Liebe Listenteilnehmer,
die Diskussion über Abzocke geht mir entschieden zu weit.
Es ist beschämend, wie man über polnische Bürger, so zu sagen über "Land
und Leute" urteilt und charakterisiert.
Alte Vorurteile und Wunden werden wieder aufgerissen! In einem vereinten
Europa muss dass ein Ende haben.
Oft vermisse ich die sachliche Auseinandersetzung. Persönliche Angriffe
zeigen doch immer ein gewisses Bild der eigenen Unreife und mangelndes
Höflichkeitsbewusstsein.
Jemand sagte mal, dass jeder seine Reißschwelle hat, ist die einmal
überschritten, verliert man schnell das Gefühl für Takt und Höflichkeit.
Diese Reißschwelle liegt bei jedem Menschen anders.
Wenn ich eine solche Diskussion höre, dann fallen mir schlimme Dinge
ein, die sich in unserem Sprachbild und auch in den Gedanken, oder
Unterbewusstsein verankert haben.
Wir reden zu oft von den "bösen Ausländern". Jeder will uns Deutschen
etwas Böses antun.
Das Gerede von der Abzocke ist alt. Als kleiner Junge hörte ich schon
von Erwachsenen, dass uns die EWG, EG, EU usw. oder das vereinte Europa
uns Deutsche abzockt. Wir fühlen uns immer als die betrogenen Bürger
Europas.
Ich finde es schlimm. Wir haben Kriege begonnen und verloren.
Heimatverbände, Vertriebene Verbände usw. klagen über gestohlene Heimat
und Grundbesitz. Sie schüren oft das Bild des bösen Osteuropäers.
Schlimm!
Dann kommen da noch solche Redenarten hinzu wie:
Da ist etwas Faul im Staate Dänemark
Polen ist offen (klauen und stehlen, sind unsauber)
Dann ist Holland aber in Not
Zigeuner klauen und sind alle Verbrecher
Du bist schlimmer als ein Jude
Itaker sind Spagettifresser
Und so könnte man die Liste über viele Nationen durchgehen. Uns
Deutschen fällt bestimmt zu jedem Land etwas Schlechtes ein.
Ganz schlimm finde ich es, wenn wir das Land und die Menschen dadurch
charakterisieren.
Fairness ist geboten. Warum reisen wir so gerne ins Ausland? Weil es
dort billiger ist. Zocken wir nicht die Arbeitskraft, die
Wirtschaftskraft des Gastlandes ab?
Was für ein Aufstand gäbe es in Deutschland, wenn der Bohnenkaffee aus
Kenia 20 Euro pro Kilo mehr kosten würde? Für den morgendlichen Genuss
des Kaffees oder am Arbeitsplatz würden viele Bürger, weil es eine Sucht
geworden ist, für eine Tasse Bohnenkaffee 3-5 Euro zahlen. In Kenia
erhält der Erntearbeiter in der Stunde oder für den 50 Kilosack nur
Centbeträge!
Wer zockt nun ab?
Wenn ich die Kosten für Dienstleistungen in unserem Lande nehme und
diese dann 1 zu 1 umsetze, in dem Bewusstsein, dass die Bedienung
genauso viel verdienen sollte wie bei uns eine Bedienung verdient, dann
sehe ich nur eines, dass ich immer noch günstig Urlaub machen kann,
auch wenn ich großzügiger sein darf.
Ich habe das Empfinden, dass wir es sind, die oft andere Menschen und
Länder abzocken, wenn wir bei denen zu Gast sind.
Wer so genannte "Feindbilder" gegenüber Bürgern eines anderen Landes
oder in diesem Fall gegenüber polnische Mitbürger und Unternehmen
aufbaut, der sollte sich einige Seiten bei der "Bundeszentrale für
politische Bildung" durchlesen.
Ich hoffe, dass diese Diskussionen dann auch mal ein Ende in unseren
deutschen Köpfen findet!
Hier nur einige kurze Auszüge:
"Vorurteile begleiten unseren Alltag. Jeder hat Vorurteile - nur man
selbst nicht. Wie ist dies möglich? Wieso erkenne ich die Vorurteile bei
anderen, aber meine eigenen nicht? Warum verteidige ich mich gegen den
Vorwurf, ich hätte dieses oder jenes Vorurteil und versuche, mein Urteil
als realitätsgerecht zu beweisen? Ist ein Vorurteil also etwas Falsches
oder gar Schlechtes? Gibt es nicht auch positive Voreingenommenheiten?
