kolonisationstätigkeit. Sie gehen auch nach
Danzig und begrüßen dort in den traulichen Straßen mit dem malerischen
Beschlägen den ehrwürdigen Dom zur St. Maien. Seltener schon verirren sich
Westdeutsche nach Königsberg, zur Flutumtosten Bernsteinküste des Samlandes
und zu den tiefernsten, ja schwermütigen Seen Masurens. Naturfreunden sei
der dringende Rat gegeben, zwei weitere Tage zu opfern und zwei so
einzigartige Gebiete zu durchstreifen, wie sie auf deutscher Erde nicht
wieder zu finden sind, das Zehlanbruch und das Große Moorbruch. (Karte
Abb.142)
Das Zehlanbruch ist Naturschutzgebiet, aber, wie man heute zu sagen pflegt,
Naturschutzpark. Dort soll das in mitten des riesigen Frischingsforstes
gelegene Moorgebiet möglichst ohne menschliche Eingriffe sich weiter
entwickeln. Dort also darf man hoffen – und man wird nicht enttäuscht –
jungfräuliches Moor zu schauen. Von Königsberg aus bieten sich verschiedene
Eingangsrouten. Wir verlassen die Bahn in Neu-Waldeck. Die Gegend, die wir
bis zum Bruch hin durchwandern, ist echtes ostpreußisches Herrenland.
Fabelhafte Gutsflächen. Aus hohem Parkgebüsch schimmern stattliche
Herrenhäuser. Rein deutsch erscheint dies Land. Schon die Namen Almenhausen,
Eisenbart, Sommerfeld, Blankenau und andere weisen nach Mittel- und
Süddeutschland, der Heimat der ehemaligen Eroberer, der Kreuzritter. Solche
Kirchen mit getrepptem Turm und uralte Linden rings um den Friedhof, wie in
Almenhausen, gibt es jenseits des Mains so viele.
Schwerer, fruchtbarer Lehmboden trägt reiche Ernten. Von Eisenbart aus
begleitet uns Dominick, ein frischer 14jähriger Bursche. Er spricht deutsch.
Sein Gesicht aber hat einen fremden Zug. Ist es polnische oder litauische
Mischung ? In weitem Umkreise umgibt das Zehlanbruch eine breite Randzone
dichten Bruchwaldes. Auf schlimmen, gewundenen, feuchtglitschigen Pfaden
rücken wir nur langsam vor. Mächtige Farnbestände und dichtes Unterholz
hindern sehr am Fortkommen (Abb. 143). Dürre Äste, vermodernde Baumstämme,
tiefe Gräben und tückische Moraststellen nötigen zu fortwährenden Umwegen.
Dann endlich, nach stundenlanger Wanderung, stehen wir am Rande des Moores –
und sind tief enttäuscht. So ein ostpreußisches Bruch sieht ganz anders aus
als unsere westdeutschen Moore. Besonders in die Augen fallend ist der große
Unterschied in der Bewachsung. Das Bruch ist regellos bewachsen mit
Krüppelkiefern und Birken(Abb. 144,145), während unsere nordwestdeutschen
Moore – wohl auch infolge der Brandkultur – fast baumrein sind. Einen
weiten, ergreifenden Blick über das endlose Moor hat man in Ostpreußen
nirgends. Immer schließen kümmerliches Gebüsch oder hörnerartig in das Moor
vordringende Waldzungen nur zu bald die Aussicht ab. Und watet man bis zur
nächsten Waldkulisse vor und hofft nun einen freien Blick zu finden, so
erlebt man dieselbe Enttäuschung.
Das Zehlanbruch ist noch im Wachsen. Mächtige Moospolster kämpfen dort
erbittert mit Krüppel- und Hochwald. Einen armseligen, unerfreulichen
Eindruck machen diese Hochmoorbewohner. 35 jährige Kiefern sind glücklich
unter tausend Entbehrungen daumenstark und kaum meterhoch geworden. Der Wind
hat sie arg mitgenommen, die mächtige Schneedecke des Winters drückt sie
vollends zu Boden. Auch die sonst im Moor so wundervoll frischen Birken sind
hier kümmerlich, verwachsen, klein und mit langen Flechtenbärten behangen.
Die Oberfläche eines solchen Bruchs ist vom Rande her außerordentlich
schwer zu begehen. Bis zur Hüfte versinkt man im Moospolster und in dichten
Beständen von Heide , Kienporst und Rauschbeere.
Schwer ist es, zwischen den hohen, baumbestandenen Bulten sich
hindurchzuwinden.
Unser Führer muß notwendig hier zurückbleiben. Ihm sind die Beine zu kurz
und die Stiefel zu weit. Beide wollen nicht beieinander bleiben. Und barfuß
durch solch eine Vegetation vordringen zu wollen, ist unmöglich. Ohne Weg
und Steg, uns nur nach der Sonne richtend, stelzen wir weiter. Im Inneren
des Moores wird die Oberfläche ebener, die Bulte werden kleiner, die
wassergefüllten Löcher zwischen ihnen sind seichter und das Gehen ist nicht
mehr so anstrengend. Nach langer Zeit sehen wir endlich ein, ein baumloses
Zentrum gibt es im Bruch nicht. Nur weiter im Innern trifft man hie und da
reglos über die Oberfläche verstreute Hochmoorteiche, die die selbe finstere
Physiognomie wie unsere heimischen Moorseen tragen, nur noch ein Strich
schwermütiger. Die vielen kleinen Inselchen in einem solchen Teiche tragen
düstere, sturmzerzauste Baumkrüppel auf ihren wenige Quadratschuh großen
Rücken(Abb. 146, 147). Wie mögen in diesen Einöden die alten Winterstürme
wüten. Jetzt im Sommer ist dagegen die Luft so feucht und so schwül. Kein
erfrischender Luftzug streift uns abgearbeitete Wanderer. Nirgends in weitem
Umkreise ist ein Zeichen des Lebens zu spüren. Kein Vogel singt oder zieht
mit müdem Flügelschlag von Waldsaum zu Waldsaum. Da ist kein Tier, das durch
diese Einöde schweifte. Noch vor Jahren waren allerdings diese unwegsamen
Brüche die letzten Schlupfwinkel des Wolfes und des Luchses, des Nerzes und
des scheuen Wappentiers Litauens, des Kranichs. Noch sollen in diesen
Moorwildnissen der Uhu und der Kormoran hausen. Diensteifrige Beerensucher,
mit denen sich in unserer Abwesenheit der Dominik angefreundet hatte,
führen uns am jenseitigen Waldrande zu ganz frischen Fährten dreier Elche.
Vom fernen Moosbruch, von den feuchten Bruchwäldern von Ibenhorst am
Rußstrom wechseln sie tief hinein in die Brüche des Landes. So wie für den
Zoologen diese Reste einer aussterbenden Fauna, sollen auch für den
Botaniker in diesen stillen Winkeln allerhand Kostbarkeiten reserviert sein,
die sich sonst in Deutschland nicht mehr finden. Uns interessiert mehr das
seltsame Bild dieser unberührten Erdscholle mit dem steten erbitterten
Kampfe zwischen Bäumen und Torfmoos.
Unser zweites Wandergebiet, das Große Moosbruch, liegt nördlich des
Zehlaubruchs. Die ihn umgebenden Wälder reichen ununterbrochen bis zum
sumpfigen Ufer des fernen Haffs. Von Station Mehlauken aus wandern wir an
schmalem Bache entlang dem Sumpfgebiet zu. Nach dem Bourtanger Moor ist es
die größte zusammenhängende Hochmoorfläche Deutschlands. Schon frühzeitig
hat man versucht, in dieser Bruchwildnis Kolonisten anzusiedeln.
1756 wurde die älteste Kolonie, Alt-Heidlauken, gegründet. Auch Friedrich
der Große, dessen nimmermüder Falkenblick überallhin spähte, hat in diesen
Gebieten Kulturversuche begonnen.
Später hat die Forstverwaltung, die dringen ein ansässiges, bodenständiges
Arbeitermaterial brauchte, sich energisch der Kolonisation angenommen. Die
Vorbedingungen für eine Besiedelung dieser Brücher und Hochmoore waren
allerdings ganz andere als im Westen. Die wegelosen Sümpfe waren nicht wie
dort von übervölkerten, landhungrigen Dörfern umgeben. Ungeheure,
undurchdringliche Bruchwälder (Abb.148) hinderten hier jede Besiedlung. Nur
die zahllosen, weitverzweigten und schiffbaren Flussarme, die allenthalben
diese Moorgebiete durchziehen, konnten als Verkehrswege in Frage kommen.
