Ostpreußen-Warte, Folge 12 vom Dezember 1951, Teil 2

Seite 3 Jägerstadt Ortelsburg
Foto: Blick vom Turm des neuen Rathauses auf Stadt und Land Ortelsburg
Foto: Das neue Rathaus von Ortelsburg (aufgenommen einen Tag vor der Besetzung der Stadt durch die Russen.
Foto: Die wieder aufgebaute Stadt nach dem 1. Weltkrieg
Foto: Die im ersten Weltkrieg von den Russen zerstörte Stadt
Foto: Eine dritte Aufnahme vom Marktplatz nach 1945: Unter polnischer Verwaltung
Aufn.: privat und Archiv

Ortelsburg, die Jägerstadt in Masuren, ist, wie die meisten ostpreußischen Städte, eine Gründung des deutschen Ritterordens. Ihren Namen erhielt sie nach dam Ordenskomtur von Elbing, Ortulf von Trier (1349 -1371), der gegen 1350 auf der Landenge zwischen Großem und Kleinem Haussee eine Befestigung (Ortulfsburg) errichten ließ. Nach diesem „festen Hause" haben auch die beiden Seen ihre Namen erhalten. In dem Landstrich, den wir heute Masuren nennen, fand das Christentum zwei Stämme der alten Pruszen vor: die Galinder, die mehr im Westen, und die Sudauer, die im Südosten saßen; tapfere Kriegsvölker die auch dann noch erbitterten Widerstand leisteten, als ihre anderen Nachbarn, voran die Polen, längst bekehrt waren. Der Landstrich um Orteisburg wurde auch Galinden genannt.

Viele Kriegsstürme sind im Laufe der Jahrhunderte über die Ortulfsburg hinweggebraust. Von den Galindern berannt, von Polen und Tataren verbrannt, wurde sie mehrfach wiedererrichtet und wieder zerstört. Wohl kaum eine andere Landschaft hat immer wieder das Schicksal der Grenze so völlig

durchlitten wie Masuren. Vom Norden, Osten und Süden, zeitweilig .wenn die Brücke zum Reich abgebrochen war, gar noch vom Westen her, kamen Feinde. Die Feinde wechselten - ihr Tun blieb das gleiche: Die Höfe und Ortschaften wurden geplündert und niedergebrannt, die Einwohner erschlagen, vergewaltigt oder verschleppt. Der magere Boden hat viel Blut getrunken, der Himmel, dieser hohe, blassblaue, windgefegte Himmel Masurens, hat viel Brand und Mord und Kriegsnot gesehen. Ganze Heerzüge sind für immer in den Frieden der Wälder, Moore und Seen eingegangen. Wälder und Seen, Moor und Heide beherrschten schon immer das Land und prägten sein Antlitz, aber in jenen dunklen Jahrhunderten furchtbarer Grenzkämpfe verwuchs es zur „Großen Wildnis", als welche es auch in den alten Ordenskarten bezeichnet war. Der Orden hatte damals an der Erhaltung dieses unwegsamen Gebietes sogar ein gewisses Interesse, um sich gegen die räuberischen Einfälle vom Süden her zu schützen.

Bei ihrer Lage inmitten eines wildreichen Landes, war es kein Wunder dass die Ortulfsburg bald eine Hochburg des edlen Waidwerks wurde. So schreibt Gollub in seiner Geschichte der Stadt Ortulfsburg auf Seite 12; „Wie schon die Ordensmeister und -Gebietiger und später der erste Herzog, so kam auch Georg Friedrich (1578 -1603) gern in die .ortelsburgische Wildnis", wo auch Auer, Elentiere, Bären, Wölfe, Luchse, Marder, Füchse, Wildschweine, Biber und anderes Raubgetier sowie unzähliges Rot- und Damwild zum Waidwerk lockten."

Von der einst so stolzen Ortulfsburg waren zuletzt nur noch bescheidene Reste in Form eines hufeisenförmigen, einstöckigen Gebäudes erhalten geblieben. Es enthielt bis 1945 das Kreisheimatmuseum, welches mit reichhaltigen, bis aus der Steinzeit herstammenden Altertumsschätzen ausgestaltet war. Da der Kreis Ortelsburg an vorgeschichtlichen Funden (Steinkisten und Urnengräbern) besonders reich war, konnte durch die Sammlungen ein tiefer Einblick in die Kultur unserer Vorfahren vermittelt und bewiesen werden, dass hier schon in vorgeschichtlicher Zeit nordisch-germanische Stämme Sitz und Heimat hatten. Die Gründung und der Ausbau dieses Museums, das zu den besten Ostpreußens gehörte, war in erster Linie dem Landrat des Kreises Ortelburg, Herrn von Poser, zu verdanken, der sich in über 30jähriger Dienstzeit um die kulturelle und wirtschaftliche Hebung von Kreis und Stadt, insbesondere durch die von ihm durchgeführten Meliorationen und Aufforstungen, große Verdienste erworben hat.

