Krenz / Faude - Wanderungen innerhalb Mittelpolens

Hallo in die Runde,

   ich wollte mich bezueglich meiner Ahnenforschung, bei der ich im
   Februar dieses Jahres zuerst im Wolhynienforum und dann hier in der
   Mailingliste nachfragte noch einmal melden und bei einer Sache
   nachfragen, die ich nicht so ganz verstehe.

   Es ging mir seinerzeit um die Namen Krenz und Faude, den Vorfahren
   meiner Mutter. Beide Familien lebten in Mittelpolen und sind
   unabhaengig voneinander in den 1880er Jahren nach Wolhynien gezogen.
   Nachdem Sie dann wahrscheinlich um 1916 aus Wolhynien wieder fliehen
   mussten und in Ostpreussen gelandet sind, haben dann Angehoeriger
   beider Familien geheiratet.

   Mir wurde hier mit vielen Informationen wirklich top weitergeholfen und
   habe viele Daten gefunden, womit ich nie gerechnet haette. Insbesondere
   auch bei den Faudes, die ja aus Wuerttemberg kamen, ging es weit in die
   Vergangenheit zurueck. Auch auf den Seiten von
   [1]http://geneteka.genealodzy.pl wurde ich nach einiger Suche fuendig.

   Ich frage mich aber immer, warum die Menschen seinerzeit innerhalb
   Mittelpolens ihr Siedlungsgebiet verlassen, und bevor sie endgueltig
   nach Wolhynien sind, nochmal woanders neu angefangen haben? Hatte es
   mit den Polenaufstaenden zu tun, schlechte Boeden oder Anwerbungen aus
   anderen Regionen?

   Die Faudes haben in Malogorne und Umgebung bei Orzokow gesiedelt
   (Kirchspiel Parzeczew). Auch die Ehefrauen kamen aus der Region,
   Pustkowa Gora z.B., alles in der Naehe von Lodz.

   Sie scheinen aber in den 1850er bis 1870er Jahren die Region verlassen
   zu haben und siedelten dann in der Ecke Kleszczow, also suedlich von
   Lodz, wenn ich die Region richtig deute.

   Es handelt sich hierbei um Peter Faude (*25.11.1817 in Malogorne,
   heiratet 1838 in Parzeczew Anna Elisabeth Sonnenburg(-berg), +
   21.05.1883, aber wo?),
   sein Sohn Ferdinand Faude (der Name wird durch Uebersetzung in
   Russische zu Fauda), * 1850 Ort mir nicht bekannt, heiratet am
   21.04.1878 bereits in Klecsczow Caroline Reschke. Wann und wo er stirbt
   ist nicht bekannt, er wird vermutlich noch Wolhynien, wohin er
   ausgewandert ist, Richtung Ostpreussen verlassen. Ueber seine Ehefrau
   ist nichts bekannt, durch die Eheschliessung zumindest aber die Namen
   ihrer Eltern: Daniel Reschke und Dorothe Nickel). Die aeltesten Kinder
   werden noch in Bogumilov und Faustinow im Kirchspiel Klescczow geboren,
   spaetestens ab 1889 leben sie dann in Wolhynien.

   Bei der Familie Krenz, wo ich schon frueh am Ende angelangt bin, sieht
   es aehnlich aus. Ich habe einen Heinrich Krenz, gebuertig aus einem
   Dorf namens Tatarczysko, Gouvernement Siedlicka, Kirchspiel vermutlich
   Pilica in den 1850er Jahren und dessen Ehefrau Luise Prechel, * in
   Kopy, Przedecz, Kutno am 02.02.1858. Ueber eine Genealogie eines
   anderen Ahnenforschers konnte die Linie der Prechel noch sehr weit
   zurueckverfolgt werden. Die ganze Sippe kam aus der Region Zgorce, also
   doch sehr weit noerdlich von Lodz.

   Scheinbar sind sowohl die Krenz' als auch die Prechels unabhaengig
   voneinander aus ihren jeweiligen Siedlungsregionen ins Lubliner Land
   gezogen. Dort heiraten deren Kinder Heinrich und Luise dann am
   18.04.1880 in Dabrowica bei Lublin (Eintraege im Index der SGGEE und
   bei Familysearch liegen hierueber vor). Auch hier werden die ersten
   Kinder noch im Lubliner Land geborgen, zwischen 1886 und 1889 zeiht
   auch diese Familie nach Wolhynien um. Auch hier frage ich mich, warum
   der Umzug ins Lubliner Land erfolgte.

   Innerhalb weniger Generationen viele Wanderungen, das muss kein
   leichtes Leben gewesen sein.

   Bei der Familie Krenz komme ich leider auch nicht weiter, zwar sind die
   Namen der Eltern des Heinrich Krenz bekannt, aber ansonsten wuesste ich
   nicht, wo dort noch weiter zu suchen waere. Dasselbe gilt fuer die
   Ehefrau des Ferdinand Faude, Caroline Reschke.

   So, nun ist das doch recht viel Text geworden,
   ueber eine kurze Info wuerde ich mich freuen, vielen lieben Dank
   nochmal im Voraus.
   Gruss
   Heiko

References

   1. http://geneteka.genealodzy.pl/

Lieber Heiko,

nur ganz kurz: die evangelisch-deutschsprachige Bevölkerung in Mittelpolen war sehr migrationsaktiv. Das hängt mit den generellen Rahmenbedingungen zusammen:

1) Sie erhielten vielfach Ansiedlungsverträge mit Steuerbegünstigungen und "Freijahren" - anschließend stieg die Steuerbelastung, so dass es durchaus attraktiv sein konnte, nach einigen Jahren an einen anderen Ort zu ziehen.

2) Die katholisch-polnische Umgebung war bis zur Bauernbefreiung in den 1860er Jahren an den Boden gebunden und durfte nur mit Erlaubnis des Grundherrn und vielfach gegen Ablösungszahlungen die Region verlassen. Die freien evangelisch-deutschen Siedler bildeten also bis ins letzte Drittel des 19. Jh.s die einzigen "freien" Bevölkerungsgruppen, die migrieren konnten. Land war bis zur Bauernbefreiung oft relativ billig, das ändert sich erst seit den 1860er/1870er Jahren. Es gab ein erhebliches Preisgefälle zwischen Mittelpolen (teurer), der Bugregion und Wolhynien, dort konnten Bauernstellen sehr günstig erworben werden.

3) Nachgeborene Familienmitglieder: Wir haben relativ kinderreiche Familien, aber vielfach nur eine Bauernstelle für den ältesten. Die nachgeborenen Söhne und Töchter müssen deshalb den Hof verlassen.

Schließlich das Phänomen einer Migrantenpopulation (dazu gäbe es vergleichende Studien etwa beim IMIS, Osnabrück): Migranten sind grundsätzlich weniger eingewurzelt und verfügen über ein Migrations-Knowhow, das auf die nächste Generation übertragen wird: Man weiß, worauf zu achten ist und agiert entsprechend. Schließlich handelt es sich um eine Kettenmigration, denn einige Familien holen weitere Bekannte oder Gemeindemitglieder nach.

Beste Grüße

Hans-Jürgen

Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg
Historisches Institut / Osteuropäische Geschichte
Otto Behaghel-Str. 10 D
35394 Gießen
Tel. +641/9928020, 9928251
Fax +641/9928259

Hallo Heiko,

ich würde noch ergänzen:

4) die Vertragsverhältnisse verschlechterten sich nicht selten, nachdem
nicht wenige polnische Grundbesitzer feststellten, dass sich ihr Besitz
in den Jahrzehnten der Rodungen und Bearbeitung durch die Kolonisten
deutlich verbessert hatte und sich der eine und andere nicht mehr an die
"ewigen" Verträge gebunden fühlte.

5) Mit der fortschreitenden Industrialisierung / Mechanisierung rund um
Lodz gerieten auch die Weber mit ihrem Webstuhl unter Druck.
Einer meiner (Seiten)Vorfahren, ein Tuchmacher "Fabrikant" aus Dresden,
zog von Lodz oder Umgebung Mitte 1840 weiter nach Podolien und kehrte
vor 1862 wieder in die Umgebung Tomaszów Maz. zurück und erscheint dort
als Mühlenbesitzer.

Gruß
Manfred