Nahe Absatzgebiete für landwirtschaftliche Erzeugnisse gibt es nicht. Torf
wird überhaupt nicht gestochen, dazu ist das Holz zu billig. Das alles
erschwerte die Besiedlung dieser Moore. Andererseits war aber die
bodenständige , litauische Bevölkerung mit ihrer Anspruchslosigkeit und
ihrem heißen Drang, in der Waldheimat zu bleiben, ein vorzügliches
Kolonistenmaterial. Dazu konnte man den Neusiedlern außer dem futterlosen
Hochmoor ein Stück der grasbestandenen Überschwemmungswiesen längs der
vielen Flussarme als Pachtland überlassen. Die Winterarbeit in den nahen
Bruchwäldern brachte bar Geld in das Haus.
Piplin an dem zum Nemonienstrom gehenden kanalisierten Timber ist einer der
vielen Seehäfen des Moosbruchs. Aus dem kleinen Bach, der uns den Weg
entlang begleitet, wird dort auf einmal eintiefer, von Seedampfern
befahrener Strom. Das ist typisch für Litauen. Halb sind es Ströme, halb
Auskolkungen des Haffs mit enormen Wasserflächen. Mächtige, unabsehbare
Stapel Wellholz für die Papierfabrikation, das Hauptausfuhrprodukt der
umgebenden Wälder, harren der Verladung. Vor uns liegt das Große Moorbruch.
Eine sich endlos dehnende Wiesenfläche, durch die in mäandrischen Windungen
der Fluß dahinschleicht wird von schwarz-grünen Wäldern reglos umschlossen.
Am fernen Horizont, da wo als feine Spitze der zierliche Kirchturm von Alt
Sussemilken(Abb.150) über die blaue Waldwand ragt und wo eine graue
Rauchsäule bewohnte Stätte verrät, liegt unser Wanderziel. Die harmlos
erscheinenden Moorwiesen längs des Flusses sind nicht zu begehen. Auf weiten
Umwegen müssen wir auf den umgebenden Bruchwald. Dort führen uns schmale
Jägersteige sicher aber feucht durch die lichtlose Waldwildnis. Bis zu 20 m
und höher recken sich da die Schwarzerlen aus blauschwarzem Morast. An
höheren Stellen gesellen sich ihnen Fichten, Kiefern, Pappeln, Birken,
Eichen und Haselnuß zu. Die Moose am Boden fehlen ganz, die Vegetation des
Waldbodens ist infolge Lichtmangels recht kümmerlich. An offenen, an breiten
Gräben und an den trüben verwachsenen Kolken entwickelt sich dagegen eine
überaus üppige Pflanzenwelt. Rohrhalme, Riedgräser, Schwanenblumen,
Pfeilkraut und Calla, Ziest und Ampfer gedeihen da in buntem Verein.
Ein Spaziergang in so einem Bruchwald ist so recht niemand anzuraten.
Waldein zu schweifen ohne Weg und Ziel ist ganz unmöglich. Sumpfige Lachen
und breite Gräben setzen diesem Beginnen nur zu bald ein Ziel.
Mit Freuden begrüßt man drum die ersten litauischen Häuser. So eine
ostpreußische Moorkolonie sieht doch ganz wesentlich anders aus, als unsere
westdeutschen Moordörfer. Nur vom Wasser aus waren ehedem die einzelnen Höfe
zu erreichen. Wege gab es bis in die Neuzeit hinein wenige. Darum liegen die
Moorhöfe nicht so wie an eine Perlenschnur gereiht wie im Westen. Im
Zickzack, je nachdem das Überschwemmungsgebiet des Stromes sich weitet oder
verengert liegen unübersichtlich die Gütchen. Auch sind hier die Stellen
viel, viel kleiner. Die Waldarbeit soll als zwingende Notwendigkeit für
viele bleiben. Eigenartig sind die Häuser und die Gehöfte, so ganz
verschieden von niedersächsischen und friesischen Typus(Abb. 149, 151, 152,
153).
