Hallo,
durch einen Hinweis aus der BaW�-Liste stie� ich auf den folgenden
Artikel. Dieser soll keine Diskussion anschieben, weil es die schon oft
gab, gibt aber die aktuellen Fakten zum Thema f�r alle Interessierten
wieder.
Viele Gr��e aus Dresden
Matthias (Daberstiel)
"Ahnenkult und Totentaufe"
Im Ahnenforschungszentrum �Family History Library� in Salt Lake City
(USA) haben die Mormonen eine riesige Datensammlung angelegt. Selbst die
Geburtsregister kleinster Schwarzwaldgemeinden lassen sich dort finden.
Doch viele Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche lehnen
eine Erfassung ihrer Daten durch die Mormonen mittlerweile ab. In vielen
Archiven und Bibliotheken spielt sich derzeit ein stilles Drama ab, das
unabsehbare Folgen f�r die Kultur haben k�nnte: Der so genannte
�S�urefraߓ zerst�rt langsam aber sicher unz�hlige B�cher und
Aktenbest�nde. Papier wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts gr��tenteils
industriell und unter Beigabe von S�ure produziert. Das hat heute zur
Folge, dass diese S�ure das Papier allm�hlich zerst�rt. Schon jetzt sind
in vielen Archiven ganze Aktenbest�nde gesperrt, weil ihre Benutzung den
Zerfallsprozess noch beschleunigen w�rde. Zwar gibt es mittlerweile ein
Ents�uerungsverfahren, doch dies ist aufw�ndig und teuer. Vielen
Archiven bleibt deshalb allein die Verfilmung ihrer Best�nde als Ausweg.
Da aber L�nder, Kommunen und Kirchen in Zeiten leerer Kassen daf�r
weniger Mittel zur Verf�gung stellen und die Verfilmungsunternehmen
ohnehin v�llig �berlastet sind, scheint der Kampf gegen den Aktenschwund
von vornherein verloren. Warum sich also nicht an die Mormonen, genauer
gesagt die �Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage� (HLT),
wenden? Schlie�lich gr�ndeten die Verantwortlichen der HLT 1894 die
�Genealogical Society�, deren Mitarbeiter eine Datensammlung
gigantischen Ausma�es anlegten. Zum Zwecke der Ahnenforschung werden
Geburts- und Sterberegister ausgeliehen, verfilmt und anschlie�end dem
Besitzer gratis eine Kopie des Films zur Verf�gung gestellt.
Beispielsweise wurden schon zu Beginn der 70er-Jahre s�mtliche
Kirchenb�cher der Erzdi�zese Freiburg verfilmt. Deshalb sind heute im
weltgr��ten Ahnenforschungszentrum der HLT, der in Salt Lake City
ans�ssigen �Family History Library� und dem mit ihr verbundenen �Family
Search Center�, selbst die Geburts- und Sterberegister kleinster
Schwarzwaldgemeinden zu finden. �hnliches gilt f�r die Kirchenb�cher der
evangelischen Landeskirchen in Baden und W�rttemberg, deren Best�nde
allem Anschein nach in den 60er- und 70er-Jahren ebenfalls komplett
verfilmt wurden und heute in der Family History Library einsehbar sind.
Gehortet werden die Daten au�erdem in angeblich atombombensicheren
Stollen, die eigens daf�r in einem Granitfelsen 32 Kilometer s�d�stlich
von Salt Lake City angelegt wurden.
Historische Kichenregister auf Film gebannt.
Das Verfilmungsunternehmen Mikrofilm-Center im brandenburgischen
Kossenblatt hat, nachdem die Firma kurz vor der Insolvenz stand, einen
gro�en Auftrag der �Genealogical Society� bekommen, Kirchenregister aus
Ostdeutschland zu verfilmen. �Etwa zweimal im Jahr bekommen wir Besuch
von den Mormonen, die sich dann nach dem aktuellen Stand der Dinge
erkundigen�, so der Firmenprokurist. Offenbar hat das Unternehmen keine
Schwierigkeiten, bei den Pfarr�mtern an das zu verfilmende Material
heranzukommen, zumal man dort froh sein d�rfte, dass die Informationen
auf diesem Wege erhalten bleiben. M�glicherweise wei� man auch nicht,
f�r wen die Mitarbeiter beim Mikrofilm-Center die Verfilmung vornehmen.
Mag sein, dass dies sogar im Sinne der Mormonen ist. Denn zumindest die
Verantwortlichen der katholischen Kirche haben die in einigen Bist�mern
seit 1969 bestehende, vertraglich geregelte Zusammenarbeit mit der
�Genealogical Society� aufgek�ndigt. Der St�ndige Rat der Deutschen
Bischofskonferenz hat im April 2002 eine �Handreichung zur Verfilmung
von Kirchenb�chern durch die Mormonen� verabschiedet, in der es hei�t:
�Das Angebot der Genealogischen Gesellschaft von Utah auf
Sicherungsverfilmung der Kirchenb�cher soll k�nftig nicht mehr
wahrgenommen werden. Dies betrifft Neuverfilmungen ebenso wie die
Nachverfilmung schadhafter Filmkopien.� Auf protestantischer Seite
�berwog schon fr�her eine restriktive Praxis. So lehnten nach Angaben
des evangelischen Sektenexperten R�diger Hauth elf der 18 westdeutschen
Landeskirchen zwischen 1947 und 1980 die leihweise Herausgabe der
Kirchenb�cher zwecks Verfilmung ab, drei Landeskirchen, darunter die
badische und die w�rttembergische, stimmten ihr zu, die �brigen vier
zogen die Zustimmung zur Verfilmung nach urspr�nglicher Einwilligung
wieder zur�ck. Stellvertretertaufe und Ahnenforschung. Ausschlaggebend
f�r die ablehnende Haltung der evangelischen und neuerdings auch der
katholischen Kirche d�rfte vor allem die religi�se Motivation der HLT
sein. Dass deren Mitarbeiter n�mlich so unerm�dlich genealogische Daten
erfassen und speichern, h�ngt mit ihrem Glaube zusammen. Demzufolge
m�ssen Nicht-Mormonen nachtr�glich mormonisch getauft werden, um der
ganzen F�lle ewigen Heils und der Erl�sung im Jenseits teilhaftig zu
werden. Zu diesem Zweck lassen sich Mormonen stellvertretend f�r
Verstorbene taufen und wirken somit als eine Art Miterl�ser der Toten,
bei denen es sich in der Regel um Verwandte der einzelnen Mormonen
handeln d�rfte. Da dies offenbar jedoch nur funktioniert, wenn man die
Namen der Vorfahren kennt, haben die Mormonen eben jene gigantische
Ahnenforschung in Gang gesetzt, deren Datensammlung mittlerweile �ber
eine Milliarde Mikrofilme umfassen soll. Diese Daten sind mittlerweile
auch via Internet zug�nglich. Wer unter den Verstorbenen nun tats�chlich
schon posthum zum Mormonen getauft wurde, ist dagegen allein im
Ahnenforschungszentrum in Salt Lake City einsehbar. Den Besuchern stehen
dort hochmoderne EDV-Arbeitspl�tze mit einem speziellen Suchprogramm
unentgeltlich zur Verf�gung. Gibt man zum Beispiel den Namen �Martin
Luther� ein, erh�lt man folgenden Eintrag: Luther, Martin Geschlecht:
m�nnlich Geboren: 10 Nov 1483 Eisleben, Sachsen, Preussen Taufe: 1 Dez
1987 PROVO Begabung: 6 Jan 1988 PROVO Siegelung an Eltern: 6 Jan 1988
PROVO Vater: Hans LUTHER Mutter: Margarete Quelle: Formular von
HLT-Mitglied eingereicht. Serie Nr. 8707831, Blatt #: 23, Standortnummer
der Quelle: 1396321 Luther: mormonisch, begabt und gesiegelt. Der
Reformator wurde also am 1. Dezember 1987 in Provo, einer Nachbarstadt
von Salt Lake City, mormonisch getauft - wahrscheinlich auf Initiative