An weiteren kriegerischen Ereignissen, die später die Stadt Ortelsburg in Mitleidenschaft gezogen haben, sind der Durchzug der napoleonischen und russischen Heere um 1812 und die Tannenbergschlacht von 1914 zu nennen. In dieser Schlacht wurde Ortelsburg von russischer Artillerie nahezu vollständig in Trümmer geschossen. Schon damals waren viel Leid und Not über die Stadt und ihre Bürger gekommen, doch es wurde gemildert durch die Tatsachen der Rückkehr, des Wiederaufbaues und der Erhaltung der Heimat Mit dem Wiederaufbau wurde noch während des Krieges unter der Patenschaft der Städte Berlin und Wien nach modernen Gesichtspunkten begonnen. Die endgültige Durchführung war mustergültig. Als dann am 11.07.1920 die durch das Versailler Diktat auferlegte Volksabstimmung in Masuren stattfand, zeigte sich auch in Ortelsburg, wie überall in Masuren, die dankbare Treue dieser grenznahen Bevölkerung gegenüber dem Reich. Es wurden in der Stadt 5336 Stimmen für Deutschland und nur 15 Stimmen für Polen abgegeben.

Seit dem Wiederaufbau nach der Kriegszerstörung von 1914 bis zum Kriegsausbruch von 1939 und darüber hinaus war Ortelsburg in wirtschaftlicher, verkehrsmäßiger und kultureller Hinsicht in einer ständigen Aufwärtsentwicklung begriffen.

Aus der Lage der Stadt inmitten riesiger Waldgebiete ergab sich eine bedeutende Holzindustrie, darunter das größte Leistenwerk Norddeutschlands. Im Holzhandel war die astreine Masurische Edelkiefer auch unter der Bezeichnung „Ortelsburger Kiefer" weltberühmt und stets gesucht. Nicht weniger berühmt war auch das gute Ortelsburger Bier, ein Meistertrunk Masurens. Weitere Industrien waren u. a. Mühlen, Ziegeleien und ein großes Hanfaufbereitungswerk. Das schon seit dem Wiederaufbau sehr beachtliche und leistungsfähige Baugewerbe hatte über Mangel an Beschäftigung nicht zu klagen.

Wenn die vielen Neubauten, Erweiterungsbauten und sonstigen Neuanlagen der letzten Jahre, wie z. B. der Bau der neuen Kasernen, verschiedener Schulen, der Stadt- und Kreissparkasse, des Arbeitsamtes, der vielen neuen Wohnbauten und ganzer Siedlungsviertel, verschiedener Behördenhäuser, der Betonstraßen und anderen Straßenausbauten, der Fliegerwerkstatt, der Stadtwerke, des Schützenhauses, der Gewerbeschule und Jugendherberge, des Kreiskrankenhauses und des neuen Kreishauses sowie der Seeanlagen und des Waldbades bereits einzeln und in ihrer Gesamtheit erheblich zur Verschönerung des Stadtbildes und zur Hebung der Bedeutung der Kreisstadt beitrugen, so stellte doch der in den Jahren 1936/37 durchgeführte Bau des neuen Rathauses, das nach Anlage und

Gestaltung zu den schönsten Rathäusern des deutschen Ostens gehörte, unzweifelhaft die Krönung des Wiederaufbaus der schönen Stadt Ortelsburg dar.

Errichtet auf den vor über 600 Jahren von unseren Vorfahren gelegten mächtigen Fundamenten der alten Ordensburg steht es, unversehrt auch heute noch, da als ein stolzes Wahrzeichen deutscher Leistung und Kultur. Mit seinem zehngeschossigen, wuchtigen Turm grüßt es weithin über Seen und Wälder in das masurische Land wie ein Mahnmal des viel hundertjährigen deutschen Rechtsanspruchs auf diesen durch Ströme deutschen Blutes geheiligten Boden. Möge er so dereinst deutsche Menschen bei ihrer Heimkehr schon aus der Ferne grüßen.

Der günstige Eindruck, den das saubere und heitere Stadtbild Ortelsburg früher bei allen Besuchern erweckte, wurde noch erhöht und gefördert durch seinen ungemein tüchtigen Kaufmannsstand und sein gewerbefleißiges, leistungsfähiges Handwerk. Beide wurden gestärkt durch die, nicht zuletzt infolge der Meliorationen, zunehmende Kaufkraft einer aufstrebenden, überwiegend kleinbäuerlichen Landwirtschaft dieses geographisch größten Kreises Preußens, die ihren gesamten wirtschaftlichen und persönlichen
Bedarf fast ausschließlich in der Kreisstadt deckte. Der gewerbliche Aufstieg wirkte sich wiederum günstig auf das Steueraufkommen der Stadt aus.

Als Garnisonstadt des 1. Jägerbataillons Graf Yorck von Wartenburg und durch den vom Offizierskorps des Bataillons eingerichteten größten Falkenhof Deutschlands zog Ortelsburg die Aufmerksamkeit aller interessierten Waidmänner auf sich. Das Verhältnis der Stadtverwaltung und ihrer Bürger zu ihrem Bataillon und zur „Grünen Farbe" war stets ungemein herzlich.

In kultureller Hinsicht bot die Stadt mit ihren mustergültigen, modernen Schulen der Jugend Bildungsmöglichkeiten wie nur wenige Städte gleicher Größe. Außer den 3 Volksschulen gab es eine städtische Oberschule für Jungen mit Internat, das städtische Oberlyzeum und die ganz moderne städtische Gewerbeschule, ferner eine Heeresfachschule und eine private Handelsschule. Die Stadtbücherei wies überreiche Bestände an guten Büchern auf.

