Noch eine Messerschlucker-Geschichte

Liebe Listen-Leser,

neulich gab´s hier die Geschichte einer Messerschluckerin zu lesen. Darin
wurde auch angedeutet, daß ein ähnlicher Fall sich schon einmal ereignet hatte.
Im Zusammenhang mit meinen Forschungen im Kreis Pr.Eylau bzw. dem Dorf
Grünwalde bei Landsberg fand ich seinerzeit folgende kuriose Schilderung:

Der Bauernbursche Andreas Grünheid aus Grünwalde bei Landsberg hatte nach

einer ausgiebigen pfingstsonntäglichen Zeche am Pfingstmontag, den
29.05.1635, Übelkeit verspürt. Um sich durch Erbrechen Linderung zu verschaffen,
stecke er erst einen Finger in den Hals, und da dies nichts nutzte, faßte er
kurzentschlossen ein kleines feststehendes Messer bei der Spitze und versuchte
damit den hinteren Gaumen zu reizen. Doch plötzlich glitt ihm die Messerspitze
aus den Fingern, das ganze Messer rutschte in die Speiseröhre und blieb dort
stecken. Der 22jährige junge Mann versuchte nun verzweifelt, des Messers wieder
Herr zu werden, und stellte sich dazu auf den Kopf. Aber es nützte nichts,
das Messer kam nicht zurück, und so nahm er dann schließlich eine Kanne Bier
und spülte es damit in den Magen.
Grünheid fühlte anfangs keine besonderen Beschwerden und ging weiter seiner
Arbeit nach, doch war er in großer Angst, daß ihm das Messer den Magen
durchschneiden könnte. Die Kunde von diesem Unglück verbreitete sich schnell und
kam auch dem Lehnsherrn von Grünwalde, George von der Gröben, sowie dem
Bürgermeister von Landsberg, Martin Hartlein, zu Ohren. Diese nahmen sich der Sache
an und schrieben an den Dekan der medizinischen Fakultät zu Königsberg, Dr.
Becker. Dieser gab nun den Rat, den Patienten sofort nach Königsberg zu
bringen. Am 20. Juni machte sich Grünheid auf den 7 Meilen weiten Weg und traf
teils zu Fuß, teils zu Pferd in Königsberg ein. In Anbetracht der
außerordentlichen Seltenheit des Falles wurde bereits am 25.06. ein "Concilium medicum" der
Königsberger Ärzte abgehalten, die nach langer Beratung beschlossen, daß das
verschluckte Messer "durch einen Schnitt müsse herausgenommen werden, und
danach, daß solches noch vor den Hundstagen müsse vorgenommen werden."
Nach einer vorsorglichen Behandlung mit verschiedenen Tränklein und nachdem
der Leib des Patienten "mit einer gelinden Purgation gereiniget", wurde die
Operation auf den 9. Juli angesetzt und deren Durchführung dem Königsberger
Wundarzt Daniel Schwabe übertragen. An diesem Tage fand dann auch die Operation
in Gegenwart mehrer Ärzte "etzlicher von Adel und medicinae studiosi" statt.
Der Patient wurde auf ein starkes, breites Brett gebunden und dieses aufrecht
an die Wand gestellt. Der Professor Krüger zeichnete mit Kohle am Körper die
Stelle an, wo der Wundarzt schneiden sollte. Mediziner und Wundärzte
gehörten damals verschiedenen Innungen an, und keiner durfte die Rechte des andern
verletzen. Schwabe schnitt darauf an der linken Seite "2 Finger breit unter
der kurzen Rippen und eine starke Hand breit vom Nabel" den Leib auf, bekam
schließlich nach einigen Versuchen den Magen zu fassen, ihn über der
Messerspitze zu durchschneiden und das verschluckte Messer herauszunehmen. Es wurde
allen Anwesenden vorgezeigt. Auch der Patient hatte die bis jetzt 45 Minuten
dauernde Operation gut überstanden "und rief freudigen Mutes: Das ist mein
Messer!"
Wahrlich, dieser Andreas Grünheid aus Grünwalde muß gute Nerven gehabt
haben, weil er ohne jede Narkose sozusagen seiner eigenen Operation beiwohnte; ein
echter Natanger! Schwabe vernähte dann die Wunde, der Patient kam ins Bett
und die Heilung ging gut und rasch ohne Komplikationen vonstatten. Am 17.07.
war er beinahe gesund und begab sich kurze Zeit später nach Hause. Da er jedoch
schwere Arbeit nicht mehr verrichten konnte, mußte er sich von seinem Herren
freikaufen und siedelte nach Landsberg über, nachdem er 1641 Dorothea Kolb
aus Grünwalde geheiratet hatte.
Andreas Grünheid hat noch 10 Jahre nach der Operation angeblich wohl und
munter gelebt, jedoch ist er bereits 1645 gestorben. Ob sein früher Tod im
besten Mannesalter doch irgendwie mit der Magenoperation zusammenhing, ist nicht
bekannt. Nachkommen dieses Messerschluckers sollen noch im 19. Jh. in Grünwalde
und Umgebung gewohnt haben und bis in die letzte Zeit war der Name Grünheid
in der Landsberger Gegend bekannt (-kann ich aus eigenen
Kirchenbuchrecherchen bestätigen!).
Diese Magenoperation erregte überall großes Aufsehen, war sie doch die erste
in Ostpreußen und eine der ersten überhaupt. Alle Welt wollte das Messer
sehen, auch der Polenkönig erbat es sich anläßlich seines Besuchs in Königsberg.
Es war zuletzt im Stadtgeschichtlichesn Museum ausgestellt. Es erschienen
damals mehrere Schriften, lange Abhandlungen und Gegenschriften über dieses
Ereignis und ein bereits am 02.08.1635 gedrucktes Bänkelsängerlied von 19
Strophen machte es in aller Welt bekannt.<<