jenes HLT-Mitglieds, von dem das Formular eingereicht wurde. Au�erdem
wurde Luther am 6. Januar 1988 ebenfalls in Provo mit der �Begabung� und
der �Siegelung an die Eltern� versehen. Dabei handelt es sich um zwei
weitere Rituale: Die �Begabung� besteht darin, dass man f�r sich selbst
oder stellvertretend f�r Verstorbene �geheime Erkennungsworte und
-zeichen� erh�lt, die beim Weg in den obersten der drei Himmel
behilflich sein sollen. Dorthin gelangt nach Auffassung der Mormonen,
wer f�r die Ewigkeit an die Eltern und einen Ehepartner �gesiegelt�
wurde. Diese einigerma�en skurril anmutenden Vorstellungen haben dazu
gef�hrt, dass nicht nur Luther, sondern auch eine Reihe von P�psten
getauft und an Eltern und Ehepartner �gesiegelt� wurden. Der besonders
ber�chtigte Papst Alexander VI. (1431-1503) wurde gleich viermal
getauft, au�erdem wurde ihm eine �Mrs. Pope Alexander III� angetraut.
Besonders makaber wurde es, als die Mormonen in ihrem Eifer anfingen,
j�dische Holocaust-Opfer zu taufen. Vertreter j�discher Organisationen
protestierten und diese Praxis 1995 wurde eingestellt.
Auch eine Frage des Datenschutzes.
Der mormonische Ahnenkult und die damit verbundene Erfassungswut werfen
jedoch noch weitere Probleme auf. Zum einen stellt sich die Frage nach
dem Datenschutz, denn es gibt Hinweise darauf, dass die Datensammlung
auch schon f�r andere als genealogische Zwecke zur Verf�gung gestellt
wurde. So soll das Material zur Durchf�hrung einer medizinischen Studie
verwendet worden sein. Aus kirchlicher Sicht am problematischsten d�rfte
jedoch sein, dass die Datenerhebung in erster Linie zum Zwecke des
�spirituellen Kidnapping� betrieben wird, wie es der katholische
Theologe Michael Fuss formuliert hat. Sein evangelischer Kollege Werner
Thiede hat festgestellt: �Selbst wenn die Mormonen sich in einem Vertrag
verpflichten, keine pauschalen Totentaufen anhand der Listen aus den
verfilmten Kirchenb�chern zu vollziehen, d�rften kirchlich-theologische
Bedenken gegen die massenweise �Auslieferung� der Daten christlich
getaufter Verstorbener zum Zwecke der genannten Tempelrituale kaum
ausger�umt werden.� Aus einer rein wissenschaftlichen Perspektive ist es
zweifellos ebenso verdienstvoll wie faszinierend, was die Mormonen mit
Bienenflei� und unter ungeheurem finanziellen Aufwand betreiben, um
genealogische Daten zu erheben und zu sichern. Einige Pfarrer halten
denn auch heute noch den Nutzen der Datensicherung f�r gr��er als den
Schaden durch eine posthume mormonische Taufe. Es stellt sich jedoch die
Frage, ob es nicht etwas besch�mend und bedenklich ist, wenn aus purer
Geldnot f�r den Erhalt von Archivmaterial auf die Dienstleistungen einer
religi�sen Organisation zur�ckgegriffen werden muss, deren Motivation
zumindest diskutabel ist. Den Kirchen und anderen �ffentlichen
K�rperschaften sollte der Erhalt von Kirchenb�chern so viel wert sein,
dass er auch in Zeiten knapper Mittel finanziert werden kann.
Quelle: BW-Woche, 29.03.2005, www.bwheute.de <http://www.bwheute.de>