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D steht f�r Danzig
3661 Kirchenb�cher sollen nach Polen zur�ck / Von Daniel Deckers (FAZ vom
17.9.01)
REGENSBURG, 16. September. �u�erlich unterscheidet sich das klobige, in
Orange und Braun gehaltene Ger�t auf dem ersten Tisch in der linken Reihe
nicht von den anderen, gleicherma�en unansehnlichen Quadern auf anderen
h�lzernen Tischen des Lesesaals. Ein handgeschriebener Zettel indes weist
ihm eine besondere Bedeutung zu: "Nur f�r Ostkirchenb�cher". Die Geschichte
der Deutschen in West- und Ostpreu�en erschlie�t sich mit normaler
Vergr��erung nicht.
D steht f�r Danzig, W f�r Westpreu�en, E ist das Sigel f�r das Ermland, den
einst katholischen Teil Ostpreu�ens. Nach drei Regionen gegliedert, stehen
im Magazin des Bisch�flichen Zentralarchivs Regensburg ann�hernd 3700
B�cher, die das Werden und Vergehen der Katholiken im Nordosten des alten
Deutschlands bezeugen. Auf Latein, auf Deutsch, auch auf Polnisch haben die
Pfarrer Jahr. und Jahr Buch gef�hrt �ber Taufen, Trauungen und' Sterbef�lle.
Was seit der Bismarckzeit das Standesamt ist, sind seit Jahrhunderten die
Kirchenb�cher. Hier und da finden sich weitere Eintr�ge: Todesf�lle von
Lutheranern hier, pfarrgeschichtliche Notizen da, Osterbeichtende, Opfer der
asiatischen Cholera im Jahr 1831, Decemabgabe, Konversionen.
Von A wie Adlig Briesen, Kreis Schlochau, Bistum Kulm bis Z wie Zwiniarz,
Kreis L�bau, gleichfalls Bistum Kulm: Alle Ostkirchenb�cher sind verfilmt
und k�nnen von Microfiches gelesen werden. "Wenn die Eintr�ge nicht lesbar
sein sollten, k�nnen wir das Original aus dem Magazin holen", sagt ein
freundlicher Bibliothekar. Nicht mehr lange.
An diesem Montag wollen Kardinal Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen
Bischofskonferenz, und Kardinalprimas Glemp f�r die Polnische
Bischofskonferenz ihre Unterschriften unter einen Vertrag setzen, der die
R�ckf�hrung von 3661 Kirchenb�chern besiegelt. In drei Transporten sollen
die Archivalien bis zum Ende des kommenden Jahres Regensburg verlassen. Die
Archive der (Erz-)Bist�mer Allenstein und Elbing, Danzig, Gnesen, Lyck,
Pelplin, Stettin-Kammin, Thorn, Leslau und Plock sind als ihre endg�ltige
Heimat bestimmt.
Nahezu sechzig Jahre werden dann vergangen sein, seit die Kirchenb�cher im
vorletzten Kriegsjahr aus Ost- und Westpreu�en fortgeschafft wurden. Hier
und da hatte die Gestapo ihre H�nde im Spiel, wom�glich im Auftrag des
Reichssippenamts. Sollten die Matrikelb�cher nicht nur f�r die
Arier-Nachweise des Tausendj�hrigen Reichs, sondern auch f�r die Zeit danach
gerettet werden?
Im Herbst 1944 erging ein Erla� des Evangelischen Konsistoriums in
Ostpreu�en an alle Pfarr�mter, Archivalien und wertvolle Gegenst�nde f�r die
Auslagerung nach Westen bereitzustellen. Die auf den Endsieg eingeschworene
Partei hatte den Erla� verhindern wollen. Unterst�tzung erhielt die
evangelische Kirche vom Reichssippenamt, sagt der Direktor des Evangelischen
Zentralarchivs in Berlin, Sander.
Mehr als 8000 evangelische Kirchenb�cher hat Sander in seiner Obhut. Die
meisten stammen aus den fr�heren Provinzen Ost- und Westpreu�en. Hinzu
kommen die Stettiner Kirchenb�cher, sowie einzelne Archivalien aus den
Provinzen Posen und Schlesien. Dorthin zur�ckkehren werden sie wohl niemals.
