Ostpreußenblatt Februar 1955, Folge 08, Teil 1

Folge 08 vom 19.02.1955

Seite 1 Unauslöschliches Gedenken
Nach dem Ersten Weltkrieg haben viele unserer ehemaligen Frontkämpfer – darunter nicht wenige unserer Landsleute – die Gelegenheit wahrgenommen, auf einer der Kriegsgräberfehrten nicht nur dich Schlachtfelder unserer Heimat, sondern auch das damals wohl gewaltigste Gräberfeld rings um die jahrelang so heißumkämpfte Feste Verdun zu besuchen. Fast jeder von ihnen besuchte dabei das berühmte Beinhaus beim Fort Douamont, das inmitten von vielen hunderttausend Gräbern liegt. Die Mutter eines der dort beigesetzten Soldaten hatte für dieses Beinhaus ein Standbild gestiftet; die Gestalt einer Mutter, die mahnend den Finger zum Munde erhebt. Nur ein Wort stand unter diesem erschütternden Bildwerk: Schweigen.
Es hat wohl niemanden gegeben, der auch in jenen Tagen nicht den tiefen Sinn dieser Mahnung begriffen und beherzigt hat. Wo Hunderttausende ihr Leben für ihr Vaterland dahingaben, jeder Einzelne einer Mutter lieber Sohn, einer Gattin Stolz und Halt, eines Kindes unersetzlicher Vater, da ersterben einem die Worte auf den Lippen. Nach allem, was wir dann später im Zweiten Weltkrieg und vor allem auch nach seinem Ende erfuhren, wissen wir, dass es ein äußerstes Maß an abgründigem Schmerz, an Verzweiflung und an Heimsuchung gibt, das unzählige Menschen völlig stumm macht, obwohl es sie im Innern aufwühlt und fast zerreisst. Da ist denn bei vielen auch jene Grenze schon überschritten worden, wo noch lindernde Trnen geweint werden, wo einer dem anderen das Herz ausschüttet. Was jene Mutter und Stifterin in Douaumont erfahren hatte, was sie ausdrücken wollte, das haben vor zehn Jahren wohl die meisten Ostpreußen und Ostpreußinnen selbst durchlebt und erkannt. „Vom Letzten sollst du schweigen“, lautet ein altes Wort, dessen Sinn uns heute doppelt klar geworden ist.

Es gibt wohl keinen unter uns, den in diesen Wochen nicht bis in den Schlaf die Erinnerungen und Bilder an den Januar und Februar 1945, an die Tage des ostpreußischen Golgatha verfolgen. Wenn wir die Augen schließen, dann ist es vielen, als hörten sie noch einmal den Donner der Geschütze, das Rasseln der Panzer, das Knarren der Wagenräder in endlosen Trecks, den Schrei der letzten menschlichen Not. Bilder vom Untergang Königsberg, von brennenden Heimatdörfern, vom grimmigen Schneetreiben auf dem Haff stehen uns vor Augen. Irgendein Freund sagt plötzlich zornig: „Ich will davon nichts mehr wissen, nichts mehr hören und sehen“ , und wir verstehen ihn wohl, aber wir wissen auch, dass die Erinnerung mächtiger ist als die Abwehr des Einzelnen.