Aus "Der Kreis Preußisch-Eylau" von Horst Schulz, Verden/Aller 1983; Seite
635 ff.

Grüße aus Berlin
Viktor Haupt

Sehr geehrter Herr Haupt,

Ihre Ausf�hrungen werden durch ein Schriftst�ck best�tigt, das einer meiner Vorfahren um 1860 an einen Freund "verschenkte". Offensichtlich handelte es sich hierbei um den Original-Bericht der von Ihnen beschriebenen Operation.

    Hier der Text aus meiner Ahnenliste:
Dr. Hagens, Oberstabsarzt in Danzig berichtet die Geschichte des "preu�ischen Messerschluckers" nach Daniel Beckern in Wort und Bild: "Ich lasse dieselbe (Geschichte) in der originellen Stilistik und Orthographie der Urschrift, in der ich sie bald vor 20 Jahren aus der Hand eines Freundes , des Oberstabsarztes Passauer in Thorn, erhalten, sowie mit einer getreuen Copie der zugeh�rigen Zeichnungen hier folgen."

Ein Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen Viszeralchirurgie. - Ein 22-j�hriger Bauernknecht hatte durch Reizung des Schlundes mit einem Messer versucht ein Erbrechen auszul�sen. Dabei verschluckte er das Messer. Nach einem �rzteconsilium erfolgte am 9.Juli 1635 in K�nigsberg, in Gegenwart der Facult�t u. Studierender, durch Er�ffnung von Peritoneum und Magen, in ca. 45min�tiger Operation, die gl�ckliche Entfernung des Messers durch den Chirurgus Daniel Schwabe. Der Patient �berlebte und der sensationelle Erfolg wurde sogar in Knittelversen vom Volk besungen. Trotzdem blieb die Er�ffnung des Abdomens f�r noch fast 250 Jahre ein "noli me tangere". - . Gefunden bei: Beckher, Daniel: = Hagens: Zur Gastrotomie (Preu�ischer Messerschlucker) (S.106-107, 2 Abb.). Berliner klin. Wschr., 20/ 7. - Berlin, August Hirschwald, 1883, 4�, S.93-108.

"The second planned gastric operation was performed in K�nigsberg in 1635. Daniel Schwabe, the surgeon, made an advance beyond the Prague operation, in that he did not simply enlarge a pre-existing wound, but made a 'de novo' coeliotomy to remove a swallowed knife."

Ein sch�nes Wochenende w�nscht Ihnen
Ihr

Hartmut Passauer

ViktorHaupt@aol.com schrieb: