Musterungslisten im GStAPK Berlin

In einer eMail vom 16.10.2010 10:24:57 Westeuropäische Sommerzeit schreibt
Hans-Christoph.Surkau@t-online.de:

In der Zeit Friedrichs des großen - in der friderizianischen Armee -

ergänzten sich die Regimenter aus den ihnen zugewiesenen "Kantonen".
Die Regimenter durften aus diesen Kantonen jährlich bis zu 60 Rekruten
ausheben. Da in der Armee vorrangig angeworbene Ausländer dienten, reichte
diese Zahl aus. 1740 bestand die Armee noch zu 1/3 aus Ausländern, 1743
waren 2/3 vorgeschrieben. Diese Sollzahl wurde allerdings nicht erreicht.
1751 waren 63% der Armee Ausländer, 1768 57% und 1786 58%. Auch 1806
bestand
die Armee noch zu etwa 50% aus angeworbenen Ausländern.
In den Kantonen wurden die männlichen Kinder bereits bei der Geburt
listenmäßig erfasst und von den Regimentern mit Name und Vorname in die
Kompanielisten eingetragen, „enrolliert“. Von der Enrollierung
ausgenommen
waren nur Söhne von Edelleuten und Offizieren, bürgerlicher Eltern mit
einem
Vermögen von mehr als 10.000 Talern, mit Haus und Hof ansässige Bürger und
Bauern, Wollarbeiter und Manufakturiers, zum Wiederaufbau Ostpreußens
dorthin gegangene Zimmerleute, alle die sich in Ostpreußen in den Städten
oder auf dem Lande niederlassen wollten sowie Theologiestudenten, sofern
sie
Pfarrerssöhne waren und nicht größer als 6 Fuß und 9 Zoll. Mit der
Enrollierung erhielten die Jugendlichen einen Enrollierungspass, der sie
bis
zur endgültigen Einberufung beurlaubte. Bereits von diesem Zeitpunkt an
mussten die Jugendlichen die Halsbinde und den Hutpuschel ihres zukünftigen
Regimentes tragen um so zu zeigen, dass sie enrolliert waren. Die
enrollierten Jahrgänge wurden vom Konfirmationsalter an alle zwei Jahre im
Frühjahr zur Musterung zum Regiment einberufen. Dort wählten dann ein
Offizier und ein ziviler Beamter den benötigten Ersatz aus. Wer älter als
24
Jahre war oder die erforderliche Größe nicht erreicht hatte, wurde durch
den
Regimentschefs von seiner Dienstpflicht entlassen und bekam zum Zeichen
seiner Ausmusterung den „Laufpass“. Die ausgewählten Rekruten absolvierten
nun ein Jahr lang die Grundausbildung im Regiment. Danach konnten die
Kantonisten für bis zu neun Monaten nach Hause beurlaubt werden, um in
ihrem
erlernten Beruf zu arbeiten. Sie mussten nur jedes Jahr vom 1. April bis
zum
1. Juni zum Exerzieren wieder zum Regiment einrücken sowie sich im Falle
der
Alarmierung innerhalb von 12 Tagen beim Regiment zurückmelden. Als Zeichen
ihres Soldatenstandes mussten die Urlauber auch zu Hause oder bei der
Feldarbeit Uniform tragen, mindestens Hut, Rock und Hose. Andere wurden
nach
der Grundausbildung durch besser gewachsene Kantonisten ersetzt und kamen
so vom Militärdienst frei. Durch diese Praxis entstand eine große Reserve
an
grundausgebildetem Personal. Den Sold für die beurlaubten Soldaten behielt
die Kompanie ein. Dadurch bekamen die Regimenter mehr Geld für die
Anwerbung
von Ausländern. <<

Den sehr informativen Ausführungen von Hans-Christoph Surkau kann ich noch
hinzufügen, daß ich vor einigen Jahren bei der Durchsicht von
Amtsrechnungen in den 1690er Jahren bis 1713 in unregelmäßiger Folge sogn. Listen der
Enrollierten gefunden habe. Meine Erfahrungen beziehen sich auf Ämter im
Samland (z.B. Schaaken, Neuhausen etc.)

In den dicken Folianten, die Jahrgangsweise die Abrechnungen mit allen
Einnahmen und Ausgaben eines Amtes enthalten, waren in einigen Jahren (leider
nicht kontinuierlich) diese Listen beigefügt. Sie enthalten genealogisch
relevante Angaben: nach Dörfern sortiert werden alle Väter mit allen lebenden
Söhnen aufgeführt. Es ist das Lebensalter des Sohnes vermerkt, wohin er
geheiratet hat oder wohin er abgewandert bzw. wann er verstorben ist. Auch
kleinste Kinder (z.B. Johan 2 J.) sind vermerkt. Es steht dabei, ob es sich um
Stiefsöhne (mit anderem Familiennamen!) oder leibliche Kinder handelt.
Dann ist in verschiedenen Spalten eingeteilt, ob bereits enrolliert oder noch
nicht, ob ausgeschieden, als Ersatz für wen herangezogen oder ob unter
sogn. Viebrantzen eingeteilt.

Allerdings geht es in den Listen, soweit ich sehen konnte, nur um
erbuntertänige Amts-Bauern. Cöllmer oder andere Besitzende sind nicht enthalten.
Ich vermute, daß alle ostpreußischen Amtsrechnungen aus der Regierungszeit
Kurfürst Friedrich III. bzw. König Friedrich I. solche Listen enthalten
könnten.

Grüße aus Berlin

Viktor

Lieber Herr Haupt,

danke für Ihre freundlichen Bemerkungen.

Lassen Sie mich jedoch noch auf eines hinweisen: Der Begriff der
„Enrollierung“ wird in Preußen zu unterschiedlichen Zeiten mit
unterschiedlicher Bedeutung benutzt: Unter Kurfürst Friedrich III. / König
Friedrich I. bedeutete „Enrollierung“ die Einschreibung in die Miliz und
diese befreite vom Dienst im stehenden Heer; der „Enrollierte“ durfte also
durch ein Regiment nicht geworben oder zwangsrekrutiert werden! Das machte
den Dienst in der Miliz für die Landbevölkerung sehr interessant. Friedrich
Wilhelm I. schaffte dann auch 1713 die Milizen wieder ab, eben weil der
Dienst in der Miliz von dem Dienst im stehenden Heer befreite. Von da an
bedeutet "Enrollierung" das, was ich gestern dazu ausgeführt habe. 1733
wurde dann das Kantonsreglement eingeführt um das "wilde" rekrutieren der
Regimenter zu beenden und die Belastung der Kreise durch die Dienstpflicht
gleichmäßiger zu gestalten.

Wenn Sie also Listen mit Enrollierten aus den Jahren 1690 - 1713 gefunden
haben, so kann es sich dabei nach meiner Auffassung nur um die für die Miliz
eingeschriebenen Männer handeln, was nichts daran ändert, dass diese Listen
für uns hochinteressant sind!

Herzliche Grüße

Hans-Christoph Surkau

Lieber Herr Surkau und liebe Liste,

gibt es diese Musterungslisten auch für andere Kreise in Ostpreußen, z.B.
für den ermländischen Kreis Allenstein?

Gab es im Ermland vor der preußischen "Besetzung" auch Militär?

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende

Uli Szepanski

Lieber Herr Szepanski,

ich kann Ihnen Ihre erste Frage mit ja beantworten - allerdings habe ich
kein Detailwissen. Hierzu fragen Sie vielleicht am besten Herrn Haupt, der
kennt sich in Dahlem gut aus.
Es gibt einen etwas älteren Aufsatz von Herrn Prof. Dr. Jähnig: "
Militärgeschichtliche Quellen des Staatsarchiv Königsberg im Geheimen
Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz" in "Altpreußische Geschlechterkunde,
Band 13, 30. Jahrgang 1982, S. 7 - 44. Darin beschreibt Prof. Jähnig, was an
militärgeschichtlich auswertbaren Quellen im Geheimen Staatsarchiv liegt.
Für die "Enrollierungen" ist maßgeblich der Bestand des Etatministeriums
"EM": dort gibt es in den Unterlagen der Ämter vielfach Unterlagen über die
Wibranzen (Milizen) und Musterlisten, darüber hinaus gibt es einen ganzen
Bestand "Kriegssachen" (EM 83)m, wo sich ebenfalls viel zu diesem Betreff
finden lässt.
Aber das alles wird man nur durch eigene Einsichtnahme vor Ort bewerten
können, diese Notiz und der Aufsatz von Prof. Jähnig können nur ein Hinweis
auf das sein, was möglicherweise vorhanden ist.

Das Ermland war seit dem 2. Frieden von Thorn Teil des Königsreichs
Polen-Litauen. Die dem Fürstbischof untertänigen Ermländer waren daher für
den Dienst im polnischen Heer dienstpflichtig. Vermutlich sind jedoch
Unterlagen darüber heute im Staatsarchiv in Warschau oder Allenstein zu
finden, da die Musterungslisten etc vor 1772 sicherlich nicht in Königsberg
sondern in den Woiwodschaften und vor allem in Warschau aufbewahrt wurden.
Das kann man in dem Internetauftritt der polnischen Archive überprüfen.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Christoph Surkau