614000 Ostpreußen und Ostpreußinnen – Männer, Frauen, Greise und Kinder im zartesten Alter – sind, wie uns die „Dokumentation der Vertreibung“ auf Grund genauester Unterlagen mitteilt, Opfer jenes Furchtbarsten geworden, das unsere Heimat, unser Vaterland je heimgesucht hat. Nicht einbegriffen sind dabei die Verwundeten, die Gequälten, die Misshandelten und Entehrten, die zwar damals noch das nackte Leben retteten, die aber später dann doch dem erlagen, was ihnen der Krieg und eine entmenschte Soldateska antat. Es gibt unzählige Kriege und Feldzüge, die als überaus blutig und schwer galten und die doch noch nicht ein Zehntel dieser Opfer forderten! Weit über sechshunderttausend gesunde Existenzen, über sechhunderttausend gesunde, tapfere und tüchtige Brüder und Schwestern wurden ausgelöscht. „Mir ist es bitter leid um dich, mein Bruder Jonathan“, hat einst der König und Psalmist David einem einzigen nachgerufen. Um wie viel gute und geliebte Menschen aber haben wir zu trauern!
Die Frage ist oft gestellt worden, wie wohl andere Völker, denen Ähnliches geschehen wäre wie den Ostpreußen und den Ostdeutschen im Schreckensjahr 1945, ihr Schicksal nach so schändlichem Tun ihrer Kriegsgegner, nach soviel Gewalt, Untat und Greuel tragen würden. Die Geschichte weist viele Fälle aus, wo der Ruf nach Rache und Vergeltung selbst dann unablässig bei gekränkten Völkern erscholl, wenn ihnen weit weniger zugefügt war als uns. Dass Ausgetriebene und Entrechtete schon wenige Jahre nach der Katastrophe einmütig bekundeten, sie wollten nicht Rachekrieg, sondern gesunden Frieden, sie wollten lediglich die Wiederherstellung des göttlichen und menschlichen Rechtes auf Heimat, ist historisch bisher kaum da gewesen. Ein Jahrzehnt nach dem Entsetzlichen haben sich die Heimatforscher, die Väter, Mütter, Töchter und Söhne der Gemordeten nicht in eine Armee der Rache, sondern in die zuverlässigsten und unbeirrbarsten Vorkämpfer eines echten Weltfriedens und eines vertrauensvollen Zusammenarbeitens mit allen Gutgesinnten verwandelt. Hätte man ihnen heute bereits den Heimweg in ihr Geburtsland geöffnet, so wäre dort über den Gräbern unserer Toten jedermann an einem Aufbau tätig, der vorbildlich für die ganze Welt sein könnte. Und dies ist denn doch wohl das wahrhaft Tröstliche und Erhebende in unserem Schmerz, dass uns das unauslöschliche Gedenken an unsere lieben Toten nicht zum Verzagen und zur Vergeltung, sondern zu großem und wirklich geschichtlichem Handeln antreibt. Wir wissen zu jeder Stunde die Augen unserer Teuren, die von uns gerissen wurden, auf uns gerichtet, und wir wissen, dass sie ja niemanden hassten und niemanden über wollten in ihrem stillen Leben. Wir wissen, dass wir alle selbst nur um Haaresbreite dem Tod und dem Verderben entronnen sind. Was unsere Treuen traf, hätte jeden von uns genau so treffen können. Wir wurden gerettet und bewahrt, und manche nennen das, einen glücklichen Zufall. Die Fälle sind nicht selten, wo vor allem die Alten und Betagten unter den Erretteten mit Gott haderten, dass soviel hoffnungsvolle Jugend dahinsinken musste und sie doch wenigstens das nackte Leben retteten. „Gott hat geschwiegen“, ist oft in fast anklagendem Ton gesagt worden. Aber hat nicht jeder von uns Jahr zu Jahr mehr erfahren, dass Gott im Regiment ist, dass seine Wege und seine Prüfungen zwar unerforschlich, aber doch trotz des Grauens, das wir erlebten, wunderbar und unbeirrbar sind? Er hat seine Vaterhand nicht von uns abgezogen, und er hat auch unsere Brüder und Schwestern, denen vertierte Menschen das Schlimmste zufügten, verklärt und an sein Herz genommen. Die stellvertretend auch für uns starben, sie sind doch nicht tot, sie leben im Lichte und sind uns nahegebliegn ein volles Jahrzehnt und werden von uns nie vergessen werden.
Wir aber wissen heute und werden auch in Zukunft immer daran denken, die mit ihrem Blut als Märtyrer der Heimat den Boden unseres unverlierbaren Ostpreußen heiligten, sie können nicht besser geehrt werden als durch unser Werk. Wir haben auszuführen und zu vollenden, wo sie begonnen haben. Nicht mit vielen Worten, wohl aber mit der Tat wollen wir beweisen, dass wir ihrer würdig sind zu jeder Stunde. Dass aber dazu Gottes Segen nicht fehlen wird, dessen sind wir sicher. Nicht marklos soll unsere echte Trauer um jene sein, sondern so, wie sie Christus und die Apostel von uns fordern; eine Kraft, die uns stärkt, mahnt und läutert.
(Bild: Die Aufnahme auf dieser Seite: Die Todesstraße auf dem Frischen Haff)