Wohnhaus, Ställe und Schuppen stehen als kleine Gebäude regellos umher. Kein
Gedanken an die imponierende Wirkung des mächtigen Niedersachsenhauses oder
des friesischen Haubergs. Typisch für die Gehöfte und Moorwiesen davor sind
auch die vielen, großen Heu-und Streuhaufen auf hölzernem Unterbau(Abb. 152
u. 154). Erst wenn im Winter der Frost die sumpfigen Wiesen begehbar macht,
wird das Futter ans Haus herangeholt. Anderseits begegnet man aber in diesen
östlichen Kolonien auch Zügen, die an den Westen erinnern. Auch hier säumen
weiße Birken die Moorwege(Abb. 155),die trübe Einsameit durch ihre Farben
belebend,
„als wär daran aus heller Nacht
Ein Mondlicht blieben hangen.“

Auch hier tragen die Leute bei ihrer Arbeit im Moor große klappernde
Holzschuhe, die unseren recht ähnlich an Form und Umfang sind.
Auf einem der breiten Gräben, die sich allenthalben vom Nemonien in das Moor
hieneinziehen, liegt ein seltsam Gebäude. Ein Schiff ist es , aber beileide
kein „glückhaft Schiff“. Als Gefängnis dient es und den befremdenden Namen
„die Hoffnung“ führt es (Abb. 156). Die Fenster sind dicht vergittert. Also
auch in diesen Mooren arbeiten Strafgefangene jahraus, jahrein an der
Beseitigung des Ödlandes.
Lange schauen wir dann dem Ortsvorsteher der benachbarten, jüngeren Kolonie
Franzrode zu, wie er mit geschickten Händen ein Moorboot zimmert.(Abb. 157).
Gut lässt es sich mit dem klugen Manne plaudern über alles , was wir gesehen
haben, was wir noch sehen wollen und was uns sonst interessiert. Litauisch
kann er nicht mehr. Diese Sprache ist in starkem Rückgange begriffen. Auf
das Hören von Dainos, eigentümlichen, schwermütigen, litauischen Liedern
mussten wir also leider verzichten. Die Litauer sind gesprächig. Jedenfalls
sind sie viel höflicher und mitteilsamer als unsere niedersächsischen
Bauern, dieses Herrenvolk im Drillichgewand. Trotz guter Straßen ist auch
heute noch der Wasserweg n diesen Kolonien der beliebteste. Kahn auf Kahn,
hoch mit duftendem Heu beladen, kommt in frischem Winde dahergesegelt. Die
Wiesen längs des Stromes sind für die Kolonisten sehr wertvoll. Hie und da
kommt es vor, dass bei gr0ßen Überschwemmungen das Flußwasser unter das Moor
dringt – ganz wie im schwimmenden Lande zu Waakhusen bei Worpswede – und
dass ganze Stücke der Moorwiesen mit der Strömung davonziehen wollen. In
aller Eile eingerammte Pfähle und dicke Taue halten dann den gefährdeten
Besitz(Abb. 158).
Auf bequemer Fähre setzen wir über den breiten Nemonienstrom und dringen
jenseits des Flußwiesengürtels in Hochmoorgebiete ein, die zum Teil erst
ganz neuerdings der Besiedlung erschlossen worden sind. Durch die tiefen
Kanäle ist das Hochmoor stark entwässert worden und in sich
zusammengesunken. Allenthalben auf diesem anbaufähigen Boden entstehen
kleine Kolonate. Un nach dem Umfange des Schulbaues in der im Entstehen
begriffenen Gemeinde Elchthal zu urteilen, rechnet man in den nächsten
Jahren mit einem starken Zuzug neuer Ansiedler. Überall im düsteren
Hochmoor, selbst weit entfernt von Kanälen und Wegen, sieht man neue,
grellrote Ziegeldächer leuchten. Einen traurigen Eindruck machen die vielen
Baumkrüppel auf dem trockengelegten Hochmoor. Die meißten sind verdurstet,
verdorrt. Andere siechen sichtlich dahin. Auch deren Tage sind gezählt. Über
kurz oder lang kommt ein Neubauer mit scharfem Beil und beseitigt sie wie
lästiges Unkraut. An die Stelle der armseligen Kiefernstubben treten dann
nach wenigen Jahren harter Kulturarbeit goldschimmernde Getreidefelder und
grüne frische Viehweiden.
Ein drittes ostpreußisches Moor, das Augustumalmoor bei Heidekrug, mit
seinem riesengrßen Strome, dem Atmath, ist ebenfalls höchst sehenswert. Eine
Beschreibung dieses Gebietes, das Professor Weber in seinem bemerkenswerten
Buche geschildert hat, erübrigt sich.