Namensforschung

Namensforschung - Herr Angermann wohnt am Anger
Von Ernst Horst

10. November 2005 Mit einem Teelöffel Zucker nimmst du jede Medizin, ja jede
Medizin, ja jede Medizin, angenehm und sehr bequem: Jürgen Udolph spart
deshalb nicht mit dem Zucker. In “Professor Udolphs Buch der Namen² schreibt
er über - hauptsächlich deutsche - Familiennamen. Wenn man sich für
dergleichen interessiert, und das tue ich, ist das Buch durchaus eine Quelle
nie versiegenden Vergnügens.

Der Professor scheint aber seinem Thema nicht völlig zu trauen. Gefühlte 90
Prozent des Buchs beschäftigen sich mit den Namen von berühmten Männern,
schönen Frauen und Wunderkindern - Boris Becker, Heidi Klum, Daniel Küblböck
- und verknüpfen sie mit bekannten und unbekannten Histörchen à la
Regenbogenpresse und Talkshow. Udolph erzählt wie ein rotnasiger Rentner am
Stammtisch. Nötig hat er das nicht. Ohne diese Kandierungstaktik wäre das
ein richtig schönes Buch geworden. Es ist übrigens in der ersten Person
Singular des Professors geschrieben, als Koautor firmiert Sebastian Fitzek,
ein fernseherfahrener promovierter Jurist.

Raquette oder rokyta

Onomastik ist die wissenschaftliche Disziplin der Namensforschung. Udolph
ist Professor für Namensforschung - der einzige in Deutschland - am Institut
für Slawistik der Universität Leipzig. Das mit der Slawistik ist ein Bonus.
Zumindest wir Leser aus den alten Bundesländern können von einem Slawisten
mehr lernen als von einem Romanisten oder Germanisten. Fast 30 Prozent der
deutschen Familiennamen haben einen slawischen Ursprung. Zum Beweis gleich
ein Beispiel: Jim (Günther) Rakete ist Fotograf und war früher Manager von
Künstlern wie Nina Hagen, Nena und Herbert Grönemeyer. Das Wort Rakete für
ein Flugobjekt mit Rückstoßantrieb kommt vom italienischen “rochetta² für
Spindel. Jim Rakete führte in einem Interview seinen Namen auf hugenottische
Vorfahren in Ostpreußen zurück. Sein Name käme “natürlich² von “raquette²,
dem Schläger. Udolph widerspricht. Er plädiert für das polnische “rokyta²,
Weide.

Allerdings ist zumindest Raquet ein in Frankreich - wenn auch wenig -
verbreiteter Name. Davon kann man sich auf der Website www.notrefamille.com
überzeugen. Man sieht schon, es ist alles nur eine
Wahrscheinlichkeitsrechnung mit viel Detektivarbeit. Eine große Hilfe dabei
sind ausgerechnet die Mormonen. Diese führen kirchliche Rituale wie die
Taufe nachträglich für ihre Vorfahren durch. Deshalb haben sie gewaltige
genealogische Datenmengen gesammelt. Gehen wir also nach
www.familysearch.org. Hier findet man den Namen Raquet häufiger als Rokyta.
Aber das beweist nichts. Nur ein Slawistikprofessor kennt schließlich die
sprachlichen Varianten, nach denen man auch noch suchen muß.

Abendländische Geschichte

Das Buch richtet sich in erster Linie an Leute, die wissen wollen, wie ihr
eigener Familienname entstanden ist. Der Schwerpunkt liegt deshalb natürlich
sinnvollerweise auf Namen, die in Deutschland vorkommen und eine - sagen wir
es etwas vage - abendländische Geschichte haben. Unsere Namen sind ja immer
mit der patriarchalisch definierten Vergangenheit unserer Familie verknüpft.
Das ist nicht in allen Kulturen so. Ein Indianer heißt vielleicht Kühner
Zeisig, und das muß nichts mit seinen Vorfahren in männlicher Linie zu tun
haben. Bei uns ist hingegen Namensforschung immer eine Mischung von
Geschichte und Sprachwissenschaft. Unsere zweigliedrigen Namen sind etwa bis
zum Ende des zwölften Jahrhunderts entstanden und spiegeln deshalb manchmal
eine tausendjährige Entwicklung wider. So ein Name ist natürlich nur eine
Petitesse, aber wenn Professor Udolph uns tausend solche Petitessen
vorführt, dann schichtet er kleine Münzen aufeinander und baut daraus eine
Kathedrale.

Die meisten Namen sind eher banal. 9,5 Prozent der Deutschen heißen Müller,
0,8 Prozent Jäger. Müller ist damit auf Platz eins der Häufigkeitsliste,
Jäger auf Platz 60. Aber schon das lehrt uns, daß es bei unseren Ahnen im
Spätmittelalter viel Brot und wenig Wildbret zu essen gab. Müller und Jäger
sind sogenannte Berufsnamen wie Schmidt, Köhler und Fischer. Schröder ist
auch ein Berufsname, aber hier wird es schon komplizierter. Der norddeutsche
Name Schröder bedeutet Schneider, der süddeutsche so etwas wie Bierkutscher.
Aus diesem Beispiel lernt man gleich zweierlei: Erstens kommt es auf die
Herkunft des Namens an. Zweitens ist man manchmal auf fachmännischen Rat
angewiesen, sonst verpaßt man eventuell wichtige Feinheiten.