Seite 1 Die Rettung über See.
2,2 Millionen Menschen brachten Handels- und Kriegsmarine 1945 aus dem deutschen Osten in Sicherheit. Von Herbert G. Marzian, Göttingen
Wenn in diesen Wochen die Gedanken immer wieder zu den Geschehnissen vor zehn Jahren in den deutschen Ostgebieten zurückwandern, dann kommt auch das große Hilfswerk in Erinnerung, in welchem Matrosen der Handels- und Kriegsmarine in tapferem und unermüdlichem Einsatz etwa 2,2 Millionen Menschen – Zivilbevölkerung und Soldaten – das Leben retteten. Während es sich bei den Transporten aus den baltischen Häfen um Teile der dort abgeschnittenen Truppen handektem wurden in Pillau, den Häfen der Danziger Bucht und der ostpommerschen Küste vorwiegend die sich dort stauenden Flüchtlinge aufgenommen und nach westlichen Ostseehäfen der deutschen Küste oder Dänemarks gebracht. Die beteiligten Einheiten der Kriegsmarine – meist Zerstörer, Torpedoboote, Minensuchboote, Prähme usw. – nahmen Zivilbevölkerung an Bord und brachten diese in kürzeren Fahrtenwenigstens in noch sichere Häfen. In ständigem Pendelverkehr fuhren Schiffe aller Größenklassen der Handelsmarine zwischen Ost und West, unter ihnen Dampfer so bekannter Reedereien wie Norddeutscher Lloyd aus Bremen, Hapag aus Hamburg, aber natürlich auch vieler anderer Reedereien aus Bremen, Hamburg, Kiel, Rostock, Wismar, Stettin und Königsberg. Die Verschiffungen mussten häufig bei Fliegerangriffen und auch Artilleriebeschuss durchgeführt werden.
Allein über den Hafen Pillau wurden in der Zeit vom 25. Januar bis Ende April – am 25. April fiel der Hafen in sowjetische Hand – etwa 451 000 Menschen gerettet. Dabei mussten die Seetransporte etwa drei Wochen im Monat März eingestellt werden, da die verfügbare Tonnage in den Danziger Häfen, die vom Feinde bedrohter waren, benötigt wurde. Außerdem setzte die Marine mit Prähmen von Pillau nach Neutief über der Frischen Nehrung im gleichen Zeitraum noch 180 000 bis 200 000 Menschen über, welche dann die schmale Nehrung bis in den Danziger Raum hinunterzogen, von wo sie den bis Anfang März passierbaren Lndweg nach Westen benutzten oder mit einem Schiff abtransportiert werden konnten. Viele von ihnen wurden aber in Ostpommern von den vorbrechenden sowjetischen Panzerspitzen überrollt oder abgeschnitten, woraufhin eine teilweise Rückwanderung in den noch freien Danziger Raum einsetzte.
Hier in Danzig, Gdingen, der Weichselmündung und auf Hela, befand sich in den Märzwochen knapp eine halbe Million Menschen. Täglich legten Schiffe ab, aber immer neue Flüchtlingsströme kamen hinzu. Von Ende Januar bis Ende April wurden 900 000 Menschen über See abtransportiert (in dieser Zahl sind die Abtransporte aus ostpommerschen Häfen, welche aber nur einen kleineren Prozentsatz ausmachten, einbegriffen). Als am 22. März die Lndverbindung zwischen Danzig und Gdingen durch einen sowjetischen Vorstoß abgeschnitten war, konnte unter dem Artillerieschutz des schweren Kreuzers „Prinz Eugen“ das Rettungswerk aus Gdingen noch einige Tage lang fortgesetzt werden.
Nach dem Fall von Danzig und Gdingen Ende März blieb bis zur Kapitulation noch die Halbinsel Hela letzter Verladepunkt für Flüchtlingstransporte. Von Oxhöft bei Gdingen, von Schiewenhorst an der Weichselmündung, aber auch aus Kahlberg und Pillau trafen unablässig Kähne und Prähme mit Flüchtlingen ein: Im März waren es über 100 000, im April stieg der Abtransport auf 265 000 Menschen. Trotz schwerer Luftangriffe und auch Artilleriebeschuss wurden allein im April 387 000 Menschen abtransportiert. Am 6. Mai verließen die letzten Schiffe mit über 40 000 Soldaten und Flüchtlingen Hela. Am Tage der Kapitulation befanden sich noch 60 000 Menschen – vorwiegend Soldaten – auf der Halbinsel.

Unter den ostpommerschen Häfen sei noch das historische Kolberg genannt, in dem sich am 7. März, als die Stadt beiderseits eingeschlossen wurde, als die Stadt beiderseits eingeschlossen wurde, noch etwa 80 000 Menschen befanden. Der hartnäckige Widerstand der Besatzung ermöglichte es, dass bis zum Fall der Stadt am 18. März insgesamt 70 000 Menschen über See abtransportiert werden konnten.

Aber diese große Transportaktion musste mit schweren Verlusten an Menschen und Schiffen bezahlt werden. Der Name „Wilhelm Gustloff“ ist ein Symbol geworden für den erbarmungslosen Kampf der gegen diese Schiffe mit U-Booten und aus der Luft geführt wurde. Insgesamt gingen 73 Schiffe mit 330 269 BRT verloren. Die Zahl der dabei ums Leben gekommenen Flüchtlinge lässt sich nicht mehr angeben. Allein bei dem Untergang der vor Stopmünde am 30. Januar 1945 von einem sowjetischen U-Boot torpedierten „Wilhelm Gustloff“ waren es über 5000 Menschen. Der Lloyd-Dampfer „Steuben“ nahm am 10. Februar 1945 fast an derselben Stelle etwa 3000 Menschen in die Tiefe, und das Motorschiff „Goya“ riss am 16. April 1945 – ebenfalls vor Stolpmünde torpediert – fast 7000 Menschen in den Wassertod. So waren es vor Stolpmünde drei Schiffe mit 47 144 BRT, in der Danziger Bucht 21 Schiffe mit 48 555 BRT. Allein in der ersten Maiwoche, als die Kapitulation sich schon abzeichnete und sogar teilweise bereits eingeleitet war, wurden in der Kieler Bucht, im Fehmarn-Sund und dem Großen Belt noch weitere 16 Schiffe mit 80 134 BRT durch alliierte Luftangriffe versenkt, unter ihnen auch Schiffe, welche KZ-Häftlinge nach Westen transportierten. Noch nach der Kapitulation versenkte ein sowjetisches Flugzeug die „Lieselotte Friedrich“ am 9. Mai 1^945 vor Bornholm, die mit Flüchtlingen überladen war.

