Letzte Züge aus Ostpreußen

Unsere Flucht per Zug aus Elbing.

Hallo Heinz Timmreck,
Meine Mutti hat nie etwas über die Flucht aufgeschrieben aber wir
haben uns oft genug darüber unterhalten.

Sie gab später zu daß sie sehr dumm war um die Propaganda wegen dem
Endsieg bis zur Flucht zu glauben. Wir wohnten ja direkt gegenüber vom
Fracht- oder Nebenbahnhof in Elbing und sahen die ewigen
Verwundetenzüge unter rotem Kreuz gen Westen ziehen. Diese Züge
hielten nicht am Hauptbahnhof an sondern standen bei uns an der
Tannenberger Allee. Was sie dort machten weiß ich aucyh nicht aber sie
waren immer da. Meine Schwester und ich sammelten immer fleißig
Früchte aus unserm Garten, meistens Stachel- und Johannisbeeeren, um
diese Beeren zu den Zügen zu bringen. Das war so unsere Arbeit. Ich
kenne die Stacheln noch gut. Meine ältere Schwester schümpfte mich
immer aus wenn ich zu viele der Beeren selber verzeehrt habe. 'Die
sind doch für die Soldaten' sagte sie mir.

Jedenfalls ging unsere Flucht in hohem Schnee los. Ich glaube es war
der 21. oder 22 Januar. Wir waren meine Mutti im besten Pelzmantel,
meine Schwester mit einer Riesenpuppe, die sie zu Weihnachten von
meinem Vater aus dem Krieg erhalten hatte, und ich. Wir wollten zu
Bahnhof um dort per Zug zu einem Schiff zu fahren. Alles sollte so
sein wie uns gesagt wurde. Wir fuhren eben auf zwei Wochen Ferien um
dann wieder nach Hause zu kommen. Das glaubte meine Mutter auch. Wir
waren auch danach angezogen und hatten nichts besonderes mitgenommen.

Nach einem Block durch den Schnee stampfen und tote Tiere an der
Straße zu sehen beschwerte sich meine Schwester das ihre Puppe zu
schwer wäre und Mutter sagte wir müssen sowieso andere Schuhe
anziehen. Wir also zurück zu unserm Haus. In der Zwischenzeit hatten
sich schon deutsche Soldaten in unserer Wohnung warm gemacht. Mutti
wütetet wie verrückt was die Leute in der Wohnung machten und was sie
für einen Dreck (der Schmutz an den Stiefel war am schmelzen) auf die
Teppiche brachten. Die Soldaten entschuldigten sich sehr und nachdem
sie meine Mutter wieder beruhigt hatten erzählten sie ihr wie die Welt
wirklich steht. Sie selber erwarteten nicht das sie noch aus Elbing
entkommen würden. Das Leben wäre für sie vorbei und sie wollten nur
noch ein paar warme Stunden in einer richtigen Wohnung verbringen. Na
ja, jetzt vielen die Wolken von den Augen. Wir sollten uns unbedingt
mit vieler Kleidung anziehen. Wir sollten den großen Käse aus der
Küche mitnehemen und so was alles. Aber wie sollten wir aus der Stadt?

Einer der Soldaten ging mit uns über die Straße wo ein Rotes Kreuz
Verwundeten Zug lag. Es war unmöglich für uns rein zu kommen wurde ihm
gesagt. Es ist kein Platz. Wie und Mutter aber später erzählt hat
erkannte eine Krankenschwester meine Schwester und mich von den
Fruchteimern. Die Kinder müssen mit. Sei machte Platz indem etwas aus
dem Fenster geworfen wurde und man hebte mich durch das Fenster und
steckte mich in ein Gepäcknetz. Ich war also drin. Irgendwie kam meine
Schwester auch noch in den Zug. Mutti war draußen. Als der Zug ins
bewegen kam klämmerte sie sich irgendwo draußen ran und hielt fest.
Welche Mutter Läßt ihre Kinder alleine?

Ich weiß nicht wie lange sie draußen war als aber mehr und mehr
Verwundete starben wurden sie aus dem Zug geworfen um Lebenden Platz
zu machen. So kam sie dann hinein. Sie leidete ihr Leben lang an
Schwerzen wegen den erfrorenen Beinen und Händen. Meine arme Mutti.

Was alles noch in unserer 10 tagigen Fahrt nach Berlin passierte ist
mir alles durcheinander. Ich weiß das ich des öfteren aus dem Fenster
gehalten wurde um so pipi zu machen. Der Wind war eisig. Später wurden
wir beschossen und Glass war am klirren. Ob das aus der Luft kam oder
nicht weiß ich nicht. Auch hielt der Zug andauernd an. Ich denke mir
das Gleise repariert wurden oder andere Züge waren im Wege. Irgendwann
mussten wir in andere Züge steigen. Manchmal waren es Viehwagons wo
Stroh drin war. Stroh war gut. Man konnte sich darin etwas warm
halten.

Wir hatten auch ein Feuer im Wagon wo Schnee geschmeltzt wurde. Ich
musste immer Schnee holen. Es war für mich ein riesiges Abenteuer. So
viel neues zu sehen und zu erfahren. Ich war ja gerade 8 Jahre alt
geworden. Die vielen toten Tiere die man überall sehen konnten taten
mir aber sehr leid. Trotz meiner Abenteuerlust die Gegend zu
untersuchen hatte ich unheimlich Angst das mir der Zug vor der Nase
wegfährt. Man wußte ja nie wenn es weiter ging. Diese Angst hat mich
in meinen Träumen nie verlassen.

Meine Tante Erna Groß, die neben uns wohnte, wollte den nächsten Tag
mit ihrer Familie flüchten weil ihr Mann noch bei Schichau seine
Schicht fertig arbeiten musste. Sie gingen zu Fuß und kamen bis
Pommern wo mein Onkel Fritz von polnischer Miliz, wegen
Kriegsverbrechen (weil er Schlosser bei Schichau war), erschossen
wurde.

Wir kamen endlich bei einer andere Tante in Erkner/Berlin nach 10 Tage
Fahrt an (normal waren 10 Stunden) und die Russen waren dann auch
gleich da. Dei Abenteuer wurden nun lebensgefährlich.

Fred