Im Alltagsverständnis gebrauchen wir den Begriff Vorurteil, um
ausgeprägte positive und negative Urteile oder Einstellungen eines
Mitmenschen über ein Vorurteilsobjekt zu bezeichnen, wenn wir diese für
nicht realitätsgerecht halten und der Betreffende trotz Gegenargumenten
nicht von seiner Meinung abrückt. Da wir in unseren Urteilen zumeist nur
unsere Sichtweise wiedergeben und Urteile fast immer gewisse
Verallgemeinerungen enthalten, sind in jedem Urteil Momente des
Vorurteilshaften zu finden."
"Als Erklärungsmuster für die wirtschaftliche und angeblich auch
zivilisatorische Rückständigkeit Polens dienten häufig das Stereotyp von
der "polnischen Wirtschaft" und die mit ihm verbundenen negativen
Klischeevorstellungen.
In der ersten Jahren nach dem Umbruch von 1989 wurden in einem Teil der
deutschen Medien Bilder von Chaos und Rückständigkeit in Polen
präsentiert, die deutlich auf das Stereotyp von der "polnischen
Wirtschaft" (Desorganisation, Chaos und allgemeine Unfähigkeit zu
effektivem ökonomischem Handeln) verwiesen. Der Ursprung dieser
Redewendung geht auf Reiseberichte aus Polen zur Zeit des Untergangs der
polnischen Adelsrepublik um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert
zurück. In Gustav Freytags Roman "Soll und Haben" (1855) wird die
"polnische genial-liederliche Wirtschaft" mit der "siegreich
hervorbrechende[n] Tüchtigkeit" der Deutschen konfrontiert; letztere
wird zur Gegendefinition der "polnischen Wirtschaft". Das überwiegend
verächtliche und oft giftige Polenbild des Kaiserreichs und der Weimarer
Republik spiegelt sich auch in der populären satirischen Zeitung
"Kladderadatsch" wider, deren Publizisten und Zeichner das als bekannt
vorausgesetzte Stereotyp "polnische Wirtschaft" inden
unterschiedlichsten Zusammenhängen aufgriffen. Bissige Karikaturen
dieser Art sind von 1863 bis zum Ende der Weimarer Republik
nachgewiesen.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 konnte die
NS-Propaganda die überlieferten antipolnischen Bilder und Begriffe
abrufen. Der bekannte Propagandafilm "Heimkehr" (1941) zeigt die Polen
als mordlustigen, unberechenbaren und perfiden Feind, der kein Mitleid
verdient. Den Deutschen wurde eingebleut, dass es eine "rassische" und
zivilisatorische Kluft zwischen Polen und Deutschen gebe.
Im Westen Deutschlands, dem damaligen "Wirtschaftswunderland", wurde das
zählebige Stereotyp von der "polnischen Wirtschaft" mit der Ablehnung
der sozialistischen Plan- und Zwangswirtschaft verbrämt, der die ehemals
deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie anheim gefallen waren.
Während der Zeit der Solidarno??-Bewegung in Polen 1980 tauchte in einer
den real existierenden Sozialismus kritisierenden Karikatur der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Stereotyp der "polnischen
Wirtschaft" mit seiner ethnischen Stigmatisierung und Schuldzuweisung
erneut auf, gefolgt von ähnlichen Karikaturen in der Neuen
Rhein-Zeitung.
Solche Bilder können nur korrigiert werden, wenn die bisherigen
Leistungen dieses Landes gewürdigt werden, das als erster ehemaliger
Ostblockstaat in die freie Marktwirtschaft gestartet ist und eine
relative ökonomische Stabilität mit einem steten Wirtschaftswachstum
erreicht hat."
Es gibt Tage, da schäme ich mich ein deutscher Staatsbürger zu sein. Wir
haben nicht das Recht die Würde eines Menschen oder Landes zu verletzen.
Wir sollten da an die Präambel unseres Grundgesetzes denken, welches uns
die Vorväter aufgrund unserer eigenen Geschichte ins Grundgesetz
geschrieben haben.
Mit freundlichen und herzlichen Grüßen
Andreas Bellersen