Im Inferno der letzten Kriegswochen haben so zielbewusst und pflichttreu handelnde Matrosen und Offiziere Millionen Menschen das Leben gerettet. Wie wir heute wissen, hatte der in der ersten Maiwoche durchgeführte Versuch des Großadmiral Dönitz, vorerst nur Teilkapitulationen der militärischen Verbände gegenüber dem wesentlichen Gegner zu erreichen, vor allem das Ziel, Zeit zu gewinnen, damit so viele Flüchtlinge aus dem Osten wie möglich zu Lande oder über See die dem deutschen Oberkommando bekannte zukünftige Demarkationslinie zwischen der sowjetischen und den westlichen Zonen überschreiten könnten. In seiner Rundfunkansprache am 1. Mai sagte der Großadmiral: „Meine erste Aufgabe ist es, deutsche Menschen vor der Vernichtung durch den vordrängenden bolschewistischen Feind zu retten.“ Und der m 7. Mai an alle Befehlshaber abgesetzte Funkspruch, welcher die Benachrichtigung von der Gesamtkapitulation enthielt, wies in seinem letzten Absatz die Befehlshaber in Kurland und Ostpreußen an, bis zum Eintritt der Waffenruhe alle Möglichkeiten zum Abtransport über See unter äußerster Anspannung aller Kräfte auszunutzen. Durch diese Maßnahmen konnten – nach Schätzungen – noch in der ersten Maiwoche etwa 2,5 Millionen der Zivilbevölkerung und mehr als 400 000 Soldaten westliche Linien erreichen.

Seite 2 Erst Königsberg – dann Dresden
Im August 1954 war ein Jahrzehnt vergangen seit jenem schauerlichen Tagen, da allierte Bombergeschwader in laufenden Angriffen Preußens schöne und altehrwürdige Residenzstadt Königsberg in eine Steinwüste verwandelten. Tausende und Abertausende von Menschen, die uns besonders lieb und teuer waren, kamen dabei ums Leben. Herrliche historische Bauwerke fielen in Schutt und Trümmer, und vorbildliche Wohnviertel wurden „ausradiert“, wie die grausigste Vokabel jenes totalen Luftkrieges lautete. Schon vorher und fast an Jedem Kriegstag drauf läutete einer unser wunderbaren deutschen Städte die Sterbeglocke. Berlin, Hamburg, Köln, München, Danzig, Bremen, Lübeck, Kiel, die Ruhrstädte und die Metropolen Süd- und Mitteldeutschlands, - keine blieb verschont. So manche von ihnen sah am Kriegsende doch siebzig, achtzig und mehr Prozent aller Gebäude zerstört, verbrannt und ausgelöscht. Goethes Geburtshaus blieb so wenig verschont wie der Kranz unvergänglicher Kirchen in Deutschland, wie die Schulen und wie die vielen Krankenhäuser. Die letzte entsetzliche Steigerung dieses Totentanzes war Mitte Februar 1945 – vor zehn Jahren – Dresden.

Niemand kann die Zahl der Menschen, die hier durch pausenlose Bombardements von neuntausen Bombern umgebracht wurden, nennen. Wir wissen nur, dass es zwischen 100 000 und 200 000, vielleicht sogar noch mehr gewesen sind, darunter unzählige Vertriebene aus dem deutschen Osten, die hier auf der Flucht nach dem Westen Station gemacht hatten. Aus den Phosphor- und Feuerstürmen in dieser vielleicht anmutigsten deutschen Großstadt gab es für sie kein Entrinnen mehr. Erbarmungslos setzten die alliierten Flieger auch auf die Wiesen am Elbstrom, über die sich zehntausende von menschen aus der brennenden engen Innenstadt retten wollten, Bombe neben Bombe. Es gab keine Deckung auf dem freien Feld. Mit Bordwaffen wurden reihenweise Frauen und Kinder niedergeschossen, die im Großen Garten Schutz gesucht hatten. Der Luftangriff auf Dresden war einer der Tiefpunkte grausamster Kriegsführung.

Einer der größten deutschen Dichter unserer Zeit, der Schlesier Gerhart Hauptmann, hat diese Schreckenstage als alter, schwerkranker Mann miterlebt und die erschütternde Klage über den Untergang Dresdens angestimmt. Briten und Amerikaner hatten die Bomber geschickt, aber die Sowjets hatten sie bestellt, und sie verliehen dem Chef dieser Vernichtungsgeschwader ihren höchsten Militärorden. Im Zweiten Weltkrieg sind ganz gewiss unzählige schwere Verbrechen begangen worden auf allen Seiten. Dass der militärisch übrigens völlig sinnlose Vernichtungsflug gegen Dresden aber zu den furchtbarsten gehört, das wird heute offenkundig auch bei den einstigen Alliierten wohl empfunden. Moskau versucht alle Schuld denen zuzuschreiben, die damals die Bomber entsandten. Dort wiederum erinnert man an Stalins dringendes Ersuchen um ein Terrorbombardement. Die Heimatvertriebenen haben immer wieder betont, dass die Zukunft nicht im Geiste der ewigen Rache und Vergeltung gebaut werden kann, obwohl wir manchen Anlass zu bittersten, begründetsten Anklagen haben. Wir wissen, dass noch ein höchster Richter über uns lebt, vor dem sich jeder dereinst zu verantworten hat für Unmenschlichkeit und Verbrechen. Bei ihm gibt es – anders als in Nürnberg – nicht ein unterschiedliches Recht für „Sieger“ und „Besiegte“, gibt es keine Finten und Ausflüchte.

Keiner von uns möchte in der Haut derer stecken, die sich ewig enklagen müssen, aus Trotz, Übermut und Verblendung die Verantwortung für solche Scheußlichkeiten, für soviel unendliches Leid übernommen zu haben. Keiner von uns empfindet aber auch anderes als Verachtung und Abscheu für jene „deutschen“ Helfershelfer des Kreml, die den ernsten Gedenktag von Dresden dazu nützen möchten, die ungeheure Mitschuld der Sojets an diesen Schändlichkeiten fortzuwischen. Auch die Pieck, Grotewohl und Ulbricht werden es erfahren, dass Gott seiner nicht spotten lässt.

Seite 4 Der Kampf in Ostpreußen. Von General a. D. Dr. Walther Grosse
Der erste Teil dieser Darstellung der Kämpfe in Ostpreußen vor zehn Jahren begann in unserer vorigen Folge mit der Schilderung des kräfteverhältnisses und der Frontlage im Anfang Oktober 1944. Er endete mit einem Hinweis auf die Ardennen-Offensive am Schluss des Jahres, für die trotz der Bedrohung unserer Heimat unt trotz der warnenden Voraussagen des damaligen Generalstabschels Guderian noch erhebliche Kräfte von der Ostfront abgezogen wurden.
1. Fortsetzung
Was jeder Denkende, vor allem jeder Soldat aorausgesehen hatte, trat Mitte Januar 1945 ein – kein Wunder geschah und der Erfolg war nur zu sichtbar bei den stärksten Bataillonen.
Auf einer Frontbreite von 700 Kilometern setzte sich die gewaltige, mit dem hochwertigen technischen Material ihrer Verbündeten ausgerüstete russische Heeresmacht in Bewegung. Ihr Hauptziel war Berlin, aber gleichzeitig sollte Ostpreußen abgeschnürt werden, damit von dort aus jeder Flankenstoß über die Weichsel verhindert würde. Fünfzig neuaufgestellte Schützendivisionen, mehrere Panzerkops und eine ganze Anzahl selbständiger Panzerverbände traten vom 13. Januar ab gegen die deutsche Ostfront an. Es war dies wohl die stärkste russische Massierung seit Kriegsbeginn.

Bei dem Stoß, der Ostpreußen traf, zeichneten sich zwei Hauptrichtungen ab; beiderseits und nördlich des Pregels auf Königsberg und gegen Südostpreußen in breiter Front auf Allenstein-Graudenz mit dem weiteren Ziel Elbing. Die Angriffe stießen damit zunächst auf die beiden Flügel der Heeresgrußße, auf die 3. Panzerarmee des Generaloberst Raus zwischen Gumbinnen und der Memel und im Süden gegen die 2. Armee des Generaloberst Weiss im Narewgebiet. Der Generaloberst war ebenso wie sein späterer Nachfolger von Saucken ein gebürtiger Ostpreuße, um so mehr lag ihm das Schicksal seiner Heimat am Herzen.

Die 2. Armee, die in diesen mehr als kritischen Tagen noch zwei bestens bewährte Panzer-Divisionen nach Lodz abgeben musste, wurde durch die erdrückende Übermacht sehr stark angeschlagen; sie war gezwungen, sich in nordwestlicher Richtung auf die Weichsel zurückzuziehen.

Die 3. Panzerarmee wurde in ihrer Mitte beiderseits Schloßberg (Pillkallen) durchbrochen, sie setzte sich, gleichfalls hart mitgenommen, hinter die Inster ab. Später ging sie hinter die Deime zurück und damit fiel ihr die Aufgabe der Verteidigung Königsberg zu. Alle diese Bewegungen bedeuteten keineswegs ein regelloses Zurückfluten, sondern waren Tag und Nacht mit schweren Abwehrkämpfen verbunden. Sie gingen vor sich unter schwierigsten örtlichen Verhältnissen, in ungewöhnlicher Kälte. Schneestürmen und auf vereisten Straßen, die oft genug noch versperrt waren von Flüchtlingstrecks. Viel zu spät hatte die Nationalsozialistische Partei die Räumungsbefehle gegeben, Überstürzungen, Unordnung, Überrollen durch russische Panzer und Elend ohne Ende waren jetzt die Folge. Wie ein schnelles Unwetter jagte die Katastrophe über das unglückliche Land.

Der kühne Entschluss Hoßbachs
Überall war aber doch noch nicht alles „wie ein Kartenhaus“ zusammengestürzt. Noch war in der Mitte der ostpreußischen Front die zwischen Lomsha und Goldap stehende 4. Armee des Generals Hoßbach nur an einzelne Stellen angegriffen worden. Wahrscheinlich hoffte der Russe sie einkesseln zu können, denn je weiter sein Angriff rechts und links von ihr fortschritt, desto exponierter und gefährdeter musste ihre Lage werden. Dieser Gefahr konnte Hoßbach nur begegnen, wenn er auf die Seenstellung beiderseits Lötzen zurückging. Mit dieser Verkürzung konnten dann wohl auch Kräfte freigemacht werden zur Unterstützung der 2. Armee und zum Schutze Elbings. Aber trotz aller dringenden Vorstellungen bei Hitler erhielt die Heeresgruppe Mitte viel zu spät, nämlich erst nach drei Tagen am 21. Januar, die Genehmigung, die 4. Armee in die Seenstellung und an den Masurischen Kanal zurückzunehmen. Durch des raschen russischen Vormarsches jagten die Ereignisse damals in Windeseile, und so kam es, dass es nach Hoßbach durchaus richtiger Beurteilung der Lage auch für diese Maßnahme jetzt bereits zu spät war; denn erneut bestand nun wiederum die Gefahr der Einkesselung durch die inzwischen weiter vorgedrungenen Russen.

Immer deutlicher wurde es, dass Ostpreußen nicht mehr lange zu halten war. Das einzige was man als Soldat noch tun konnte, war den Hunderttausenden von Flüchtlingen zu helfen und sie vor einem Nemmersdorfer Schicksal zu bewahren. Der selbständig gefasste kühne Entschluss den Hoßbach am Mittag des 22. Januar im Gutshaus von Borken (zwischen Treuburg und Lötzen), den Führern seiner Armeekorps bekanntgab, bestand darin, die Armee kehrt machen zu lassen und sie unter Einsatz von Flankendeckung und Nachhuten am Masurischen Kanal möglichst schnell nach Westen zu werfen. Die Verbindung mit der 2. Armee und dem Reich konnte so vielleicht noch hergestellt werden, und gleichzeitig wurde damit für die Flüchtlinge eine Sicherung geschaffen, in deren Schutz sie über die Weichsel und weiter westwärts gelangen konnten.