Ihre Bedeutung als Fremdenverkehrsstadt verdankte Ortelsburg nicht nur ihrer günstigen Verkehrslage als Knotenpunkt mehrerer Bahnlinien und guter Hauptverkehrsstraßen

Im Kranze weiter Wälder und Seen, 150 m über dem Meeresspiegel gelegen, hatte es außer einem gesunden Klima seinen Besuchern Sehenswürdigkeiten und Naturschönheiten zu bieten, die z. T. einmalig waren. Erwähnt sei der historische Boden der Tannenbergschlacht mit ihren vielen Gedenkstätten.

Dazu kamen die Naturschönheiten der näheren und weiteren Umgebung, die keinen Besucher enttäuschten. Hier seien nur genannt: der weite stille Waldpuschsee, der tiefblaue Lenksee mit Kulk, dem Hindenburgforst und der Hindenburghöhe, Johannistal mit dem Schobenfluss, der Große Schobensee und viele andere. Dazwischen und ringsum überall stille, weite, wildreiche Wälder. Ein Paradies für jeden Naturfreund, besonders aber für Jäger, Angler und Wasserwanderer.

Ein gewaltiger Besucherstrom zog alljährlich vom Tannenbergdenkmal über Ortelsburg zum Niedersee und dem dortigen, von Ortelsburg aus bewirtschafteten herrlichen Kurhaus. Vorbildlich war das Gaststättengewerbe und seine Häuser. Seine Leistungen haben nicht wenig zur Hebung des ostpreußischen Fremdenverkehrs beigetragen und werden manchen Gast noch heute in angenehmer Erinnerung sein.

In den Kämpfen Ende Januar 1945 hat auch die Stadt Ortelsburg wieder schwer gelitten. Nach tagelanger Bombardierung wüteten überall Brände in der von der Bevölkerung verlassenen Stadt und verbreiteten sich immer weiter. Von den schönen Häusern um den Marktplatz herum, stehen, mit ganz wenigen Ausnahmen, nur die ausgebrannten Außenmauern. Viel Schönes ist zerstört und untergegangen. Nicht untergegangen ist aber das auch in der Atlantic Charta verankerte erste demokratische Menschenrecht: Das Recht auf die Heimat! Einmal muß auch uns Deutschen wieder dieses Recht zuteil werden, wenn die Fackel der Wahrheit und des Rechts auch die Völker und Staatsmänner erleuchtet haben wird, die uns heute noch ablehnend gegenüberstehen. Für diese Erkenntnis zu kämpfen und zu werben, sollte unsere stete Pflicht sein.

Solange aber deutsche Menschen in der Heimat nicht mehr reden dürfen, werden überall im entrissenen deutschen Osten die Steine reden und zeugen von deutscher Kulturarbeit und deutschem Recht auf die Heimaterde, getreu dem Sinnspruch, der einst die Wand des großen Ortelsburger Rathaussaales schmückte:

Wir haben die Steine getragen Zum Bau in Wetter und Wind. Und der Bau wird himmelan ragen, Wenn längst wir vergangen sind. Kein Mund vielleicht wird uns nennen, Dereinst, wenn das letzte vollbracht, Doch heimlich wird für uns brennen Die Fackel in jeder Nacht!

Seite 4 Unser Adventskranz. Von Eva Gronau

Rot die Bänder — rot die Kerzen
herrlich grün der Tannenkranz
Blick zu ihm aus frohen Herzen
leuchtend seines Schmuckes Glanz.

Wo die alten Tannen stehen,
hält der große Meister Wacht.
Einen Gruß herüberwehen
sie in uns'res Daseins Nacht.

Licht erhelle unser Dunkel.
Seht der warmen Kerzen Schein,
seht das prächtige Gefunkel.
Niemand, niemand ist allein!

Seite 4 Weihnachtliche Gemeinschaft. Von Carla von Bassewitz

Wohl war uns allen das eigene Heim am wichtigsten, und gerade die Weihnachtsvorbereitungen im Kreise der Familie besonders lieb. Es wäre aber sonderbar gewesen, wenn die stärkste Frauenvereinigung der
  Provinz Ostpreußen, die landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine, uns in der Form, in welcher sie Advent begingen, nicht tief beeindruckt hätten.

Nach den Arbeitssitzungen des Jahres, welche der Weiterbildung von Landfrauen und Nachwuchs in ihrem Fach dienten, kam nun die andere Neigung der weiblichen Natur zur Geltung: Schmuck und Feier!
Da war der große Königsberger Verein mit seinen Hunderten von Mitgliedern, die aus allen Teilen des Landkreises zusammenströmten. Durch Wind und Schlackerschnee stapften wir vom Bergplatz, der Steilen Gasse, der Königsstraße her den Roßgarten herauf zu unserem guten alten Ottilie-Hoffmann-Saal, um unsere Pakete und Sorgen für einige Stunden an der Garderobe abzugeben. Für gewöhnlich etwas kahl, mutete er nun im Schein unzähliger Kerzenflämmchen auf den Tischen und dunkelgrünen Adventskränzen der langen Kaffeetische fast märchenhaft an.

Besonders eines Jahres gedenken wir heute, in welchem von vier kleinen Mädchen „Die 4 Adventssonntage" unserer Heimatdichterin Frau von Olfars-Batocki aufgeführt wurden. Jedes stellte einen der Sonntage dar und sagte ein besonders abgestimmtes Gedicht auf - alle trugen helle Engelsgewänder, abgetönt in vier verschiedenen zarten Farben.

Noch heute sehen wir vor uns die Enkelin unserer gütigen und würdigen Geheimrätin - eines unserer ältesten Mitglieder - welcher dieses Kind besonders nahe stand. Die Kleine trug in der Hand einen großen Tannenzweig aus dem elterlichen Walde mit einer brennenden Kerze, deren Licht das Goldband um die Kinderstirn und die langen, hellen, auf das blassrosa Gewand fallenden Haare mit warmem Schein übergoss. Das hochbegabte Mädchen starb als junge Kriegerwitwe mit ihrem letzten Kind unter den Russen am Typhus - aber unvergesslich sind uns im Kreise der anderen drei Engel das andächtige Gesichtchen und die ausdrucksvolle Stimme. Es war mancher Königsberger Saal festlicher - als unsere ehrwürdige „Königshalle" am Paradeplatz - und manche Adventssitzung anderer Jahre größer aufgezogen - - aber an Innigkeit und weihnachtlicher Besinnung kommt dieser wohl keine gleich.

Und an einem weiteren dämmerigen Winternachmittag stiegen wir dann in unseren Autobus, Wagen oder Schlitten und fuhren ins nächste Dorf in unseren „kleinen Verein". Er war dem Provinzialverband angeschlossen, also eine verwandte und doch andersartige Einrichtung. Er umfasste vom Dorfschmied, Arzt und Schlachtermeister bis zum Besitzer alles, was mit dem Lande verbunden war.
In unserem Gasthof, wo sonst, wie in Königsberg, unsere vierwöchentlichen Fortbildungssitzungen stattfanden, war am Tage vorher alles, was im Orte wohnte, zusammengekommen, um den Saal und die kleine Bühne weihnachtlich zu schmücken. Rechts und links vom Bühnenvorhang standen

Tannenbäume, von Anliegern gestiftet - auf den Tischen, von der Gastwirtsfrau unserer Mitglieder - liebevoll gedeckt, lag Tannengrün auf schneeweißem Tischzeug.

Die ganzen Familien der Mitglieder mit Omas, Tanten und Angestellten waren eingeladen und kamen auch sogar die Väter, die manchmal - - natürlich nur aus mangelnder Information gewagt hatten, vom „Kluckenverein" zu sprechen! Aber sie kamen alle!

Wenn die Pfeifen weggesteckt waren, und die Kinder aufgehört hatten, zu plappern, ging der Vorhang auf - und vor unseren Blicken erstieg eine Schar weißgekleideter Engel, Lichter in den Händen, die mehrstimmig sangen: „Vom Himmel hoch, da komm ich her - -". Beim dritten Vers traten sie auseinander und in ihrer Mitte wurde das Bild der „Heiligen Familie" sichtbar. Maria in rotem Gewand und blauem Mantel - gefüllt, denn wir waren ja auf dem Lande und sogar in einer „Herberge"! Joseph stand hinter ihr, Hirten und Könige knieten davor - während die Engelschar leise das uralte: „Susani - susani -" anstimmte, das so melodisch ausklingt in das: „ eia -- eia -- von Jesus singt und Maria!"

Die Darsteller waren Kinder und Angestellte unserer Mitglieder oder Arbeiter aus ihren Wirtschaften. Welch feines Empfinden hat die Landbevölkerung des weiten Ostens für Andacht und Schönheit! Es ist eine alte Weisheit, dass dem unverbildeten und naturnahen Menschen nur das Beste* vom Besten in Wort, Schrift und Spiel geboten werden darf.

Wochenlang hatten sie alle geprobt, die Gesänge mit dem Dorfschullehrer geübt, und mit einfachen Mitteln die farbenfrohen Kostüme zusammengestellt.
Da mussten alle Haushalte beisteuern - ein Hausherr seinen kurzen Pelz für einen Hirten, ein anderer seinen Knotenstock, mit dem er „eigentlich" täglich in die Wirtschaft ging. Eine Hausfrau rückte ihre schönste Tischdecke mit buntem Litauer Webmuster als Gewand für den Mohrenkönig (er war prachtvoll schwarz ausgefallen!) heraus, - Opa den kupfernen Aschbecher, wie rotes Gold blitzblank geputzt, — Tante die Messingobstschale aus der guten Stube, als „Myrrhen und Gold". Sogar der hellgrüne Dienstumhang des Landjägermeisters belebte als Josephs Mantel das farbige Bild.
Das war ein „Gejauxe" und ein „Gequidder" bei den Proben gewesen! - Und die Engelschar! Streng verpönt waren gebrannte Haare und spitzenbesetzte Nachthemdengewänder. Alle trugen das gleiche schlichte an den Schultern zusammengenommen, bis auf die Füße fallend, Gürtel und Stirnband einfache Silberlitze. Alle die duftigen hellen und dunklen Haare in der Mitte gescheitelt - alle jung, gesund, und reizend in ihrer Festfreude.

