Hallo Ulrich,
nachfolgend ein Mail (vorsicht lang!!) über Lautverschiebungen, Sprachgrenzen
etc., dass über die WGfF-Liste kam, vielleicht hilft es ja Dir und Anderen
weiter:
zumal ich im Wintersemester die "Einführung in
die historische Sprachwissenschaft, ausgehend vom Althochdeutschen"
unterrichten muß. Daher wird meine Antwort wohl etwas länger ausfallen; wer
sich nicht für das Thema interessiert, mag die Mail direkt löschen.Beginnen muß ich mit der Klärung einiger Begriffe, damit es keine
Mißverständnisse oder Verständnisprobleme gibt.Niederdeutsch - Hochdeutsch: Als "Niederdeutsch" werden alle Dialekte
bezeichnet, die die Zweite Lautverschiebung (dazu unten) nicht mitgemacht
haben; "Hochdeutsch" sind entsprechend alle Dialekte, die an der
Lautverschiebung wenigstens zum Teil teilgenommen haben. Die heutige
deutsche Standard- und Schriftsprache ist "hochdeutsch". "Hochdeutsch" ist
in diesem Sinne also nicht der Gegensatz zu "Dialekt". Die Grenze zwischen
dem "Hochdeutschen" und dem "Niederdeutschen" ist die sogenannten "Benrather
Linie", die bei Düsseldorf-Benrath den Rhein überquert und weiter von Westen
nach Osten verläuft.Mitteldeutsch - Oberdeutsch: Das Hochdeutsche wird weiterhin unterteilt in
"Mitteldeutsch" und "Oberdeutsch". "Oberdeutsch" sind die Dialekte, die die
Zweite Lautverschiebung weitgehend vollständig mitgemacht haben,
"Mitteldeutsch" jene, die die Lautverschiebung nur teilweise mitgemacht
haben. Die Grenze zwischen Mitteldeutsch und Oberdeutsch ist die sogenannte
"Speyerer" oder "Germersheimer Linie", die bei Speyer oder Germersheim den
Rhein überquert und ebenfalls in west-östlicher Richtung verläuft.
"Oberdeutsch" sind also das Bairische, das Schwäbische und das Alemannische
(bekannt v. a. als Schweizerdeutsch). "Mitteldeutsch" sind die Dialekte
zwischen der "Speyerer" und der "Benrather Linie", also das Hessische, das
Thüringische, das (Ober-)sächsische, das Schlesische und - für unsere Liste
interessant - das Rheinfränkische, das Moselfränkische und das Ripuarische.
Das Rheinfränkische wird gesprochen zwischen der "Speyerer Linie" und der
"Hunsrückbarriere", das Moselfränkische zwischen der "Hunsrückbarriere" und
der "Eifelschranke", das Ripuarische zwischen der "Eifelschranke" und der
"Benrather Linie".Die Zweite Lautverschiebung: Die Zweite Lautverschiebung betrifft, wie
gerade geschrieben, alle hochdeutschen Dialekte in unterschiedlichem Maße;
die Zweite Lautverschiebung (im folgenden schreibe ich einfach "2. LV") hat
die deutlichsten Unterschiede bei den Konsonanten zwischen dem
(Hoch-)Deutschen einerseits und dem Niederdeutschen, dem Niederländischen
und dem Englischen andererseits verursacht (Beispiele folgen gleich).
Bei der 2. LV handelt es sich um eine systematische Veränderung der Laute
/p, t, k/, die im (Hoch-)Deutschen stattgefunden hat, im Niederdeutschen,
Niederländischen und Englischen nicht. Datiert wird dieser Lautwandel
ungefähr auf das 5. bis 8. Jahrhundert; Einzelheiten sind umstritten.