Nie und nimmer wäre dieser völlig selbständig gefasste Entschluss von der Obersten Heeresleitung gebilligt worden, zumal er gleichzeitig die Aufgabe der Festung Lötzen bedeutete, über deren Kampfwert man sich in Berlin reichlich übertriebene Vorstellungen machte. Leider verbietet uns der Raum ein näheres Eingehen auf die Einzelheiten, es mag nur gesagt sein, dass Hoßbach seinen Entschluss mit teilweiser Zustimmung der Heeresgruppe sofort durchzuführen begann. Noch einmal kam es zu einer der letzten großen Leistungen deutschen Soldatentums. In fünf Tagen legte die Truppe in Gewaltmärschen 200 bis 250 Kilometer bis in den Raum von Guttstadt zurück. Als die überraschten Russen den Durchbruchsangriff merkten, entspannen sich härteste Kämpfe; oft genug mit der blanken Waffe. Erfolgreich ging der Vorstoß weiter bis Pr.-Holland und Liebstadt, die Verbindung mit Elbing wurde aufgenommen, an die 200 feindliche Panzer wurden vernichtet und ebenso viele Geschütze erobert.

Im Kessel von Heiligenbeil
Inzwischen hatte Hitler den selbständigen Abmarsch der 4. Armee und die Aufgabe Lötzens erfahren. Der übliche Zornesausbruch war die Folge, er witterte wie so oft natürlich gleich wieder Verrat. Generaloberst Reinhardt, der Heeresgruppe, wurde sofort abgelöst; Hoßbach, dessen letzte Absichten in Berlin noch einige Tage verborgen blieben, wurde am 31. Januar seines Postens enthoben. Zwei hochbefähigte und vor allem verantwortungsbewusste Truppenführer fielen damit für die Verteidigung Ostpreußens aus. Die tapfere 4. Armee hatte ihre aussichtsreichen Angriffe sofort einzustellen und sich dort zu verteidigen, wo sie gerade stand. Damit war ihr Schicksal besiegelt, ihr war es bestimmt, im Heiligenbeiler Kessel restlos zu verbluten.

Gauleiter Koch aber sandte wieder einmal einen jener gehässigen Funksprüche nach Berlin, die Hitler immer noch mehr bestärkten in seinem verhängnisvollen Misstrauen gegen alle, die von der Kriegsführung wesentlich mehr verstanden als er, vor allem also gegen die Generale und den Generalstab. Er meldete: „4. Armee, auf Flucht ins Reich, versucht feige sich nach dem Westen durchzuschlagen. Ich verteidige Ostpreußen mit dem Volkssturm weiter.“
In all den Wirrnissen dieser Tage hatte Hitler noch Zeit gefunden, sich bei der Heeresgruppe wiederholt durch persönlichen Anruf nach der befohlenen Zerstörung des Tannenbergdenkmals zu erkundigen. Man hatte aber in Ostpreußen weder Kräfte noch Zeit noch die großen Mengen Sprengstoff zur Verfügung, um das ungewöhnlich feste Klinkerbauwerk völlig niederzulegen. Nur Teile konnten zerstört werden.
Es war nun Ende Januar geworden. Die Landverbindung zum Reich war durch das Vordringen der Russen zwischen Weichsel und Oder zerstört, der einzige Nachschubweg Ostpreußens ging zur See über Pillau. Immer mehr glich die Lage der Truppen einem verlorenen Posten, es ging nur noch um Zeitgewinn für die eingekesselten Flüchtlingsmassen, die nun unter dem Feuer der russischen Bordwaffen den Leidensweg über Haff und Nehrung einschlagen mussten.
Und die Truppe hielt durch in aussichtslosen Kämpfen bis zum bitteren Ende. Die 2. Armee hatte den Anschluss an die benachbarte 4. Armee verloren. Sie musste Elbing aufgeben und auch ihr Versuch, die Verbindung mit dem Reich zu gewinnen, blieb vergeblich. Ihre Weichselfront brach unter dem Druck der gewaltigen Übermacht zusammen, ihre Reste, vermischt mit Trümmern anderer Armeen, versuchten wenigstens das überfüllte Danzig und die Weichselniederung zu halten. Unter der tatkräftigen Führung des Generals von Saucken vermochten sich diese Verbände auch nach dem Falle der brennenden Stadt (30. März) zwischen Weichsel und Nogat noch bis Anfang Mai zu behaupten. Schluss folgt.