Wie viele heute wohl von dieser frischen Jugend noch am Leben sind? Andächtig lauschten alle, von den alten bis zu den jugendlichen Eltern und dem jüngsten Kind den Liedern, welche die Christenheit schon vor Jahrhunderten in diesen Weihnachtswochen gesungen hatte.

Wenn dann auch die Darsteller satt geworden, die Lichter heruntergebrannt und der Tabak der Väter zu ende gegangen war, stapften alle zufrieden durch den Schlackerschnee die Dorfstraße und verstiemten Feldwege heim in ihre Häuser.

In der Tiefe des Pregeltals blitzten die Lichter entfernter Dörfer und Höfe. Der dunkelblaue Abendhimmel spannte sich weit über das weißverschneite Ostpreußen und den Weihnachtsfrieden einer stillen und arbeitsamen Bevölkerung.

Ein Band war geschlungen um verschiedene Menschen verschiedener Herkunft, aber alle verbunden durch die Arbeit an der Heimaterde. Dieses Band hielt uns jahrelang. Ja, es hält noch heute! Denn wenn einige von uns sich wiederfinden und sich die Hände entgegenstrecken - - dann sehen wir, dass nichts vergebens war - auch nicht dieses.

Seite 6 Königsberger Marzipan und Morsellen
Foto: Königsberg. Weihnachtsstimmung auf dem Münzplatz

Adventszeit in Ostpreußen - tiefer Winter mit Kälte und Schnee. An die Fenster malte uns der Frost phantastische Eisblumen, durch deren Ranken wir uns Gucklöcher hauchen mussten, um hinauszuschauen in die verschneiten Straßen. .. ch, wie gemütlich war es dann in der warmen Stube, wenn im Kachelofen die Bratäpfel zischten und brotzelten und den ganzen Raum mit ihrem Duft erfüllten. Wenn wir dann bastelten und malten an allerlei Überraschungen für den Weihnachtstisch - wie war sie doch so schön, die Zeit der Heimlichkeiten und der Vorbereitungen.

Weihnachten ohne Marzipan wäre kein Weihnachten, pflegte meine Mutter zu sagen. Marzipan im Haushalt selbst herzustellen, dass es so aussieht, als ob es vom besten Konditor käme, war in jenen längst vergangenen Friedenszeiten vor dem ersten Weltkrieg der Ehrgeiz jeder ostpreußischen Hausfrau. Meine Mutter verstand es. Sie verstand es überdies, aus dem mühevollen Geschäft der Marzipanbäckerei eine Festlichkeit zu machen, an der die ganze Familie mit Einschluss der Dienstmädchen teilnahm und mitunter noch dazu geladene Gäste. Für uns Kinder aber war die Mitwirkung der Höhepunkt der Adventszeit.

Die Fertigung von Schweine-, Gänse- und Karpfensülzen, von Gänseleberpasteten und die Honigkuchenbäckerei, das waren Ereignisse, die sich in der Küche abspielten, von denen man nur erfuhr aus Gesprächen und durch Kostproben. Aber die Marzipanbäckerei machten wir selbst mit. Der Schauplatz war die größere unserer beiden Kinderstuben, weil sie in ihrer Geräumigkeit mehr Platz bot als die Küche. Unser großer Spieltisch, mit ausgezogenen Klappen fast vier Meter lang, war das Arbeitsfeld. Wir Kinder wurden zunächst angestellt, die Mandeln abzupellen. Zwanzig Pfund extra große Mandeln wurden in mit heißem Wasser angefüllten Schüsseln geschüttet, worin sich die braune Haut von dem weißen Kern löste Man brauchte dann nur noch die Mandel zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen und zuzudrücken, dann sprang sie lustig aus der Pelle. Wir besaßen eine ziemliche Fertigkeit, gelegentlich mit einem Weitschuss die Nase eines der Erwachsenen zu treffen, die Schüsseln, Reibeisen, Tüten voll Puderzucker, Siebe und Flaschen voll Rosenwasser heranschleppten, bis wir so viel Mandeln abgepellt hatten, dass es sich lohnte, mit dem Reiben anzufangen. Das war nun ein sehr mühseliges Geschäft, aber meine Mutter meinte, dass keine Mühle die Mandeln so fein zermahlen könne wie das Reibeisen.

Während also sie und die beiden Mädchen rieben, gaben wir den Puderzucker durch Siebe, damit ja keine Zuckerklunkern in den Teig kämen. Dann wurden in großen Schüsseln zerriebene Mandeln und Zucker miteinander vermengt und, wenn meine Mutter die Vermischung für innig genug erachtete, die lockere Masse mit Rosenwasser angefeuchtet und zu einem elfenbein-weißen Teig geknetet. Während all diesem Tun wurden Lieder gesungen, Märchen und andere Geschichten erzählt und Rätsel aufgegeben und geraten, so dass Hände und Geist zugleich in angeregter Tätigkeit blieben. Sechs Schüsseln mit Marzipanklumpen von je etwa fünf Pfund waren das Ergebnis des ersten Nachmittags.