Was ist bei der 2. LV passiert? Die germanischen Laute /p, t, k/ werden
a) in einem Wort nach Vokal zu doppelten Reibelauten /ff, zz, hh/ (/zz/
gesprochen wie <ss> in "Wasser"); also /p/ > /ff/; /t/ > /zz/; /k/ > /hh/
b) nach langem Vokal und am Wortende vereinfacht zu /f, z, h/; also /p/ >
/ff/ > /f/ usw.
c) als Geminaten (d. h. wenn sie verdoppelt sind), am Wortanfang oder nach
/l, r, m, n/ verschoben zu den Affrikaten /pf, tz, kch/Das klingt erst einmal verwirrend; daher ein paar Beispiele. Ich wähle
jeweils moderne englische und deutsche Wörter, und zu verdeutlichen, was
passiert ist. Manches könnte man an gotischen oder lateinischen Beispielen
vielleicht besser zeigen, aber das könnte vielleicht verwirren. Bei
Interesse kann ich das aber gerne nachtragen.Beispiele für a):
engl. "open" - deutsch "offen"
engl. "water" - dt. "Wasser"
engl. "make" - dt. "machen"Beispiele für b):
engl. "grip" - dt. "greifen"
engl. "foot" - dt. "Fuß"
engl. "sick" - dt. "siech"Beispiele für c):
engl. "top" - dt. "Zopf"
engl. "heart" - dt. "Herz"
engl. "cold" - schweizerdeutsch "chalt"Die Lautverschiebung im Ripuarischen (= rheinischen Dialekt): Wie oben
geschrieben, hat in den mitteldeutschen Dialekten die 2. LV nur teilweise
stattgefunden. Dies gilt auch für das Ripuarische, also die im Rheinland
gesprochenen Mundarten. Hier ist der Stand der 2. LV etwa folgender:
/p/ ist verschoben nach Vokal ("schlafe"), es ist nicht verschoben am
Wortanfang, nach Konsonant und als Doppelkonsonant ("dorp", "appel", "pund"
statt "Dorf", "Apfel", "Pfund")
/t/ ist verschoben ("zeit", "wasser"), ausgenommen "dat", "dit", "et",
"allet".
/k/ ist nicht verschoben am Wortanfang und nach Konsonant, sonst schon
(Zustand wie im Standarddeutschen: "machen", "ich", aber "kind").
Im einzelnen ist der Stand der 2. LV in den westdeutschen Dialekten sehr
schwer zu beschreibenNun zu Deiner Frage, Jochem: Einerseits kann man anhand dieser Regeln
angeben oder erschließen, wie ein Familienname im rheinischen Dialekt, wie
er auf Niederdeutsch und wie er auf Hochdeutsch lautet. Für eine
tabellarische Übersicht oder gar ein Computerprogramm, das die
entsprechenden Veränderungen simuliert, gibt es aber mehrere Probleme:
a) Die Stand der LV zeigt im Rheinland große Unterschiede, von den
Hauptregeln abgesehen; insbesondere gab es immer den Versuch, Dialektwörter
ans Hochdeutsche anzugleichen, wenn man sie geschrieben hat. Die
Kirchenbücher, auch wenn sie deutsch geschrieben sind, sind nicht im Dialekt
geschrieben, sondern in einer Weise, die an der Standarddeutsche angenähert
ist.
b) Im Dialekt können noch weitere Konsonantenänderungen eingetreten sein (z.
B. die "rheinische Velarisierung: /t/ > /k/, z. B. "hunt" > "honk", "leute"
> lück").
c) Der Vokalismus variiert sehr stark und zeigt diverse Unterschiede zum
Standarddeutschen, aber auch zum Niederdeutschen.Grundsätzlich kann man aber sagen, daß für das Rheinland insbesondere die
Verschiebung von /p/ oder die Nichtverschiebung von /p/ von Bedeutung ist,
was die Familiennamen angeht, etwa bei Paffe / Pfaffe; Pannenschmidt /
Pfannenschmidt etc. An der Grenze zum Niederdeutschen (und Niederländischen)
kommen dann natürlich die Verschiebung oder Nichtverschiebung von /t/ und
/k/ hinzu, also Timmermann / Zimmermann; Knoke / Knoche etc.Die "Rheinische Velarisierung" ist meines Wissens nur selten
verschriftlicht; daher ist der hypothetische Fall, daß ein Herr Lück
Nachfahre von Luther ist, ziemlich unwahrscheinlich.
Geschaftt! Alles gelesen
Herzlichen Gruß
Petra (Kreuzer)
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