Detektivarbeit vonnöten

Außer den Berufsnamen gibt es die “Rufnamen² wie Ullrich, Christiansen und
Carstensen, die aus dem Vornamen eines Urahns entstanden sind. Um ihre
Bedeutung zu entschlüsseln (wenn man das denn will), muß man sich ein gutes
Vornamenbuch kaufen. “Herkunftsnamen² wie Thüring oder Berliner entstanden
natürlich gerade, wenn jemand nicht mehr in Thüringen oder Berlin wohnte.
Namen dienen schließlich der Unterscheidung. Wenn daraus dann noch Döring
und Berling wurde, dann ist bei der Deutung schon einige Detektivarbeit
vonnöten. Für einen “Wohnstättennamen² mußte man hingegen nicht umziehen.
Herr Angermann wohnte am Anger und Herr Ende am Ende des Dorfs.

Besonders faszinierend sind die “Übernamen². Das sind Namen, die körperliche
oder psychologische Eigenschaften des Trägers beschreiben. Schiller, Scheel
oder Schily nannte man zum Beispiel jemanden, der schielt. Die Herren
Pfannkuchen und Guckinsglas neigten zu übermäßigem Konsum von Nahrungs- und
Genußmitteln. In diesem Bereich gibt es leider aufgrund der Veränderung der
Sprache im Laufe der Zeit viele Möglichkeiten, etwas mißzuverstehen. Ein
Ficker war seinerzeit einfach ein leicht aufzuregender Mensch. Das Wort
fickerig steht immer noch mit der Bedeutung “nervös, unruhig² im Duden. Zum
Glück können weniger starke Charaktere solche peinlichen Namen relativ
einfach ändern lassen. Der umgekehrte Fall, daß jemand seinen Namen in
Ficker ändern will, dürfte allerdings auf geringes Verständnis bei der
deutschen Obrigkeit stoßen.

Wertvolle Hinweise von der Telefon-CD-ROM

Damit sind wir auch schon am Schluß des Buchs angelangt. Hier gibt Professor
Udolph konkrete Hilfestellung bei der Namensdeutung. Er beschreibt das
sinnvolle Vorgehen und erforderliche Hilfsmittel. Er liefert Listen von
guten Websites und Büchern. Ein Geheimtip ist eine bestimmte Telefon-CD-ROM
von 1998. Diese hat eine Funktionalität, die es heute aus irgendwelchen
rechtlichen Gründen nicht mehr gibt: Man kann zu jedem verzeichneten Namen
eine kartographische Darstellung der regionalen oder auch deutschlandweiten
Verbreitung erstellen. Daraus können sich wertvolle Hinweise ergeben.

In einem Anhang, bei dem ein Jurist mitgearbeitet hat, erfahren wir noch
etwas über das Namensrecht. Welche Namen sind zulässig? Wann kann man einen
Namen ändern? Hier ist auch viel von Vornamen die Rede. Man darf seine
Tochter Bavaria, Tamy Sarelle, Annechien ten Dornkaat oder Azalee, aber
nicht Borussia oder Möwe nennen. Bei einem Sohn ist Jesus Maria oder Speedy
erlaubt, hingegen nicht Stompie, Verleihnix, Pfefferminze, Lord, Professor
oder Mechipchamueh. Bis zu fünf Vornamen hintereinander wie zum Beispiel in
einem konkreten Fall Chenekwahow Migiskau Kioma Ernesto Tecumseh sind
zulässig. Wenn Sie mich fragen: Ernesto ist ein schöner Name, die anderen
kann er ja weglassen. Das ist ganz legal.

Jürgen Udolph: “Professor Udolphs Buch der Namen². Woher sie kommen. Was sie
bedeuten. Unter Mitarbeit von Sebastian Fitzek. C. Bertelsmann Verlag,
München 2005. 320 S., geb., 18,- Euro.

Quelle: F.A.Z., 11.11.2005, Nr. 263 / Seite 39

Hallo Peter,

http://christoph.stoepel.net/geogen.aspx
hier kann man sich ein kleines Programm herunterladen, mit dem man auch Verbreitungskarten des Namens anfertigen kann.

Mit freundlichen Gr��en

Inge Riedel
Creutzwald/Frankreich

Hallo liebe Liste,

kann mir bitte jemand sagen, was oder wo Stadtgebiet 75 in Danzig ist.

Steht so in der Sterbeurkunde meiner Ururgrossmutter aus dem Jahre 1937. Gestorben ist sie aber 1889.

Vielen Dank im voraus.

Viele Gr��e

Jan (Schulz)

PS: Suche immer KOGLIN, BEHNKE, PORZENG, LONNENBERG, STROMSKI und SCHULZ aus DANZIG

Schily von schielen???

Stammt das wirklich von einem Slawistikprofessor oder von dem Schreiberling
der FAZ?

Der Name ist polnisch und wird im Original nicht mit "l" in der Mitte,
sondern mit einem "l" mit Querbalken geschriben und "Schiwy" ausgesprochen.
Da bedeutet "grau".

Bei der Germanisierung dieses Namens hat man teilweise die Aussprache
beibehalten und sich "Schiwy" geschrieben oder die Schreibweise ann�hernd
beibehalten und sich fortan "Schily" genannt.

Gru�

Detlef Ollesch