Die Fortsetzung folgte am nächsten Tag. In feierlicher Prozession wurden die sechs Klumpen auf den Arbeitstisch gebracht. Nun kam das Formen, Backen und Garnieren, und da waren immer ein paar Freundinnen meiner Mutter dabei, wodurch die Unterhaltung noch viel lebhafter wurde.
Auf weiß gescheuerten und mit Puderzucker ganz fein überstäubten Buchenbrettern, wurden mit Nudelrollen die Marzipanklumpen ausgewalzt zu Platten verschiedener Stärke. Aus den dünnen wurden für die Böden des Randmarzipans mit Formen Herzen, Halbmonde, Vierecke und Rundstücke ausgestochen, aus den dickeren anderthalb Zentimeter breite Streifen geschnitten, die als Rand auf die Böden aufgesetzt wurden, zusammengeklebt mit Rosenwasser. Die Ränder wurden dann mit immer wieder in Rosenwasser getunkten Messerrücken zierlich eingekerbt.

Aber das war die Arbeit der Großen. Wir Kinder bekamen einen Teil der Marzipanmasse, um daraus das sogenannte Teekonfekt zu formen, kleine Brötchen, Spirale. Apfelchen und Birnchen, deren Blüten durch Gewürznelken dargestellt wurden. Diese Arbeit besorgten wir noch unter Aufsicht. Dann aber bekam jedes von uns ein Klümpchen Marzipan zur beliebigen Verwendung. Da konnten wir der Phantasie Zügel schießen lassen. Anfangs entstanden unter unseren Schöpferhänden seltsam aussehende Tiere. Wir versuchten, uns gegenseitig zu übertrumpfen. Wieder und wieder kneteten wir unsere Geschöpfe, um zu neuen Gestalten, Weihnachtsmännern, Engeln, Kasperles. Allmählich bekamen unsere Erzeugnisse eine dunkelweiße Färbung vom vielen Kneten. Sie wurden immer unansehnlicher. „Trauermarzipan", nannte sie mein Vater, wenn er mal kurz hereinkam, um guten Tag zu sagen. Schließlich verzehrten wir unsere Machwerke, wie sie waren, sie schmeckten uns trotz ihrer Unzulänglichkeiten ganz ausgezeichnet.

Inzwischen begann aber der dritte Akt, die eigentliche Bäckerei. Die fertigen Formen wurden dicht aneinander auf Bretter gestellt, darüber kamen in geringer Entfernung Kuchenbleche, die mit glimmenden Holzkohlen belegt waren.' Es war nun unsere Aufgabe, diese Kohlenstückchen durch Pusten mit Blasebälgen in einem gleichmäßigen Glühen zu erhalten. Durch die von den Blechen ausgestrahlte Wärme bräunten sich die gezackten Ränder der Marzipanformen. Das durfte nicht zu sehr und nicht zu wenig geschehen. Während des Backens rührten die beiden Mädchen den Guss in einer großen Terrine an: Puderzucker, Rosenwasser und Zitronensaft. Er wurde in die ausgebackenen Formen gefüllt, und wenn er an der Oberfläche erstarrt war, begann das Garnieren. Dazu wurden unreif eingemachte Walnüsse, besonders für diesen Zweck fest eingekochte Kirschen, rot, gelb und grün gefärbte Kürbisstücke fein zerschnitten und zu Blüten geordnet auf den Guss gelegt, es war ein prächtiger Anblick.

  Die fertigen Stücke wurden in Blechkästen geschichtet, in denen sie bis Weihnachten in Verwahrung gehalten wurden.

Meine Mutter war eine Apothekertochter. Von ihrem Vater hatte sie die Herstellung von Morsellen erlernt. Das war ein inzwischen aus der Mode gekommenes orientalisches Konfekt, das ebenso wie das Marzipan vor Jahrhunderten die Ordensritter aus Venedig nach Ostpreußen gebracht hatten. Bis zum zweiten Weltkrieg stellte es noch eine Königsberger Apotheke alljährlich zu Weihnachten her und verschickte es an Feinschmecker in aller Welt Diese Morsellen wurden so zubereitet: Über sanftem Feuer zerging in einem Messingkessel Zucker, gemischt mit Nelken, Ingwer und anderen Gewürzen, die in Mörsern zu Pulver zerstoßen worden waren. In die dickflüssige Masse wurden ebenso dickflüssiger Kirsch- und Himbeersirup hineingerührt, aber so, dass keine vollständige Vermischung eintrat. Außer, dem kamen ganz fein geschnittene, rot und grün gefärbte Mandeln hinein. War die Masse im richtigen Grad vermischt und flüssig, dann wurde sie - und das war für uns Kinder ein erhebender Anblick - in schmale, etwa zwei Zentimeter hohe, lange Holzkästchen gegossen, in denen sie erkaltete und erstarrte. Dann wurde das Holz - die Kästchen waren zum Auseinandernehmen eingerichtet - sorgfältig entfernt. Die schmalen langen Platten, die (wie marmoriert aussahen, wurden in kleine Stücke geschnitten. Das waren die Morsellen, sie schmeckten köstlich.

Alle diese Leckerbissen fanden wir unter anderen am Heiligen Abend auf unseren bunten Tellern wieder, und das Bewusstsein, an den Mühen ihrer Entstehung teilgenommen zu haben, trug dazu bei, unsere Freude am Genuss zu erhöhen.

Seite 6 Im Gedenken Ernst Wicherts

Hannover. Eine Feierstunde von hohem künstlerischem Niveau veranstalteten die Landsmannschaft Ostpreußen, Gruppe Hannover, und die Volkshochschule Hannover am Totensonntag in der Akademie für Musik und Theater. In den Händen von Suse Scharfenberg (Klavier), Dr. Günther Thilo (Violine) und Botho Masche (Violincello) lag der kammermusikalische Teil des Programms. Ein kraftvolles Bild vom Leben und Schaffen Ernst Wiecherts, des im Vorjahre verstorbenen großen ostpreußischen Dichters, zeichnete der Direktor der Volkshochschule, Landsmann Matull. Verse und Lesungen aus den überragenden Nachkriegswerken Wiecherts brachte Helmut Schölzel zum Vortrag.

Seite 7 Weg und Schicksal: Die 61. ostpreußische Infanterie-Division
Warum Divisions-Geschichte?

Als mich im Frühjahr mein Landsmann, der jetzt in Kiel wirkende Verleger Hans- Henning Podzun aufforderte, im Rahmen der von ihm herausgegebenen Geschichten deutscher Divisionen 1939 - 1945 Weg und Schicksal der 61. ostpreußischen Inf.-Div. niederzuschreiben, der ich von der Ausstellung bis zum Frühjahr 1942 angehört hatte, da kamen mir zunächst einige Bedenken. Ist es richtig, Vergangenes mit allen seinen Schrecken wieder zu beschwören? Ist der Abstand nicht noch zu nah, die Wunde noch zu frisch? Sollten nach dem Tosen der Waffen nun nicht doch erst Zeiten der Stille und Besinnung folgen? Können angesichts des gänzlichen Fehlens jeder kriegsgeschichtlichen Forschung gültige Aussagen über den Einsatz der Divisionen gemacht werden? Ist es möglich, verlorengegangene Aufzeichnungen und Tagebücher aus dem Gedächtnis zu ersetzen?

Diese Bedenken, die nicht zuletzt aus dem Verantwortungsbewusstsein des Historikers kamen, sind sorgfältig geprüft worden und konnten überwunden werden. Auch die Geschichtsschreibung steht heute vor einer neuen Lage. Es gilt, noch Vorhandenes vor der völligen Zerstreuung und Vernichtung zu bewahren, Mitlebende jener Ereignisse zu beiragen und mühsam aus kleinen Bausteinen ein zunächst bescheidenes Gebäude unseres Wissens zu errichten. Regimentsgeschichten, wie sie nach dem ersten Weltkrieg in einer Reihe entstanden, können heute nicht mehr geschrieben werden, dafür fehlen die Unterlagen und auch das Geld lür die Herstellung. Es gilt, aus der Not eine Tugend zu machen und die Divisionen nicht nur als den Kampfverband aller Waffen, sondern auch als gemeinsamen Erlebnisbereich zu erkennen. Bei der Bearbeitung, die nun einmal gewagt wurde, wuchs das Material unter den Händen. Es ist erstaunlich gewesen, was alles noch zum Vorschein kam. In allen Teilen konnte die Darstellung durch amtliches Material gut gestützt werden.

Es kam darauf an, zunächst den Weg der Division durch die Kriegsjahre festzustellen, dann erst den jeweilig wechselnden Eindrücken und Erlebnissen Raum zu geben. Für Wenige wird während des Krieges der Einsatz der ganzen Division überschaubar gewesen sein. Deshalb kann ein solcher Überblick

nützlich sein und hellen, Irrtümer und festgefahrene Meinungen zu berichtigen, auch manche Überschätzungen auf ein notwendiges Maß zurückführen. Der verfügbare Platz ist knapp gehalten, um
den Herstellungspreis erschwinglich zu gestalten. Nicht ruhmredig sollen diese Blätter sprechen, sie sollen kein Zeugnis für Eroberungslust und Militarismus um jeden Preis sein. Aber das gemeinsam erlebte
Schicksal sollte aufgezeichnet werden, denn die Erinnerung an jene Jahre, wie immer sie empfunden werden mag, sie lässt uns nicht los, sie wird mich und dich begleiten, ein Leben lang, „als wär's ein Stück von mir".
Walther Hubatsch

Im Verlag Hans-Henning Podzun, Kiel, wird voraussichtlich noch vor Weihnachten die von Professor Dr. Walter Hubatsch geschriebene Geschichte der 61. ostpr. Inf.-Division in Buchform zum Preise von etwa 4,80 DM herauskommen.

Wir glauben, dass das Erscheinen dieses Werkes - es ist das erste in seiner Art, jedoch wird z. Zt. bereits an der Geschichte weiterer Divisionen gearbeitet - von den ehemaligen Angehörigen der 61. Inf.-Div. begrüßt werden und darüber hinaus bei vielen Ostpreußen Interesse finden wird. Deshalb veröffentlichen wir einige Abschnitte aus den verschiedenen Phasen des Krieges, an denen diese ostpreußische Division beteiligt war.