Auch wenn Polen die evangelischen Kirchenb�cher noch im vergangenen Jahr
freih�ndig seinen staatlichen Archiven zugeschlagen hat. Doch was der
katholischen Kirche in Deutschland recht ist, ist den Protestanten billig:
Nach dem Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat obliegt es den
Glaubensgemeinschaften, ihre Angelegenheiten selbst�ndig zu regeln. Der
Umgang mit den Kirchenb�chern macht da keine Ausnahme. Die Evangelische
Kirche der Union (EKU) ist nach unbestrittener Rechtsprechung die
Rechtsnachfolgerin der fr�heren evangelischen Gemeinden in den ehemals
deutschen Gebieten jenseits von Oder und Nei�e. Da� deren Kirchenb�cher
heute in Berlin sind, ist daher nur Recht.
Die katholischen Kirchenb�cher aus West- und Ostpreu�en fanden in den
letzten Kriegsmonaten ebenfalls einen Weg nach Westen. Alliierte
Kulturoffiziere stellten auch sie in Bergwerken sicher. Der gr��te Teil
wurde nach Berlin verbracht, wo die Kirchenb�cher zum ersten Mal verfilmt
wurden. Anschlie�end wurden sie dem Bistum der geteilten Stadt angedient.
Doch die Katholiken in der geteilten Stadt waren au�erstande, f�r das
Kirchengut Sorge zu tragen. 1949 schlo� das Bistum als Treuh�nder einen
Depositalvertrag mit dem Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, das f�r die
Sammlung ostdeutscher Kulturg�ter zust�ndig war. Die Beziehungen zwischen
beiden L�ndern und beiden Kirchen Deutschlands waren so schlecht, da� eine
R�ckgabe ausgeschlossen war. Hatte nicht der polnische Kardinalprimas
Augustyn Hlond die deutschen katholischen Bisch�fe wider alles Recht f�r
abgesetzt erkl�rt und au�er Landes getrieben? Und den Protestanten
hinterhergerufen: "Mit den Deutschen verschwindet die H�resie"?
Mehr als zwei Jahrzehnte blieben die katholischen Ostkirchenb�cher in
Berlin. Dann trat in Abstimmung mit dem Vatikan der Verband der Di�zesen
Deutschlands in den Vertrag mit dem staatlichen Archiv ein und k�ndigte ihn.
Die Kirchenb�cher wurden in treuh�nderischer Verwaltung ins Katholische
Kirchenbuchamt in M�nchen gebracht. Dort war schon 1952 ein erster, kleiner
Bestand Ostkirchenb�cher eingestellt worden, den es nach Kriegsende nach
Hildesheim verschlagen hatte.
Die Irrfahrt der B�cher war noch nicht beendet. Im Benediktinerinnenkloster
Eibingen, wo die Deutsche Bischofskonferenz eine Restaurationswerkstatt
eingerichtet hatte, wurden nun die schadhaften Exemplare wiederhergestellt
und neu eingebunden. Mitte der siebziger Jahre gingen sie auf ihre vorerst
letzte Reise nach Regensburg. Dort wurden sie fachgerecht archiviert und
abermals verfilmt. Kleine und gro�e, schmale und gewichtige: gut zwei
Jahrhunderte deutscher Geschichte zusammengeschnurrt auf lange,
unregelm��ige Reihen. Doch die Kirchenb�cher sind nicht nur h�chst
aufschlu�reiche Dokumente f�r Familienforscher und Nachla�gerichte. F�r
viele Heimatvertriebene sind die Matrikelb�cher bis heute eine Nabelschnur,
die sie mit ihren Vorfahren in der fernen Heimat verbindet.
Pr�lat Mai, der Archivdirektor, l��t sich nicht anmerken, da� er die
�berstellung der B�cher noch erleben mu�: "In der katholischen Kirche ist es
der Verbleib der Kirchenb�cher durch das Kirchenrecht geregelt", sagt er mit
fester Stimme. Es gelte das "Herkunftprinzip". Anders als evangelische
Gemeinden, die als eine Personenvereinigung ihren Sitz da- oder dorthin
verlegen k�nnen, sind katholische Pfarreien kanonisch errichtet. Die einen
werden vertrieben, andere kommen, die Kirche bleibt. Und mit der Kirche auch
die Kirchenb�cher. So ist es Recht.
Und warum werden die Kirchenb�cher erst jetzt zur�ckgegeben? Allein zehn
Jahre sind vergangen, seit Deutschland und Polen einen Freundschafts- und
Nachbarschaftsvertrag geschlossen und Verhandlungen �ber die R�ckf�hrung
kriegsbedingt verlagerter Kulturg�ter aufgenommen haben. "Bei den
Matrikelb�chern handelt es sich um Kirchengut, nicht um Kulturgut" sagt Mai.
Solange der polnische Staat Anspr�che auf die B�cher erhoben habe,. seien
die deutschen Bisch�fe in �bereinstimmung mit der polnischen Kirche nicht
bereit gewesen, die B�cher aus der Hand zu geben.
Im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn war man gleich
doppelt auf der Hut. Man habe sich vom polnischen Au�enministerium und von
Kulturstaatsminister Nida-R�melin schriftlich best�tigen lassen, da� die
�bergabe der Matrikelb�cher an staatliche Archive ausgeschlossen sei, sagt
der Sekret�r Pater Langend�rfer. So zerstreut alle Bef�rchtungen, polnische
Beh�rden k�nnten die Archivalien beschlagnahmen, sobald sie den Schlagbaum
passiert haben. Die Kirche ist gewarnt: So manches Kirchenbuch einer
polnischen Pfarrei findet sich heute im Archiv der Wojewodschaft.
Vorkehrungen haben die deutschen Bisch�fe aber auch f�r andere F�lle
getroffen. Peinlich genau h�lt die �bergabe-Vereinbarung fest, wie die
polnische Kirche mit dem wertvollen Kirchengut umzugehen hat. Ausdr�cklich
wird ausgeschlossen, da� die Kirchenb�cher an die einzelnen Pfarr�mter
zur�ckgebracht werden. Sie werden den Archiven der jeweiligen Bist�mer
anvertraut, damit sie sachgerecht untergebracht und von fachkundigem
Personal betreut werden k�nnen. Auch das Zugangsrecht deutscher
Archivbenutzer ist gew�hrleistet, im Fall einer Anfrage eine fristgerechte
Bearbeitung und eine Geb�hr, wie sie bei gleichem Aufwand f�r einheimische
Benutzer entst�nde. Beglaubigungen mit rechtlicher Relevanz sollen - jeweils
nach vorheriger Recherche durch das Bisch�fliche Zentralarchiv in
Regensburg - regelm��ig binnert Monatsfrist bearbeitet werden. All dies
erkl�rt, im Namen der aufnehmenden Di�zesen, die Polnische
Bischofskonferenz.
Doch wozu dieser Aufwand, wenn doch die Microfiches in Regensburg
verbleiben? Nicht immer sind die Eintragungen lesbar. Bald wird der
freundliche Bibliothekar in Regensburg das Original nicht mehr heranziehen
k�nnen. Manche der mehr als 700 Anfragen aus allen Teilen der Welt, die
bisher in jedem Jahr in Regensburg bearbeitet wurden, m�ssen k�nftig von der
Donau an ein polnisches Di�zesanarchiv weitergeleitet werden. Aber nicht
alle: Sollte sich jemand f�r das schweinsledern-speckige Kirchenbuch mit der
Signatur E 294 interessieren, wird er das Original auch k�nftig in
Regensburg einsehen k�nnen. Es ist das aus dem achtzehnten Jahrhundert
stammende Matrikelbuch der katholischen Pfarrei St. Johannes in K�nigsberg.
Und K�nigsberg hei�t heute Kaliningrad und liegt nicht in Polen, sondern in
Ru�land.
Ernst Nikulski
ernst.nikulski@t-online.de