Dr. Hubatsch, der dem Inf.-Regt. 151 angehört hat, gibt in seinen Ausführungen Aufschluss über die Beweggründe, die den Anlass zur Niederschrift der Geschichte eines militärischen Verbandes gaben.

Polen
In Ostpreußen standen vor dem Kriege außer der Kavalleriebrigade drei aktive Infanterie-Divisionen
(1., 11., 21.) in ihren Friedensstandorten. Sie stellten den aktiven Stamm von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften für eine Reservedivision, die unter der Bezeichnung „61. (Übungs) Infanterie-Division" am 16. August 1939 unter dem Befehl von Generalleutnant Haenicke, Träger des Pour le mérite, zusammentrat. Die Division gliederte sich in Divisionsstab (Ia, Ib, Ic, IIa, IVa, IVb), die drei Infanterie-Regimenter 151,162 und 176, von denen je eins durch die 1., 11. und 21. Inf.-Div. aufgestellt wurde. Zwei von diesen Regimentern knüpften in ihren Nummern an ostpreußische militärische Tradition an: 2. Ermländisches Infanterie-Regiment 151, vor 1914 in Sensburg und Bischofsburg und 9. Westpreußisches Infanterie-Regiment 176 in Kulm und Thorn in Garnison. Sie hatten im ersten Weltkrieg im Verband der 35. bzw. 37. Div. ruhmreich gefochten, woran Ehrentafeln im Tannenbergdenkmal erinnerten. Die neue 61. Div. setzte sich landsmannschaftlich aus Ostpreußen, Rheinländern und Westfalen zusammen, eine Verbindung, welche verschiedenartige Stammeseigentümlichkeiten glücklich mischte und sich hervorragend durch alle Kriegsjahre bewährt hat.

Die Regimenter traten am 20. August 1939 zusammen und erreichten im Bahntransport über Osterode den Raum Neidenburg-Tannenberg, wo die Division versammelte. Tannenberg - ein bedeutungsvoller und zugleich orakelhafter Anfang. Man dachte an den Sieg von 1914, aber auch an den Julitag des Jahres 1410, an dem das deutsche Ordensheer dem Ansturm der östlichen Welt erlag. Die Fahrzeuge der 61. Division führten als Erkennungszeichen den Deutschordensschild als Traditionsverpflichtung und Symbol der Heimatverbundenheit.

Um 10 Uhr vormittags hatte der Div.-Kommandeur, dem I.-R. 151 mündlich den Befehl erteilt, sich mit einer behelfsmäßig motorisierten Vorausabteilung (verstärktes I. Btl. unter Major Kiewitz) handstreichartig in den Besitz der anscheinend unverteidigten Narewbrücken bei Pultusk zu setzen. Die Division wurde mit dem gleichen Ziel in Marsch gesetzt (61. Div. Ia op. Nr. 14/39 v. 06.09.1939). In glühend heißer Mittagszeit, auf staubigen Straßen, eilten die Kolonnen vorwärts. Doch um 15 Uhr stieß der motorisierte Verband auf den Gegner. Panzerhindernisse und gut liegendes Artilleriefeuer zwangen zur Entfaltung. Der Handstreich war missglückt; die Vorausabteilung findet einen verteidigungsbereiten, mit schweren Waffen ausgestatteten Gegner. Die Division wurde aus dem Vormarsch heraus entfaltet und zum Angriff auf Pultusk mit I.-R. 176 rechts und I.-R. 151 links angesetzt. Noch am gleichen Abend kamen die Bataillone bis etwa 2 km an den Stadtrang heran. Links von der 61. Division suchte Aufkl.-Abt. 11 von Norden her in die Stadt einzudringen, ein nächtliches Unternehmen zusammen mit Teilen I. I.-R. 151 zur Wegnahme der Brücke scheiterte ebenfalls. Der im Morgengrauen fortgesetzte Angriff gewann gegen den zähen Widerstand der gegenüberliegenden polnischen Ukrainer nur langsam Boden.

Westfeldzug
Den Übergang über den Bourbourg-Kanal erzwang Oberstlt. von Frantzius mit der Aufkl.-Abt. 161 - eigener Entschluss. In den Nachmittagsstunden konnten I.-R. 162 und I.-R. 151, von den Pionieren und der Divisionsartillerie wiederum hervorragend unterstützt, bis auf die Höhe von Cappelle vorkommen, dann verstärkte sich die feindliche Abwehr, so dass der Angriff in der Abenddämmerung vor dem Canal

de Bourbourg liegenblieb. Seit dem Abend lag heftiges Artilleriefeuer auf den vorderen Teilen, zuletzt mit 21 cm Geschützen. Die Panzer Jäger, die den Angriff der Infanterie gegen die Widerstandsgruppen vor den Kanalübergängen in vorderer Linie unterstützen wollten, wurden rasch eingedeckt. Nach einer ruhig
verlaufenen Nacht fanden Spähtrupps am Morgen des 4. Juni das nördliche Kanalufer geräumt. !-R. 162 und I.-R. 151 gingen zügig vor, alle französischen Truppen vor dem Divisionsabschnitt streckten ihre Waffen, der Stadtkommandant übergab Dünkirchen.